"Mein Papa war ein Macher, der immer eine Entscheidung getroffen und umgesetzt hat", erinnert sich Lauritz Loske. Das habe ihn immer schon an seinem Vater fasziniert. 2021 ändert sich das Leben der Familie radikal: Lauritz' Vater Karl-Heinz bekommt eine tödliche Diagnose. Er leidet an progressiver supranuklearer Blickparese (PSP) - einer seltene Krankheit, die das Nervensystem angreift. Viele Betroffene sterben pflegebedürftig, ans Bett gefesselt.
Der Vater bittet seine Familie um ein anderes Ende – mithilfe von Sterbehilfe. Für Lauritz Loske ist damals klar: Er will ihn unterstützen, "egal wie schwer dieser Weg ist".
Sterbehilfeverein als Chance?
Im Herbst 2023 findet die Familie den Verein "Sterbehilfe". Lauritz' Vater sieht hier die Chance, selbst über seinen Tod zu bestimmen. Er wird Mitglied und zahlt über 7.000 Euro Mitgliedsbeitrag für eine beschleunigte Suizidhilfe, denn die Krankheit schreitet voran. Die Prüfung der Freiverantwortlichkeit, die Voraussetzung für das Grüne Licht ist, dauert, so der Verein in seiner Broschüre, zwischen zwei und vier Monaten. Für Karl-Heinz Loske beginnt das Warten auf die Ärztin, die feststellen soll, dass es sein eigener freier Wille ist, zu sterben.
Die Kontrovers-Story im Video: Grauzone Sterbehilfe
Recht auf selbstbestimmtes Sterben
Sterbehilfe ist in Deutschland gesetzliche Grauzone. Zwar entschied das Bundesverfassungsgericht schon 2020, dass es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt, und forderte den Bundestag auf, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen. Bis heute jedoch fehlt dieser: Alle eingebrachten Entwürfe sind gescheitert. Neuwahlen könnten neue, parteiübergreifende Entwürfe verzögern.
Politik sieht sich im Dilemma
Der SPD-Abgeordnete Lars Castellucci ist bereits mit zwei Entwürfen im Bundestag gescheitert. Er skizziert das Dilemma der Politik: Das Urteil, so Castellucci, fordert von der Politik eine grundsätzliche Lösung für alle Bürger. Aber kann es dieselbe Antwort für depressive, altersmüde und auch schwerstkranke Menschen geben?
"Dass wir in Agonie verharren und überhaupt gar nichts tun, ist keine Alternative", sagt hingegen Pedram Emami, Präsident der Hamburger Ärztekammer. Er hatte das Bundesverfassungsgericht damals beraten – und fordert klare Verhältnisse.
Denn aktuell operierten, so Emami, die Sterbehilfevereine in einem rechtsfreien Raum. Die Folgen für Betroffene und Angehörige: kaum Rechtssicherheit oder adäquate Betreuung.
Warten auf "Grünes Licht"
Im Februar 2024, drei Monate nach der Anmeldung, erhält Karl-Heinz Loske Besuch vom "Sterbehilfe"-Verein: Ein Video soll seine Freiverantwortlichkeit belegen, eine zwingende Voraussetzung. Anschließend soll eine Ärztin "Grünes Licht" geben. Sein Sohn erinnert sich: Der Zeithorizont, den der Vereinsmitarbeiter damals in Aussicht gestellt habe, habe bei zwei bis vier Wochen gelegen.
Karl-Heinz Loske ist da bereits bettlägerig – aber klar im Kopf. Und habe Hoffnung geschöpft, sagt Lauritz Loske: "Da ging’s ihm erstmal gut, vor allem psychisch, weil er dachte: 'Jetzt ist es greifbar, dass wirklich was passiert und ich irgendwann erlöst bin.'"
Keine Rückmeldung
Doch die Ärztin kommt nicht. Loskes rufen immer wieder an, fühlen sich abgewimmelt, eine E-Mail an den Verein bleibt unbeantwortet. Seinem Vater geht es derweil immer schlechter, erinnert sich Lauritz: "Wenn ein Mensch in der Pflege ist, der nicht in der Pflege sein möchte, der nicht gewickelt werden möchte, der nicht gewaschen werden möchte … das war nicht mehr würdevoll – er wollte es einfach nicht."
Karl-Heinz Loske stirbt – nicht selbstbestimmt
Karl-Heinz Loske resigniert und sammelt heimlich Tabletten. Im April 2024 versucht er, sich das Leben selbst zu nehmen. Doch der Suizidversuch scheitert. Mehr noch: Er macht alles viel schlimmer. Nach dem Suizidversuch erleidet Loske eine Magenblutung. Das Palliativteam setzt eine Schmerzpumpe. Am 27. April beginnt ein stundenlanger Todeskampf. Karl-Heinz Loske stirbt. Aber nicht selbstbestimmt, wie er es sich wünschte.
Vereinspräsident: "Tragischer Ablauf"
Die Dokumentation von Kontrovers – Die Story zeigt: Karl-Heinz Loske ist nicht der einzige, dessen Hoffnungen an den Verein "Sterbehilfe" unerfüllt blieben. Doch wie konnte es so weit kommen?
Roger Kusch, der Präsident des Vereins "Sterbehilfe", sieht im Fall Loske zunächst keine Fehler beim Verein. Herr Loske habe sich schlicht zu spät angemeldet, so Kusch: "Wer über Jahre mit einer unheilbaren Krankheit lebt und dann gehen ihm die Nerven durch, weil eine Zeit nicht so eingehalten wird, wie er sich's vorstellt, und einen Suizidversuch unternimmt: Das ist ein deutlicher Hinweis auf eine psychische Besonderheit."
Rückblickend scheint es Kusch sogar zweifelhaft, ob Karl-Heinz Loske aufgrund dessen eine Freiverantwortlichkeit bescheinigt worden wäre.
Im Nachhinein sei es ein "sehr bedauerlicher" und "menschlich tragischer Ablauf" gewesen, so Kusch im Interview mit Kontrovers – Die Story. Über die Tragik, so Kusch weiter, sei man sich bewusst gewesen "und auch die mögliche Eigenverantwortung für Teile der Tragik". Deshalb habe der Verein nach dem Tod von Karl-Heinz Loske den Großteil des Geldes an die Familie zurücküberwiesen.
Sohn: "Das kann nicht sein"
Das Geld, so Lauritz Loske, kompensiere nicht die Grausamkeit der Todesumstände seines Vaters. Er bleibt fassungslos zurück. Darüber, dass sein Vater und seine Familie das erleben mussten. Und darüber, dass es in der Politik noch immer keine Einigung gibt.
Dass das Thema schwer und sensibel ist, weiß er, aber "es kann deswegen nicht heißen, dass sterbenskranke Menschen – wo man weiß: sie werden sterben, sie haben Schmerzen deswegen – nicht die Option gibt, weil man sich vielleicht im Bundestag noch nicht darauf geeinigt hat, wie man mit irgendwelchen anderen Fällen dabei umgeht. Das kann nicht sein."
Trotz aller Erfahrungen befürwortet Lauritz Loske Sterbehilfe noch immer – mit Abläufen jedoch, auf die man sich verlassen kann.
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