Beim morgendlichen Rundgang durch den Stall ist noch alles in Ordnung, deshalb fährt Landwirt Michael Sing aufs Feld. Doch dann die Mitteilung auf dem Handy: "Kuh 466 inaktiv – keine Wiederkautätigkeit". Der junge Landwirt fährt sofort zum Stall zurück und stellt fest: Das Tier hat eine zu niedrige Körpertemperatur. Der herbeigeholte Tierarzt stellt gerade noch rechtzeitig fest: Der Pansen arbeitet nicht mehr. Vor ein paar Wochen war das. Heute zeigt Landwirt Michael Sing erleichtert auf eine braun-weiß-gefleckte Kuh: "Einige Stunden später, dann wäre sie vielleicht gestorben. Dank der App konnten wir sie retten!"
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App und Software-Update ergänzen Melkroboter-Technik
Diese App testet Landwirt Michael Sing als einer der ersten Landwirte in Bayern seit etwa drei Monaten. Sie ist eine Ergänzung zu seinem Melkroboter. Kommt eine Kuh in den Melkstand, erkennt der Roboter, welche Kuh es ist, wie viel Milch sie geben soll, wie viel Futter sie bekommt. Anhand von Sensoren wird die frisch gemolkene Milch untersucht: Wie hoch ist der Salzgehalt? Ist sie klar weiß oder flockig? Eine flockige Konsistenz könnte heißen, dass die Kuh Stress hat. Ein erstes Anzeichen dafür, dass etwas möglicherweise nicht stimmt. Das speichert die App, setzt diese Daten aber auch in Bezug zu anderen Messergebnissen.
App errechnet individuelle Grenzwerte
Über einen Sensor am Hals der Kühe wird außerdem kontrolliert: Wie viel bewegt sich jedes einzelne Tier, käut es wieder, frisst es, und vieles mehr. Das Neue an der App: Sie schlägt nicht ab einem vorher festgesetzten Schwellenwert Alarm, sondern berechnet diese Werte laut Stefan Löfflad von der Firma Ley mittels künstlicher Intelligenz und Algorithmen jeweils neu, für den Stall und die Herde. "Kühe, die in dunklen, engen Ställen gehalten werden, haben von Haus aus wahrscheinlich eher ein höheres Stresslevel als Kühe in einem luftigen, hellen Laufstall", erklärt Stefan Löfflad. Heißt: In einem Stall ist ein höherer Salzgehalt in der Milch normal, in einem anderen Stall ist dieser Wert schon ein Alarmzeichen. Die App berücksichtigt das.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Besamung?
Springt eine Kuh auf eine andere Kuh auf, geht man in der Regel davon aus, dass sie brünstig ist. Es kann aber auch sein, dass es noch zu früh für eine Besamung ist. Die Software bezieht deshalb auch andere Parameter mit ein, die als Anzeichen dafür gelten, dass die Kuh besamungsbereit ist. War die Besamung erfolgreich, merke sich die App diese Parameter. Beim nächsten Mal könne sie dann genau den richtigen Zeitpunkt angeben, so die Entwickler der App.
Tierarzt: App spart Zeit, Medikamente und verringert Risiken
Die App spart dem Landwirt somit Zeit, er kann seine Kühe gezielter untersuchen und sich auf die Tiere konzentrieren, die ihn wirklich brauchen. So könne er frühzeitig eingreifen, sagt Michael Sing, etwa bei Schwierigkeiten mit dem Euter. Sonst sei es dafür manchmal schon zu spät. Dann müsse man zu herkömmlichen Arzneimitteln greifen. Der Höchstädter Tierarzt Marius Nilas bestätigt: Die App könne zwar keine Diagnose stellen, sei aber bestens geeignet als Frühwarnsystem. Das spare Zeit und Aufwand, könne Tierleben retten. Außerdem könne man so das Tierwohl weiter fördern, indem man sich auf die auffälligen Tiere konzentrieren könne und ihnen früher und gezielt helfen könne.
Heute kann Michael Sing beruhigt aufs Feld fahren, um die Gülle auszubringen. Sein Handy steckt neben ihm am Traktorsitz. Geht es einem seiner Tiere schlecht, sollte er es mitbekommen – per Push-Meldung aufs Handy.
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