Die Heilerziehungspflegerin Kerstin Strahl arbeitet in der großen Einrichtung für Menschen mit Behinderung der Barmherzigen Brüder im oberpfälzischen Reichenbach im Landkreis Cham. Mehr als 30 Jahre war sie dort in einer Schwerbehindertengruppe, oft in belastenden Wechselschichten. Das bedeutete zum Beispiel Dienst bis 21 Uhr abends, um am nächsten Morgen schon um halb sieben wieder anzufangen. Irgendwann konnte sie nicht mehr.
Mitarbeitervertretung hilft nach Beinahe-Burn-Out
"Ich habe Schlafstörungen bekommen, konnte einfach nicht mehr abschalten. Ich war kurz vor einem Burn-Out." Auch körperlich wurde ihr die Arbeit mit der Pflege Erwachsener zu schwer. Aber "zum Chef gehen und sagen, ich schaffe es nicht mehr", davor schreckte sie zurück. Dazu kam das Verantwortungsgefühl für die Schwerbehinderten. "Das waren ja meine Kinder, obwohl es ja Erwachsene sind. Ich dachte immer, ohne mich geht es nicht."
Aber Kerstin Strahl wurde krank. Nach einer Reha wollte sie zwar in den Beruf zurück, aber eine leichtere Aufgabe im Haus übernehmen. Dabei half ihr die Mitarbeitervertretung des Hauses, kurz MAV. Heute arbeitet die 56-Jährige in der Seniorenbetreuung von Reichenbach, wo sie nur noch Tagschichten hat und es keine schweren Pflegefälle gibt.
Beratung und Hilfe bei Konflikten
Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie die Mitarbeitervertretung der Barmherzigen Brüder Behindertenhilfe in Reichenbach die insgesamt rund 1.050 Beschäftigten der Einrichtung unterstützen kann. Beratung, Hilfe in Konfliktfällen, Schaffen von besseren Arbeitsbedingungen – dafür setzen sich die 13 Männer und Frauen in Reichenbach ein.
Nur der Vorsitzende ist dafür von der Arbeit frei gestellt, sein Stellvertreter und die Schriftführerin nur teilweise. Ihnen allen ist ihr Einsatz wichtig: "Ich glaube, man braucht ein Kontrollorgan, damit die Mitarbeiter informiert sind, was der Arbeitgeber eigentlich mit dem Geld macht oder was er für die nächsten Jahre plant", sagt Tom Fischer, stellvertretender MAV-Vorsitzender und Nacht-Krankenpfleger.
Die MAV erreicht immer wieder Verbesserungen für die ganze Belegschaft. So gibt es zum Beispiel ein zweites Arbeitszeitkonto für Überstunden, mit dem man den Freizeitausgleich selbst bestimmen kann. Aktuell engagiert sich die MAV für eine betriebliche Lösung zum altersgerechten Arbeiten.
Weniger Rechte als klassische Betriebsräte
In kirchlichen Einrichtungen gibt es keine klassischen Betriebsräte. Die Beschäftigten dürfen auch nicht streiken. Für die Mitbestimmung gilt hier der sogenannte "dritte Weg". Arbeitgebervertreter der Kirche und Arbeitnehmervertreter müssen "paritätisch verhandeln" – also gleichberechtigt –, erklärt der Reichenbacher MAV-Vorsitzende Ludwig Strahl. Leitgedanke dabei ist die "Dienstgemeinschaft", die den kirchlichen Auftrag gemeinsam erfüllt.
Für Ludwig Strahl ist das Modell in Ordnung, denn in vielen dieser Einrichtungen gehe es um hilfsbedürftige Menschen: "Man möchte zwar mehr Rechte haben, aber ab und zu muss man das Gesetzbuch zur Seite legen und Entscheidungen zum Wohle der behinderten Menschen treffen."
MAV: Mitbestimmung auch in kirchlichen Betrieben wichtig
Dafür, wie gut sie ihre Rechte und Spielräume nutzt, so die Begründung, hat der Deutsche Gewerkschaftsbund Bayern der MAV in Reichenbach jetzt den "Bayerischen Mitbestimmungspreis 2024" verliehen. Die MAV zeige mit ihrem Einsatz, "dass Mitbestimmung auch in kirchlichen Betrieben möglich und wichtig ist."
Die Geschäftsleitung in Reichenbach begrüßt übrigens die Mitbestimmung. "Es ist gut, wenn man eine anwaltliche Funktion mit dabei hat. Das macht auch viele Dinge leichter", sagt Roland Böck, einer der Geschäftsführer. Die "Alleinherrscherrolle" mache nicht immer Sinn.
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