Sie zeigen ein Verhalten, das bisher nur vom Menschen bekannt war: Die Florida-Holzameisen amputieren vorsorglich Gliedmaßen, um das Leben verwundeter Artgenossinnen zu retten. Bei bestimmten Verletzungen an den Beinen beißen sie diese komplett ab. Eine Forschungsgruppe der Universitäten im unterfränkischen Würzburg und im schweizerischen Lausanne hat dieses Verhalten entdeckt.
90 Prozent überleben Amputation
Ob die Ameisen diesen radikalen Schritt gehen, hängt demnach davon ab, wie nah sich die Wunde am Körper befindet. Denn der rabiate Eingriff verhindere, dass sich lebensgefährliche Wundinfektionen im Körper der Ameisen ausbreiten, berichtet die Forschungsgruppe um den Würzburger Ameisenforscher Erik Frank. Die Erfolgsrate sei sehr gut: Rund 90 Prozent der amputierten Tiere überleben die "Behandlung". Trotz des Verlusts eines ihrer sechs Beine könnten sie danach ihre Aufgaben im Nest wieder im vollen Umfang übernehmen.
Amputiert wird nur bei verletztem Oberschenkel
Eine weitere verblüffende Beobachtung: Die Ameisen schreiten nur dann zur Amputation, wenn die Beinverletzungen am Oberschenkel liegen – egal ob die Wunden steril oder mit Bakterien infiziert sind. Befinden sich die Wunden dagegen am Unterschenkel, wird den Angaben zufolge niemals amputiert. Stattdessen treiben die Ameisen in solchen Fällen einen höheren Aufwand bei der Pflege der Verwundeten: Sie lecken die Wunden intensiv aus. Vermutlich säubern die Tiere die Wunden damit auf mechanischem Weg von Bakterien. Auch diese Therapie sei mit einer Überlebensrate von rund 75 Prozent relativ erfolgreich.
Aussichtslos: Amputation bei verletzten Unterschenkeln
Um die Frage zu beantworten, warum die Ameisen nicht auch bei Unterschenkelverletzungen amputieren, führten die Forschenden selbst Amputationen bei Ameisen mit verwundeten und bakteriell infizierten Unterschenkeln durch. Das Ergebnis sei überraschend ausgefallen: Die Überlebensrate lag dann bei nur noch bei 20 Prozent.
Die Erklärung dafür: Computertomographische Untersuchungen zeigten, dass im Oberschenkel der Ameisen viele Muskeln sitzen, deren Aktivität für die Zirkulation des "Ameisen-Bluts", der sogenannten Hämolymphe sorgt. Ameisen besitzen kein zentral pumpendes Herz wie Menschen, sondern mehrere über den Körper verteilte Herzpumpen und Muskeln, die diese Funktion übernehmen, so das Forschungsteam. Verletzungen an den Oberschenkelmuskeln behinderten also auch die Zirkulation, so die Forschenden. Weil der Blutfluss gemindert sei, gelangten Bakterien nicht so schnell von der Wunde in den Körper. In diesem Fall lohne sich deshalb die Amputation: Bei schnellem Handeln sei die Chance groß, dass der Ameisenkörper noch frei von Bakterien ist.
Im Unterschenkel dagegen liegen demnach keine für die Zirkulation der Hämolymphe relevanten Muskeln. Bei Verletzungen dringen die Bakterien deshalb sehr schnell in den Körper vor. Das Zeitfenster für eine erfolgreiche Amputation sei dann eng und die Chance auf Rettung gering. "Genau das scheinen die Ameisen zu 'wissen', wenn man es vermenschlichend ausdrücken will", so Erik Frank vom Würzburger Biozentrum. "Unsere Studie belegt erstmals, dass auch Tiere im Zuge der Wundbehandlung prophylaktische Amputationen einsetzen. Und sie zeigt, dass die Ameisen die Behandlung an der Art der Verletzung ausrichten", ergänzt Laurent Keller von der Universität in Lausanne.
Gefährlich: Kämpfe gegen andere Ameisenvölker
Die in der Studie untersuchte Ameisenart der Florida-Holzameisen (Camponotus floridanus) kommt im Südosten der USA vor. Die rotbraunen Tiere werden mit bis zu 1,5 Zentimeter Körperlänge relativ groß. Sie nisten in verrottendem Holz und verteidigen ihr Nest energisch gegen rivalisierende Ameisenvölker. Bei solchen Kämpfen kommt es dann immer wieder zu Verletzungen.
Das Forschungsteam hat diese Art ausgesucht, weil diese keine Metapleural-Drüse besitzen. Mit dieser produzieren andere Ameisenarten ein antibiotisch wirksames Sekret, das sie auf infizierte Wunden auftragen. So kam die Frage auf, welche Alternativen die Florida-Holzameisen gegen Infektionen einsetzen. Dass es sich dabei um verletzungsspezifische Amputationen handelt, sei eine große Überraschung gewesen, so die Forschenden.
Wie agieren heimische Ameisenarten?
Nun will das Würzburger Forschungsteam um Erik Frank weiter zu Ameisenarten in Deutschland forschen. Für seine Forschungen über die Wundversorgung bei Tieren hat die Hector Fellow Academy den Würzburger Biologen im Januar 2024 mit einem Preis für junge Forschende ausgezeichnet, einem sogenannten Hector Research Career Development Award – dotiert mit einer voll finanzierten Promotionsstelle und zusätzlichen 55.000 Euro. "Dieser Preis wird es meiner Gruppe ermöglichen, das Verhalten der sozialen Wundpflege bei Tieren weiter zu erforschen. Wir möchten damit untersuchen, wie Ameisen, die in einer engen Beziehung mit Akazienbäumen leben, die Wunden ihrer Wirtspflanzen heilen", so Frank.
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