Das Umspannwerk in Reichertshofen beim Hochwasser extrem. Am vergangenen Sonntag standen die Helfer bis zu den Oberschenkeln im Wasser.
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Das Umspannwerk in Reichertshofen beim Hochwasser extrem. Am vergangenen Sonntag standen die Helfer bis zu den Oberschenkeln im Wasser.

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Kritik am Standort des überfluteten Umspannwerks Reichertshofen

Kritik am Standort des überfluteten Umspannwerks Reichertshofen

Im Landkreis Pfaffenhofen hat das Hochwasser seit Sonntag das Stromnetz von Zigtausenden Menschen lahmgelegt. Der Grund: Das Umspannwerk in Reichertshofen stand unter Wasser und musste vom Netz. Jetzt gibt es harsche Kritik in den Sozialen Medien.

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Bis zu den Oberschenkeln im Wasser standen die Rettungskräfte am Sonntag am Umspannwerk Reichertshofen. Sie stapelten Sandsäcke auf Sandsäcke, um das Wasser aufzuhalten, aber es kam einfach zu viel von der Paar und einem weiteren kleinen Bach. Und das innerhalb weniger Stunden.

Am Sonntagnachmittag war klar: Das Hochwasserextrem flutet auch das Gelände des Umspannwerks. Aus Sicherheitsgründen musste der Energieversorger Bayernwerk es abschalten. In der Folge waren bis zu 50.000 Menschen ohne Strom. Auf X machte sich ein Reichertshofener Bürger Luft.

Umspannwerk "mitten im Überschwemmungsgebiet"?

Der Mann, der selbst hoch oben auf dem Reichertshofener Schafberg wohnt und ohne Schaden davonkam, sieht hier ein Versagen der Politik: Das Umspannwerk sei "mitten ins Überschwemmungsgebiet gebaut". Die Ämter hätten versagt. Sie hätten keine Genehmigung für den Bau erteilen dürfen. Schon beim Hochwasser 2013 sei das Umspannwerk überschwemmt worden und im Anschluss außer Betrieb gewesen.

Einsatzleiter entschärft Vorwurf der mehrfachen Überschwemmung

Der letzten Aussage widerspricht Christian Nitschke. Er ist Kreisbrandrat und aktuell Einsatzleiter im Katastrophenlandkreis Pfaffenhofen. Nitschke erinnert sich: Beim Jahrhunderthochwasser 2013, das ja auch Reichertshofen betroffen hat, "mussten wir um das Umspannwerk kämpfen, aber wir haben es geschützt".

Diese Aussage bestätigt auch der zuständige Energieversorger Bayernwerk: "Nach dem Bau 1993 ist es 2013 erstmals zu einer Hochwassersituation gekommen, die die Freiluftanlage betroffen hat. Eine Überflutung konnte damals mit Sandsäcken erfolgreich verhindert werden. Infolgedessen ist 2015 ein Schutzwall errichtet worden, der die aktuellen HQ100-Kriterien berücksichtigt".

Pfaffenhofener Landrat wehrt sich gegen Kritik

Doch auch der knapp zehn Jahre alte Wall hat beim aktuellen Hochwasser nicht gereicht, bedauert der Pfaffenhofener Landrat Albert Gürtner. "Vor ein paar Tagen haben wir die Situation gehabt, dass die zweifache Menge an Wassermassen gekommen ist, was eigentlich für diesen Bereich unvorstellbar war".

Grundsätzlich wehrt sich auch der Pfaffenhofener Landrat gegen die Kritik auf X. Seine Behörde hat 1993 die Genehmigung für das Umspannwerk erteilt, also lange bevor Gürtner selbst ins Amt kam. Der Landrat hat sich nach der Kritik in den Sozialen Medien die Karten für Reichertshofen aus dem sogenannten Bayernatlas vorlegen lassen, also das Kartenmaterial, das die Bayerische Staatsministerium verantwortet.

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Kartenmaterial aus dem Bayernatlas.

Drei Gefährdungsgrade für Hochwasser

In diesen Karten gibt es für Hochwasser drei Gefährdungsgrade: Überschwemmungsgebiete, die regelmäßig Wasserhochstände erleben. Sogenannte "HQ100-Gebiete", die von Jahrhunderthochwasser betroffen sein können und "HQ100 Extrem-Gebiete". Hier werden alle Gebiete kartiert, die von Hochwasser wie dem aktuellen erreicht werden.

Heute erfüllt das Umspannwerk den HQ100 Schutz-Standard. Ein HQ100 bezeichnet einen Hochwasserabfluss, der im statistischen Mittel einmal in 100 Jahren erreicht oder überschritten wird. Der Begriff wird verwendet, um die Größe und Wahrscheinlichkeit eines Hochwassers zu beschreiben, das statistisch sehr selten vorkommt, aber potenziell verheerende Auswirkungen hat.

Umspannwerk Reichertshofen liegt im Jahrhunderthochwasser-Gebiet

Landrat Gürtner stellt klar: Anders die Kritik auf X andeutet falle das Umspannwerk in Reichertshofen nicht in die einfache Kategorie Überschwemmungsgebiet. Das erklärt auf Anfrage auch der aktuelle Energieversorger, das Bayernwerk Netz. Heute erfüllt das Umspannwerk diesen HQ100 Schutz-Standard.

Die heutige Kategorien waren "früher kein Begriff"

Der langjährige Feuerwehrmann und Kreisbrandrat Christian Nitschke gibt zu Bedenken, dass bei früheren Baugenehmigungen die heute allgemein bekannten Kategorien von "HQ100" und "HQ100 Extrem" nicht bekannt waren. Nach seiner Einschätzung waren diese Begriffe bis zum Jahrhunderthochwasser 2013 "eigentlich kein Begriff". Auch nicht unter den Feuerwehrleuten. "Zumindest nicht bei uns in der Region. Vor dem Jahrhunderthochwasser 2013 hat bei uns niemand davon gesprochen."

Auch im Innenministerium, das auch für Katastrophen wie Hochwasser zuständig ist, konnte die Pressestelle die aktuelle Frage des Bayerischen Rundfunks, seit wann es diese Kategorien gibt, nicht auf die Schnelle klären. Eine Rückmeldung aus dem Umweltministerium liegt aktuell noch nicht vor. Landrat Gürtner deutet das als Hinweis, dass wohl auch bei der Genehmigung des Umspannwerks in Reichertshofen "vor über 30 Jahren noch nicht in diesen Kategorien gedacht worden ist". Diese Einschätzungen teilt auch das Bayernwerk: "Zum Zeitpunkt des Baus hat es die Risiko-Berechnungen nicht gegeben", so ein Sprecher des Unternehmens.

Verlegung des Umspannwerks schon geplant für 2027 oder früher

Der Energieversorger betont, dass er schon vor dem aktuellen Hochwasser Pläne verfolgt hat, dass Umspannwerk Reichertshofen an einem sichereren Standort zu verlegen. "Durch den starken regionalen Zuwachs an Einspeisung ist in Reichertshofen ein deutlich erweitertes Umspannwerk und eine Verlagerung des Standorts bereits in Planung. Die technische Erweiterung und die Verlegung waren 2027 vorgesehen. Die Pläne bestehen weiterhin und werden durch die Folgen des Hochwassers gegebenenfalls beschleunigt. Die Fläche für einen Neubau wird grundsätzlich außerhalb von HQ100-Gebieten liegen."

Wie das Unternehmen erklärt, "meidet" es "bei der Standortsicherung beziehungsweise bei der Grundstücksauswahl für neue Umspannwerke und Schaltstationen Hochwasserrisikogebiete im HQ100-Bereich".

Nach wie vor Stromausfälle - Reparaturarbeiten laufen

Aktuell laufen im Hochwassergebiet Reichertshofen die Aufräumarbeiten. Viele der ursprünglich 50.000 Menschen ohne Strom haben mittlerweile wieder Elektrizität, aber längst nicht alle. Aktuell laufen die Reparaturarbeiten. Wann das Umspannwerk wieder ans Netz genommen wird, kann das Bayernwerk noch nicht sagen.

"Die Wiederversorgung in Reichertshofen ist über alternative Netzverbindungen weit fortgeschritten, teilweise jedoch noch eingeschränkt. Bis Ende dieser Woche wird das Umspannwerk von Bayernwerk-Experten gesichtet und die technischen Einrichtungen geprüft. Anschließend kann das Ausmaß der Beschädigungen bewertet und über eine mögliche Wiederinbetriebnahme entschieden werden", teilte das Unternehmen auf BR-Anfrage mit.

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