Als Birgit Menning nach der Starkregennacht am 18. Juli ihr Haus verlassen musste, hatte sie die schrecklichen Bilder von der Flutkatastrophe im Ahrtal im Kopf. "Ich dachte, ich sehe mein Elternhaus vielleicht zum letzten Mal, in zwanzig Minuten haben wir so viel wie möglich eingepackt." Dann ist Familie Menning zusammen mit rund 200 Personen entlang der Königsseer Ache evakuiert worden. Eine Vorsichtsmaßnahme, weil auch am Tag danach große Regenmengen vorhergesagt wurden.
Doch zum Glück blieb der Regen aus und die Anwohner durften bald darauf wieder in ihre Häuser zurück. Es ist nicht das erste Hochwasser, bereits 2002 und 2005 hat es in Schönau am Königssee extreme Hochwasser-Ereignisse gegeben.
"Was passiert beim nächsten Starkregen?"
Birgit Menning bereiten Regennächte deshalb nicht erst seit dem Starkregen im Juli schlaflose Nächte. "Was passiert beim nächsten Starkregen, wann wird gehandelt, dass das Geschiebe aus der Königsseer Ache entfernt wird, wann werden wir Anwohner endlich mehr geschützt", fragt sie.
Schuld an ihren Sorgen ist den Anwohnern zufolge der zu hohe Wasserstand am Königssee. Über die Stauklappen steuert die Bayerische Seenschifffahrt den Wasserstand des Sees und damit auch den Abfluss in die Königsseer Ache.
Bayerische Seenschifffahrt ist verantwortlich für Seepegel
Um zu verhindern, dass die Boote an den Anlegestellen und in den Bootshäusern auf Grund laufen, darf der Schifffahrtsbetrieb die Seehöhe offiziell um 13 Zentimeter über Null anheben. Das führt immer wieder zu Konflikten. Denn je mehr der Wasserpegel bei Regen steigt, umso mehr Wassermassen drücken sich durch die geöffneten Schleusen hindurch. Schließt man die Schleusen, staut sich der See zu stark auf und dann sind wiederum die Seeanlieger betroffen.
Anwohner fordern permanente Absenkung des Königssees
Hannes Graßls Haus steht etwa 50 Meter von der Königsseer Ache entfernt. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich vier Aktenordner mit Aufzeichnungen, Hochwasserdaten und Studienergebnissen. "Ich bemühe mich jetzt seit 17 Jahren, dass der Seepegel am Königssee dauerhaft abgesenkt wird."
Seenschifffahrt senkt See bei Starkregenprognosen temporär ab
Im Fall einer Unwetterwarnung oder Hochwasser greift die Bayerische Seenschifffahrt bereits jetzt schon in die automatische Schleusensteuerung ein, um den See vorab abzusenken und bei Regen solange wie möglich konstant zu halten. So zum Beispiel auch am Tag vor dem Unwetter am 17. Juli.
Unverlässliche Wetterprognosen erschweren angemessene Reaktion
Doch die Anwohner verfolgen die Pegelstände und Abflussmengen über den Hochwassernachrichtendienst ganz genau. Man hätte noch mehr absenken müssen, kritisieren sie. Die Seenschifffahrt entgegnet, es sei sehr schwierig, das genaue Maß zu finden, da die Regenereignisse, insbesondere in den Alpentälern, nur selten verlässlich vorhergesagt werden können. Oft seien einzelne Gemeinden oder sogar nur Gemeindeteile betroffen. "Wir lernen bei jedem Starkregenereignis dazu."
Bürgerengagement bisher erfolglos
Auf der Suche nach besseren Lösungen hat sich Hannes Graßl Niederschlags- und Pegelmessungen besorgt, Briefe an die Behörden geschickt und zusammen mit anderen Betroffenen eine Petition im Landtag eingereicht. Zuletzt schickten die Anwohner einen Brief an den Umweltminister Thorsten Glauber.
Studie zeigt: Abgesenkter Wasserpegel würde Anwohner schützen
Eine Studie im Auftrag des Wasserwirtschaftsamts aus dem Jahr 2007 gibt den Anwohnern aus wasserwirtschaftlicher Sicht recht. Dort heißt es "empfohlen wird eine permanente Vorabsenkung des Königssees. Eine Vorabsenkung von zehn bis 20 Zentimeter würde deutliche Verbesserungen für die Seeanlieger und die Unterlieger an der Königsseer Ache mit sich bringen." An den Empfehlungen hat sich laut Wasserwirtschaftsamt auch bis heute kaum etwas geändert.
Grafik: Kurve des Abflusses bei Hochwasser aus dem Königssee
Kosten für Seenschifffahrt vergleichsweise gering
Laut Studie sind die Kosten für die Maßnahmen im Verhältnis zum gewonnenen Wasserrückhaltervermögen des Sees relativ gering. Dafür müssten zum Beispiel einige Bootshäuser neue Fundamente bekommen, die Anlegestege abgesenkt und der See an den Anlegestellen ausgebaggert werden. Das sei mitunter eine "große Herausforderung", sagt der Geschäftsführer der Bayerischen Seenschifffahrt Michael Grießer. Das Geschäft mit den Fahrgästen ist allerdings lukrativ: In guten Jahren verzeichnet das Unternehmen an allen vier Seen rund 1,5 Millionen Fahrgäste.
Bürgermeister befürwortet moderate Absenkung
Nach Ansicht von Hannes Rasp, dem Bürgermeister von Schönau am Königssee, sind die Kosten für die nötigen Ausbaggerungen grundsätzlich kein Argument gegen eine Seepegel-Absenkung von bis zu zehn Zentimetern. Momentan sei es allerdings dringlicher, dass das Geröll in der Königsseer Ache entfernt werde, das die Nebenflüsse in der Starkregennacht in das Flussbett hineingeschoben haben. Denn auch dadurch könne das Flussbett weniger Wasser aufnehmen.
Naturschutzbehörden weisen Seepegel-Absenkung zurück
Die wohl entscheidendste Rolle in der Diskussion um den Wasserstand am Königssee spielt der Naturschutz. Der Königssee ist ein streng geschützter Naturraum, ein Alpensee mit Trinkwasserqualität, noch dazu ein Nationalpark.
Die Naturschutzbehörden haben die Empfehlung der Studie bereits vor vielen Jahren klar zurückgewiesen. Der Nationalpark nimmt dazu nur schriftlich Stellung: "Die dauerhafte Absenkung würde die wasserabhängige Vegetation der Ufer und darunter insbesondere das in seiner Form einmalige Moor am Saletstock erheblich gefährden."
Gefährdete Biotope und Laichgebiete
Das Hochmoor am Saletstock ist nach dem bayerischen Naturschutzgesetz ein besonders schützenswertes Biotop am Südende des Königssees. Die Studie weist auch darauf hin, dass bei einer permanenten Absenkung des Wasserspiegels negative Auswirkungen auf das Ökosystem möglich sind. Außerdem könnten die Laichgebiete im Flachwasserbereich betroffen sein.
Ausnahmen nur, wenn Allgemeinwohl überwiegt
Grundsätzlich ist es nach der Nationalparkverordnung verboten, die Seeufer, Wasserläufe und den Grundwasserstand zu verändern. Ausnahmen sind zwar im Einzelfall möglich, aber nur, wenn Gründe des Allgemeinwohls überwiegen. Ob ein zehn Zentimeter tiefer liegender Königssee erhebliche negative Umweltfolgen hat, ist bisher noch nicht weiter untersucht worden.
Die Anlieger fragen sich weiterhin: Ist überhaupt eine Verschlechterung des natürlichen Zustands des Königssees zu erwarten und steht der Naturschutz über dem Hochwasserschutz der Bürger?
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!