Das Weiße Haus hat einen Bericht der "New York Times" (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt) zurückgewiesen, der nahe legt, dass US-Präsident Joe Biden über einen Rückzug aus dem Rennen um die Präsidentschaft nachdenkt. "Diese Behauptung ist absolut falsch", teilte ein Sprecher der Regierungszentrale auf Anfrage laut Nachrichtenagentur dpa mit. "Wenn uns die 'New York Times' mehr als sieben Minuten Zeit gegeben hätte, das zu kommentieren, hätten wir ihnen das auch so gesagt."
Auch Biden selbst dementierte die Meldung: "Ich trete an. Ich bin der Anführer der Demokratischen Partei. Niemand drängt mich hinaus", erklärte er in einer Telefonschalte des Dachverbands der Demokraten. Seine Äußerungen wurde von einem ranghohen Regierungsmitglied in einem Post auf X zitiert.
Gespräch mit "wichtigem Verbündeten" über möglichen Rückzug?
In dem Zeitungsbericht der New York Times hieß es dagegen, Biden denke ernsthaft darüber nach, unter welchen Umständen er doch aus dem Präsidentschaftsrennen aussteigen müsse. Darüber habe er mit einem "wichtigen Verbündeten" gesprochen. Diesem habe der 81-Jährige anvertraut, dass für ihn entscheidend sei, wie seine Auftritte in den kommenden Tagen laufen – und ob diese die Öffentlichkeit doch davon überzeugen können, dass er für eine weitere Amtszeit geeignet sei.
Wahlkampfmitarbeiter beobachteten nervös die Umfragen und erkannten, dass schlechte Zahlen die Krise anheizen könnten, heißt es in dem Bericht.
Druck auf Biden wächst
In der vergangenen Woche hatte Biden bei der TV-Debatte gegen seinen Herausforderer Donald Trump einen desaströsen Auftritt hingelegt. Biden - mit seinen 81 Jahren der älteste Präsident der US-Geschichte - hatte mit heiserer Stimme gesprochen, sich wiederholt in seinen Formulierungen verheddert und Sätze nicht zu Ende gesprochen. Der Druck auf den Demokraten wächst seither.
Das Weiße Haus bemüht sich, Zweifel an seiner Eignung für das Amt zu zerstreuen und seinen verpatzten Auftritt im Fernsehen so gut es geht vergessen zu machen. Bisher hat sein engstes Umfeld jegliche Kritik weggewischt. Zu den Verteidigern zählten unter anderem die ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama.
Weitere Auftritte geplant
Biden will sich an diesem Mittwoch mit demokratischen Gouverneuren treffen, um deren Unterstützung zu sichern. Am Freitag will er ein Fernsehinterview geben. Zudem sind in den kommenden Tagen Wahlkampfauftritte in Wisconsin und Pennsylvania geplant. In der kommenden Woche ist eine Pressekonferenz beim Nato-Gipfel in Washington vorgesehen.
Mögliche Nachfolger: Kamala Harris oder Michelle Obama?
Vize-Präsidentin Kamala Harris bekundete unterdessen ihre Unterstützung für den 81-jährigen Amtsinhaber. Sie sei stolz darauf, sein sogenannter Running Mate zu sein. "Joe Biden ist unser Kandidat", sagte sie im Sender CBS News. "Wir haben Trump einmal geschlagen und wir werden ihn wieder schlagen."
Harris wäre im Falle eines Rückzugs Bidens die naheliegendste Alternativkandidatin. Laut einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage des Senders CNN hätte sie etwas bessere Chancen, den republikanischen Herausforderer Trump zu schlagen. Bei einem Rennen Harris gegen Trump lägen ihre Zustimmungswerte demnach bei 45 gegenüber 47 Prozent für den Ex-Präsidenten der Republikaner. Im Duell Biden gegen Trump liegt das Verhältnis dagegen bei 43 zu 49 Prozent. Andere Umfragen wie die von Reuters/Ipsos-Erhebung sehen die Kontrahenten dagegen faktisch gleichauf liegen.
Auch die Namen der Senatorin Amy Klobuchar und des US-Verkehrsministers Pete Buttigieg sind in der Diskussion um eine mögliche Nachfolge bereits gefallen. Immer wieder genannt wird auch die frühere First Lady Michelle Obama, die für viele Demokraten eine Lichtgestalt ist. Sie hat jedoch bereits erklärt, dass sie nicht für eine Kandidatur zur Verfügung steht. Nach den Zahlen der Reuters/Ipsos-Erhebung würde sie Trump allerdings mit 50 Prozent zu 39 Prozent schlagen. Das ist der mit Abstand beste Wert aller diskutierten Biden-Nachfolger.
Biden liefert Begründung für schlechten Auftritt
Der CNN-Umfrage zufolge gehen drei Viertel der Wähler davon aus, dass die Demokraten mit einem anderen Kandidaten als Biden bessere Chancen hätten, nach der Wahl am 5. November erneut ins Weiße Haus einzuziehen.
Bei einer Spendengala nannte Biden selbst seine Müdigkeit nach internationalen Reisen als Begründung für den schwachen Auftritt bei der Fernsehdebatte in der vergangenen Woche. Es sei nicht sehr klug gewesen, kurz vor dem Duell "mehrmals um die Welt zu reisen. Ich habe nicht auf meine Mitarbeiter gehört (...) und dann ich bin auf der Bühne fast eingeschlafen", sagte er. Dies sei "keine Entschuldigung, aber eine Erklärung".
Wie geht es nun weiter?
Unabhängig von der Frage, wie zutreffend der Artikel der New York Times ist, hat Biden ein Problem, das durch den Bericht größer geworden sein dürfte: Zu der Debatte in den Medien ist nämlich inzwischen eine parteiinterne hinzugekommen, die ebenfalls in der Öffentlichkeit ausgetragen wird, nachdem in Lloyd Doggett ein erster demokratischer Kongressabgeordnete eine Rückzugsforderung an Biden publik gemacht hat. Doggett legte vor wenigen Stunden nach und erklärte, er habe aus der Partei einige positive Rückmeldungen auf seinen Vorstoß erhalten.
Starkes Signal oder Rücktritt?
Das dürfte für Biden bedeuten: Entweder schafft er es, sich öffentlichkeitswirksam die Rückendeckung der wichtigsten Politiker seiner Partei zu holen – dazu gehören die Gouverneure, mit denen er sich heute trifft, aber auch die wichtigsten Figuren aus dem Kongress, prominente Minister seines Kabinetts sowie auch sein ehemaliger Chef und Ex-Präsident Barack Obama. Eine große Pressekonferenz mit diesen Personen, auf der sie sich geschlossen hinter Biden stellen – das könnte ein Weg sein, um die Debatte zumindest parteiintern abzuwürgen und ein starkes Signal an Öffentlichkeit und Wähler zu senden.
Oder dieses Signal der Geschlossenheit bleibt aus, dann dürfte die Debatte öffentlich wie parteiintern weiter an Fahrt aufnehmen - und mit jedem neuen Patzer im Wahlkampf weiter angeheizt werden. So könnte eine Dynamik entstehen, der sich auch Biden nicht entziehen kann. Sollte der Fall eintreten, dass sich jemand aus der Parteispitze öffentlich gegen Biden stellt, könnte die Luft für ihn dünn werden.
Pelosi: "Episode oder ein dauerhafter Zustand"?
Ab einem gewissen Punkt könnte es für Biden um Vermächtnis gehen: Will er als derjenige in Erinnerung bleiben, der nach vier Jahren mit halbwegs erhobenen Hauptes abtritt – oder als jemand, der trotz Widerstände in der Partei stur geblieben ist und damit möglicherweise das Land in die Hände von Donald Trump gelegt hat?
Noch scheint Biden aber die Hoffnung zu haben, die Reihen in der Partei zu schließen und Zweifel an seiner Tauglichkeit für das Amt zerstreuen zu können.
Sorgen dürfte ihm machen, dass eine sehr prominente Figur der Demokraten sich zumindest leicht distanzierte. Nancy Pelosi, die die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses, nannte Biden zwar einen "großartigen Präsidenten", aber die Zweifel "legitim", ob sein TV-Auftritt "eine Episode oder ein dauerhafter Zustand" war. Auch diese Äußerung dürfte sein Standing in der Partei nicht verbessert haben.
Mit Informationen von AFP, AP, dpa und Reuters
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