Verunglücktes Schleuserfahrzeug
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Geschäft mit der Flucht: Die gefährliche Jagd nach Schleusern

Geschäft mit der Flucht: Die gefährliche Jagd nach Schleusern

Schleuser liefern sich seit diesem Jahr immer häufiger Verfolgungsjagden mit der Polizei. Seit dem tödlichen Unfall von Ampfing hat sich die Arbeit der Bundespolizisten verändert, finden einige. Ihr Job ist gefährlicher geworden.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

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Zwei Bundespolizisten aus Passau machen sich bereit für die Schicht. Die beiden werden heute den ganzen Tag Autos und Kleintransporter aus dem Verkehr ziehen - auf der Suche nach Schleusern und Geflüchteten. Routine, möchte man meinen. Doch Routine gibt’s nicht mehr, erzählen sie. Denn Schleuser sind seit diesem Sommer deutlich gewaltbereiter. Bemerken sie die Polizei, steigen einige aufs Gas und liefern sich Verfolgungsjagden mit der Polizei.

  • Zum Artikel: Wegen Schleusern: Platzprobleme in bayerischen Gefängnissen

Die Liste der Unfälle ist lang. In den vergangenen Monaten sind sie mehrfach gegen Hausmauern und Bäume gefahren, haben Polizeiautos gerammt. "Das ist leider an der Tagesordnung. Und die Gewaltbereitschaft belastet mich", erzählt ein Polizist. Sein Kollege ergänzt: "Ich gehe eigentlich vom Schlimmsten aus und freue mich, wenn es doch nicht so schlimm kommt."

Nach Verfolgungsjagd: Unfall in Ampfing mit Toten

Das Schlimmste, da sind sich die beiden einig, ist ihren Kollegen auf der A94 bei Ampfing passiert. Vor vier Wochen hat ein mutmaßlicher Schleuser bei der Flucht vor der Polizei die Kontrolle über seinen Wagen verloren. Sieben Geflüchtete sind gestorben - darunter ein Kind. Die beiden Bundespolizisten aus Passau haben Angst, dass sie selbst in so eine Situation kommen könnten.

"Wenn dir so etwas passiert, kann es sein, dass dich das so fertig macht, dass du nie wieder als Polizisten arbeiten kannst. So sehr jeder von uns die Schleusungskriminalität bekämpfen will. Niemand will, dass solche Unfälle passieren, niemand." Bundespolizist aus Passau

Die Polizei winkt raus: Jetzt wird es kritisch

Die beiden Bundespolizisten fahren an die bayerisch-österreichische Grenze bei Pocking im Landkreis Passau. Sie stellen ihr Auto in einer Behelfsausfahrt der A3 ab und scannen bei laufendem Motor vorbeifahrende Wagen und Kennzeichen. Nach nur wenigen Minuten nehmen sie die Verfolgung auf. Ein französischer Kleintransporter kommt ihnen verdächtig vor. Die beiden hängen sich dran, lassen über Funk das Kennzeichen prüfen. Erst kurz vor der Autobahnausfahrt überholen sie den Transporter und winken ihn mit der Kelle aus dem Verkehr. "Wir kündigen die Kontrollen so kurz wie möglich vorher an, damit sich die Fahrer nicht drauf vorbereiten können", sagt der Beifahrer.

Beide beobachten jetzt in Rück- und Seitenspiegel, was hinten passiert. Es ist die kritische Phase: Gibt der Fahrer Gas, stellt er das Auto ab und läuft davon oder folgt er der Polizei? Die zwei beobachten, wie der Transporter langsamer wird und abbremst. Sie schnallen sich ab, um schnell reagieren zu können. Doch dann nimmt das Fahrzeug wieder Geschwindigkeit auf und folgt der Polizei. Entwarnung. Der Fahrer stellt den Wagen ab, zeigt seine Papiere her und öffnet die Türen: keine Menschen an Bord, nur eine Lieferung Handtaschen. "Aber genau dieses Hinterherfahren war gerade der heikle Moment. Ich habe schon erlebt, wie jemand auf der Landstraße eine dritte Spur eröffnet hat. Das ist gefährlich für alle. Und wir müssen in kürzester Zeit entscheiden, ob wir ihm folgen oder nicht", erzählen sie.

Grafik: So viele Schutzsuchende kamen in den letzten Jahren nach Bayern

Nur nahe der Grenze können die Polizisten Migranten zurückweisen

Die Bundespolizisten kontrollieren nah an der Grenze. Denn nur hier, wo sie den Grenzübertritt beobachten, können sie Migranten direkt zurückweisen. Werden Geflüchtete im Landesinneren aufgegriffen, ist das nicht mehr möglich. Die Polizisten bringen sie dann ins nächste Ankerzentrum, und die Ausländerbehörde entscheidet, ob die Menschen bleiben dürfen oder nicht.

Dazu liefert die Bundespolizei in München bayernweite Zahlen: Von den 22.409 Menschen, die heuer zwischen Januar und September unerlaubt eingereist sind, wurden und werden 9.010 zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben. Um 8.832 Geflüchtete kümmert sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Schleuserroute mit Zwischenstopp in Wien

Die Polizisten hängen sich wieder an einen Wagen - diesmal ein Pkw mit österreichischem Kennzeichen. Auch in Autos werden Menschen geschleust: im Fuß- und im Kofferraum. Im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet österreichische Autos zu kontrollieren, mag untypisch klingen. Die Polizisten berichten aber, dass fast alle Schleuser auf der Balkanroute einen Zwischenstopp in Wien einlegen und dass es dann häufig in Fahrzeugen mit Wiener Kennzeichen weitergeht.

Auch dieser Fahrer folgt den Anweisungen der Polizei, hält an und zeigt seine Papiere. Die Familie kommt aus Syrien, hat aber bereits einen Aufenthaltstitel in Österreich und möchte nur durch Deutschland durchfahren. Damit ist alles in Ordnung, die Familie kann die Fahrt fortsetzen. "Nah dran", sagen die Polizisten.

Flüchtlingszahlen gehen stark zurück

Vor vier Wochen haben die Passauer Bundespolizisten noch täglich Schleuser mit Geflüchteten aus dem Verkehr gezogen. In ganz Bayern wurden von Januar bis September 940 Schleuser geschnappt. Seit zwei Wochen ist es aber ruhiger. Auch die Zahl der Geflüchteten geht dementsprechend schlagartig zurück.

Beispiel Passau: Sind Mitte Oktober bis zu 700 Geflüchtete pro Woche gekommen, waren es Ende Oktober 230 und Anfang November nur noch 50. Im Winter fliehen jedes Jahr weniger Menschen nach Europa. Dass die Zahlen so plötzlich einbrechen, liegt laut Polizei aber auch an Konflikten zwischen Schleuser-Organisationen in Serbien. Die Einsatzkräfte entlang der Grenze freuen sich nach einem arbeitsreichen Herbst - bayernweit kamen heuer laut Bundespolizei 17 Prozent mehr Geflüchtete als im Vorjahr - über die ruhigeren Schichten. "Das tut zur Abwechslung auch mal wieder gut. Und ich bin mir sicher, die Zeiten werden sich auch wieder ändern."

💡 Asylanträge im ersten Halbjahr in Deutschland

Von Januar bis Juni 2023 wurden in Deutschland insgesamt 162.271 Asylanträge gestellt; 150.166 davon waren Erstanträge und 12.105 Folgeanträge. Die Zahl der Erstanträge erhöhte sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (1. Halbjahr 2022) um 77,5 Prozent; von Januar bis Juni 2022 waren 84.583 Anträge gestellt worden.

Die meisten Asylbewerber stammten wie bereits 2022 aus Syrien, Afghanistan sowie der Türkei. Ukrainische Geflüchtete werden nicht bei den Asylantragszahlen erfasst, da sie aufgrund einer Ausnahmeregelung keine Asylanträge stellen müssen.

In den ersten sechs Monaten 2023 entfielen 15,6 Prozent der Erstanträge auf Bayern (23.417 Asylerstanträge). Die meisten Asyl-Erstanträge verzeichnete Nordrhein-Westfalen mit 20,8 Prozent (31.271 Erstanträge).

Quelle: bamf.de

Zum Video: Sieben Tote bei Schleuser-Unfall auf der A94

Auf der A94 bei Ampfing in Oberbayern sind bei einem Unfall mit einem Schleuserfahrzeug sieben Menschen ums Leben gekommen - unter ihnen ein sechsjähriges Kind. Der Fahrer wurde festgenommen.

Auf der Flucht sind in einem Schleuserfahrzeug sieben Menschen ums Leben gekommen - unter ihnen ein sechsjähriges Kind.
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Auf der Flucht sind in einem Schleuserfahrzeug sieben Menschen ums Leben gekommen - unter ihnen ein sechsjähriges Kind.

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