Eine Patientenuntersuchung im Malteser Waldkrankenhaus in Erlangen: Stationsleiterin Christina Kattler-Lieb und ihr tunesischer Kollege Ahmed Mrabet messen den Blutdruck und kontrollieren eine Infusion. Ahmed Mrabet kommt aus Monastir in Tunesien. Er arbeitet hier als Pflegefachkraft. In seiner Heimat ist Pflege ein akademischer Studiengang. Der 32-Jährige hat bereits an tunesischen Kliniken gearbeitet, bevor er sich vor einem Jahr entschied, nach Erlangen ans Waldkrankenhaus zu gehen. Auf die Frage, ob er dort bleiben möchte, kommt die Antwort sofort: "Na freilich, ja, das gefällt mir schon so jetzt."
46 Pflegefachkräfte aus Tunesien angeworben
Linda Bayrem kam zur selben Zeit wie Ahmed Mrabet, auch aus Monastir. Die beiden gehören zu einer Gruppe von inzwischen 46 tunesischen Pflegefachkräften, die im Erlanger Waldkrankenhaus arbeiten. Nach der Corona-Pandemie seien viele heimische Fachkräfte aus dem Beruf ausgestiegen, sagt der Erlanger Pflegedirektor Thomas Paule. "Deswegen haben wir den Schritt gewagt, ins Ausland zu gehen, haben da erst in Osteuropa versucht und sind dann nach Tunesien gekommen."
Seit 2020 sucht das Krankenhaus in Eigenregie nach Fachkräften. Mit einem tunesischen Vermittler, den die Klinikleitung persönlich kennt, hätten sie gute Erfahrungen gemacht, erzählt Paule. Der Mann habe, bevor er in sein Heimatland zurückgekehrt sei, selbst als Kranken- und Gesundheitspfleger in Erlangen gearbeitet.
Mehr Bewerber als Jobs
Eingestellt würden nur Pflegefachkräfte, die gut Deutsch sprechen, so Paule. Die Agentur des tunesischen Vermittlers wählt sie aus und organisiert ausführliche Online-Vorstellungsgespräche, die der Erlanger Pflegedirektor auf Deutsch führt. Eine Zusage bekommt nur, wer den Eindruck vermittelt, dass er langfristig bleibt und sich in Erlangen wohlfühlen wird. Weil sich im Freundeskreis der Tunesier herumspricht, dass das Malteser Waldkrankenhaus in Erlangen Neuankömmlingen viel Unterstützung bietet, gibt es inzwischen sogar mehr Interessenten als genommen werden können. Abgebrochen hat die Ausbildung bislang niemand, auch das spricht für das Erfolgsmodell.
Ehrenamtliche geben Pflegekräften Sprachkurse
"Das Ziel ist, dass wir hier nicht nur Lücken schließen, sondern dass die Mitarbeiter aus dem Ausland länger bleiben, dass sie hier eine neue Heimat finden", sagt Pflegedirektor Thomas Paule über die Anwerbungen aus Tunesien. Sein Krankenhaus versuche, das Ankommen zu erleichtern. Die tunesischen Pflegefachkräfte sprächen Deutsch auf B1-Niveau, wenn sie nach Erlangen kommen. Paule zufolge werden Ehrenamtliche eingesetzt, die Sprachunterricht geben und die Tunesier auf die B2-Prüfung in Deutsch vorbereiten. Diese erfolge nach drei Monaten, so der Pflegedirektor.
Erlanger Krankenhaus kümmert sich um Wohnungen
Parallel dazu bekommen die Tunesier in Vorbereitungskursen die praktischen Kenntnisse vermittelt. Nach sechs bis zwölf Monaten machen sie die sogenannte Kenntnisprüfung. Bestehen sie diese, bekommen sie ihre Anerkennung und können im Waldkrankenhaus als Pflegefachkräfte eingesetzt werden. Bislang habe nur eine Pflegekraft die Prüfung nicht geschafft, heißt es.
Auch um geeigneten Wohnraum für die Neuankömmlinge kümmere sich die Krankenhausfamilie, so der Pflegedirektor. Das Waldkrankenhaus habe ein eigenes Wohnheim mit Appartements, die zur Verfügung stünden, bis geeigneter Wohnraum gefunden sei.
Paten-System hilft bei der Einarbeitung
Die Willkommens-Kultur wird im Malteser Waldkrankenhaus in Erlangen großgeschrieben. Um den Einstieg zu erleichtern, bekommt jede tunesische Pflegefachkraft einen Paten oder eine Patin zur Seite gestellt. Die Paten unterstützen bei Fragen oder Problemen. Der jeweilige Pate ist bereits bei der Einarbeitung der tunesischen Pflegefachkraft beteiligt.
Die Dienstpläne würden anfangs so geschrieben, dass die beiden immer zusammenarbeiten, sagt Pflegedirektor Thomas Paule. Von Vorteil sei, dass viele Tunesier aus der gleichen Gegend kämen und in Erlangen wieder zusammenfänden, so Paule. Vorteilhaft für deren Integration sei zudem, dass die Tunesier ihren eigenen Freundeskreis nachzögen. Auch der Familiennachzug habe einen hohen Stellenwert im Waldkrankenhaus. Egal ob Partner oder Kinder, man unterstütze Familienmitglieder, die nach Erlangen kommen möchten.
Nachwuchs aus der eigenen Pflegeschule
Darüber hinaus bekommt das Waldkrankenhaus auch den Nachwuchs aus der eigenen Pflegeschule. 175 Schülerinnen und Schüler aus der ganzen Welt absolvieren im Malteser Bildungsinstitut für Gesundheitsberufe in Erlangen die Ausbildung zur Pflegefachkraft. Wer dort anfangen möchte, muss gut Deutsch sprechen, B2-Niveau ist Voraussetzung. Häufig hätten die Bewerberinnen und Bewerber in Deutschland bereits als Au-pair bei einer Familie gearbeitet oder in einer Einrichtung ein freiwilliges soziales Jahr absolviert.
Über soziale Medien verbreitet sich schnell im Freundeskreis, dass in Erlangen die Einbindung in die Schul- und Krankenhausfamilie stimme. Die angehenden Pflegekräfte kommen zum Beispiel aus der Mongolei, aus Tadschikistan, Indien, Nepal, Simbabwe. 80 Prozent der angehenden Pflegekräfte stammen aus dem Ausland. Über die tunesische Vermittlungsagentur kommen nicht nur Pflegefachkräfte, sondern auch junge Tunesierinnen und Tunesier, die in Erlangen die Ausbildung zur Pflegefachkraft machen.
Ausbildungszahlen seit Corona mehr als verdoppelt
Im Corona-Jahr 2020 habe man eine zweite Ausbildungsklasse eingeführt, die im April beginnt – neben der traditionellen, die im September startet, sagt Tina Dinkel-Spiegl, Leiterin des Malteser Bildungsinstituts für Gesundheitsberufe in Erlangen. Seither hätten sich die Schülerzahlen mehr als verdoppelt. Wenn die Auszubildenden nach drei Jahren fertige Pflegefachkräfte sind, gehen die meisten ans Erlanger Waldkrankenhaus, da sie die praktischen Abläufe dort schon während ihrer Ausbildung kennengelernt haben. Schulleiterin Tina Dinkel-Spiegl gibt viel dafür, dass sich die Auszubildenden wohlfühlen und auch Spaß haben. Sie organisiert gemeinsame Ausflüge, Feste oder Seminare, in denen es um Team-Bildung geht. Die jungen Menschen bekommen weiterhin Deutschunterricht und je nach Bedarf auch ehrenamtliche Unterstützung durch Medizinstudierende aus Erlangen. Die nächste Ausbildungsklasse für April 2024 ist längst ausgebucht.
Eigenes Erfolgsmodell ersetzt teure Zeitarbeitskräfte
Tina Dinkel-Spiegl, die Leiterin des Malteser Bildungsinstituts für Gesundheitsberufe in Erlangen, sieht den Schlüssel zum Erfolg in der guten Zusammenarbeit mit der Pflegedirektion und den Pflegekräften des Waldkrankenhauses. Man sei in engem Austausch und versuche, bei Problemen gemeinsam und unbürokratisch Lösungen zu finden. Ziel sei, möglichst viele der fertig ausgebildeten Pflegefachkräfte in Erlangen zu halten, und das gelinge auch. Mit dem Nachwuchs aus der Schule und den Fachkräften aus Tunesien kann Pflegedirektor Thomas Paule bald auch ganz darauf verzichten, teure medizinische Zeitarbeitskräfte zu beschäftigen.
Fachkräfte-Anwerbung über die Bundesagentur kam nicht infrage
Thomas Paule, Pflegedirektor des Malteser Waldkrankenhauses in Erlangen, hat eine Fachkräfte-Anwerbung über die Bundesagentur für Arbeit nie in Erwägung gezogen. Rückblickend sagt er, für das Krankenhaus sei die Anwerbung von Fachkräften in Eigenregie auf jeden Fall der richtige Weg gewesen. Alles andere erschien zu bürokratisch, zu kostspielig und hätte alles viel zu lange gedauert. Mit Blick auf das erweiterte Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Bundesregierung, das ab März in Kraft treten soll, sagt Paule: "Wenn es dann mal von der Bundesregierung mehr Unterstützung gibt und das Ganze etabliert ist, würden wir uns freuen. Aber momentan ist das unser Weg, den wir einschlagen und wir denken, dass wir so die Leute länger ans Waldkrankenhaus binden können und die Integration weiterhin erfolgreich sein wird."
Hinweis der Redaktion:Wir haben den Artikel am 03.01.24 um 15.20 Uhr aktualisiert. In der ersten Version des Artikels hieß es, es seien 30 Fachkräfte aus Tunesien durch das Recruiting ins Malteser Waldkrankenhaus gekommen. Laut Angaben des Krankenhauses handelt es sich allerdings um 46 Pflegekräfte.
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