Schienenirrsinn, Stau und Pendlerchaos: Ist die Verkehrswende zu schaffen?
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Ehrenamtlicher Mitarbeiter des Fördervereins Ilztalbahn vor der Bundesautobahn A3 neben der ICE Hochgeschwindigkeitstrasse (Montage)

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Ist die Verkehrswende zu schaffen? Ein Blick nach Bayern

Ist die Verkehrswende zu schaffen? Ein Blick nach Bayern

Schienenverkehr fördern: Dieses Ziel steht seit Jahren in diversen Koalitionsverträgen. Aber wie sieht die Realität aus, klappt die Verkehrswende im Autoland? "Kontrovers – Die Story" hat sich in Bayern umgesehen.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Zwischen Büschen und Bäumen fahren Hans Madl-Deinhart und sein Team auf einer Mini-Lok für Gleisarbeiten durch den Bayerischen Wald bei Waldkirchen. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern vom "Förderverein Ilztalbahn" sucht er die Bahnstrecke nach umgefallen Bäumen ab.

Madl-Deinhart und die Vereinsmitglieder müssen mögliche Gefahren beseitigen, erklären sie in der Story von Kontrovers, "weil: Wenn ein Gewitter kommt, kann es sein, dass der Baum reinfällt in die Bahnlinie." Fast jeden Freitag im Sommer sind die Vereinsmitglieder hier unterwegs, kontrollieren den Zustand der Strecke.

Fünf bis acht Stunden dauert die Tour etwa. Manchmal länger, wenn viel anfällt. Sie machen das ehrenamtlich in ihrer Freizeit. Mit dabei: hauptberufliche Lokführer sowie Zugliebhaber.

Itztalbahn: Bahnfahren möglich – aber ehrenamtlich geführt

Auf knapp 50 Kilometern verläuft die Itztalbahn zwischen Passau und Freyung. Bereits in den 90er Jahren wurde dieser Streckenabschnitt, wie andere in der Region auch, erst zurückgefahren und schließlich gänzlich stillgelegt. Seit 2006 setzt sich der Förderverein Itztalbahn e.V. für die Reaktivierung ein, damit die Gleise auch unter der Woche wieder befahren werden können:

"Die Straßen sind voll, und die Bahnlinie liegt brach, und das war damals unser Ansinnen. Und dann haben wir gesagt, wir gründen einen Verein und versuchen, dass wir das schaffen. Und bis heute haben wir es eigentlich nicht geschafft." Hans Madl-Deinhart, Ehrenamtlicher, Förderverein Ilztalbahn e.V.

Immerhin: Der Verein schaffte es, dass die Gleise nicht zurückgebaut und etwa zu Fahrradstrecken umgestaltet wurden. Dafür mussten die Vereinsmitglieder der Bayerischen Eisenbahngesellschaft ein Nutzungskonzept vorlegen. Das Ergebnis: Der Verein fährt nun an den Wochenenden im Sommer selbst. Für Lokführer Jeron Thaler, der sich ehrenamtlich im Verein engagiert, ist klar, dass er so seinen Teil zur Verkehrswende beitragen kann, "weil der Individualverkehr verursacht den meisten Stau und der Zug ist einfach das Mittel der Zukunft."

Kontrovers – Die Story: Schienenirrsinn, Stau und Pendlerchaos: Ist die Verkehrswende zu schaffen?

Seit 1955: Etwa 15.000 Kilometer Schiene wurden stillgelegt

So wie zwischen Passau und Freyung gibt es in Bayern und Deutschland weitere ehrenamtlich betriebene Strecken: Die Granitbahn zwischen Passau und Hauzenberg basiert zum Beispiel ebenso auf Bürgerengagement. Etliche andere Streckenabschnitte in Deutschland wurden eingestellt und zum Teil zurückgebaut, weil sie als unwirtschaftlich galten: Laut dem ifo Institut München insgesamt etwa 15.000 Kilometer Strecke, mehr als jeder vierte Streckenkilometer.

Dabei wird die Verkehrswende seit Jahren in diversen Koalitionsverträgen der Regierungen als wesentliches Ziel definiert, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene.

Tatsächlich nimmt die Zahl der Autos in Deutschland sogar zu. Die Investitionen in das Straßennetz liegen weit über jenen in das Schienennetz.

Jährliche Investitionen in das Straßen- und Schienennetz in Deutschland

Deutschland droht mit seinen Investitionen in die Schieneninfrastruktur voraussichtlich hinter anderen europäischen Ländern zu landen. Die derzeitige Bundesregierung hat diesbezüglich im Koalitionsvertrag nun festgehalten:

"Dabei wollen wir erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren, um prioritär Projekte eines Deutschlandtaktes umzusetzen." Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 38

Vieles soll besser werden: Eine bessere Taktung, alle Busse und Bahnen aufeinander abgestimmt, deutschlandweit – genannt "Deutschlandtakt". Dafür jedoch müsse das gesamte Bahnsystem aufeinander abgestimmt werden, gibt Verkehrsforscher Thorsten Koska im Interview mit Kontrovers– Die Story zu bedenken: "Das ist kompliziert. Dafür müssen auch viele Strecken neu gebaut werden." Es könnte laut Koska noch 25 Jahre oder länger dauern, bis der Deutschlandtakt tatsächlich umgesetzt werden kann.

Straße oder Schiene: Das Henne-Ei-Problem der Verkehrswende

Derzeit jedoch überwiegt laut dem Statistischen Bundesamt der Individualverkehr in Deutschland. Die Folge zeigt sich auch auf den Straßen: In München etwa verbrachten Autofahrer im Jahr 2023 im Durchschnitt 52 Stunden im Stau.

"Man hat es versäumt, sich Ziele zu setzen und daraus eine funktionierende Strategie abzuleiten. Man hat Verkehrspolitik zum einen als Auto-Förderpolitik begriffen und zum anderen in den anderen Bereichen, Radverkehr, Schienenverkehr, ein kleinteiliger Flickenteppich aus Einzelmaßnahmen, wo die rechte Hand nicht weiß, was die Linke tut", sagt Koska. "Und deshalb haben wir heute so viele Brüche und so viel Frustration auch. Und deshalb funktioniert die Verkehrswende bisher nicht so richtig."

Der Verkehrsforscher nennt ein Beispiel, wo es besser funktioniert: "Wenn wir zum Beispiel in die Schweiz schauen. Dort ist der Anteil des Personenverkehrs auf der Schiene doppelt so hoch wie in Deutschland. Und das liegt eben auch daran, dass deutlich mehr in die Schiene investiert wird." Zudem sei die Schiene dort verlässlicher als in Deutschland.

Einen Grund sieht er auch in den im europäischen Vergleich hohen Trassenpreisen. Sie sind eine Art Miete für die Gleisnutzung. "Die hohen Trassenpreise machen es unattraktiv, auf die Schiene zu gehen", sagt Koska – sowohl für den Personen- als auch für den Güterverkehr.

Durchschnittliche Trassenpreise 2017

B16 bei Manching: Straße statt Schiene

Entlang des oberbayerischen Manching verläuft die B16. Sie ist eine der wichtigsten Bundesstraßen Bayerns – und soll nun ausgebaut werden. Zwischen Neuburg und Manching soll die B16 vierspurig und durch eine Mittelleitplanke getrennt werden.

Gegen den Ausbau regt sich Widerstand, etwa durch Margaretha Bauernfeind. Sie ist Mitbegründerin der Initiative "Lebenswertes Manching – Stopp B16-Ausbau e.V." und wohnt 200 Meter von der B16 entfernt. Die Fachanwältin für Verkehrsrecht fordert mit der Initiative den Ausbau-Stopp einerseits, eine bessere Schienenanbindung für Manching andererseits.

Verkehrsforscher: Verkauf von Schieneninfrastruktur war "tragisch"

Denn: Während es früher drei Bahnhalte in Manching gab, befindet sich heute kein einziger Passagierbahnhof mehr dort: Der Personenverkehr am Manchinger Bahnhof wurde 1980 eingestellt.

Das ehemalige Bahnhofsgebäude wird heute für Schulungen genutzt, der Rest des Geländes wurde verkauft. "Jetzt wurde ein Autohaus draufgebaut", erzählt Bauernfeind. Der Verkauf wichtiger Infrastruktur sei aus heutiger Perspektive "tragisch", meint Verkehrsforscher Thorsten Koska:

"Weil es damals diesen Kosteneffizienzdruck gab. Heute versucht man tatsächlich in eine andere Richtung zu gehen. Es ist allerdings ein langer Weg und viele Bahnhofsgebäude wird man nicht mehr zurückbekommen und muss sich dann was Neues überlegen." Thorsten Koska, Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie

Manching: Schienen gibt’s – nur keine Station

In Manching sind indes die Schienen weiter in Betrieb. Sie halten jedoch nicht in Manching selbst. Die Initiative um Bauernfeind möchte das ändern und den ÖPNV in ihrem Ort verbessern. Die Gemeinde prüft nun zumindest gemeinsam mit der Bahn, ob einer der Bahnhalte reaktiviert werden könnte. Noch stehen die Ergebnisse jedoch aus.

Doch in Bayern gibt es auch Erfolge für die Schiene: In Franken gab es viele Diskussionen und Bürgerentscheide. Jetzt steht fest: Die 18 Kilometer lange Stadt-Umland-Bahn zwischen Nürnberg und Erlangen wird gebaut. Und die Waldbahn zwischen Gotteszell und Viechtach in Niederbayern ist inzwischen in den Regelbetrieb aufgenommen worden.

Darauf hoffen auch Hans Madl-Deinhart und die Ehrenamtlichen des Fördervereins rund um die Ilztalbahn im Bayerischen Wald. Bis dahin fahren sie weiter ehrenamtlich an Wochenenden und Feiertagen. Und sind bereit, auch weiterhin unbezahlt am Erhalt der Strecke zwischen Passau und Freyung zu arbeiten.

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