Am Sonntag begann die Radtour von zehn Missbrauchsbetroffenen aus dem Erzbistum München und Freising durch die Gemeinden, die zu Tatorten für sie wurden.
Bildrechte: BR/ Antje Dechert

Am Sonntag begann die Radtour von zehn Missbrauchsbetroffenen aus dem Erzbistum München und Freising durch die Gemeinden, die zu Tatorten wurden.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Gemeinden mit Missbrauch: Betroffene radeln für Aufarbeitung

Betroffene von sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising radeln seit Sonntag durch Gemeinden, in denen sie Traumata erlitten - auch um an das Leid zu erinnern. Zum Abschluss ist ein Gottesdienst mit Kardinal Marx in Schliersee geplant.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Sie wollen weiter Bewegung in die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche bringen und steigen deshalb auf den Sattel: Zehn Missbrauchsbetroffene radeln in den kommenden fünf Tagen durch das Erzbistum München und Freising und machen Halt an sogenannten "Tatort-Gemeinden", wo Missbrauch stattfand. Damit soll öffentlich ein Zeichen gesetzt werden.

Kunstwerk zum Gedenken an Betroffene

Eine Stele in Form eines gebrochenen Herzens wurde beispielsweise am Sonntag im Rahmen einer Andacht in Maitenbeth im Landkreis Mühldorf am Inn errichtet. Das 1,60 Meter hohe Kunstwerk "Broken Heart" erhielt seinen Platz direkt neben der Kirche in einem Rosenbeet und ist laut Inschrift dem "Gedenken an die Opfer des langjährigen Kindesmissbrauchs durch den örtlichen Pfarrer Ludwig Axenböck (1949-1972)" gewidmet. Geschaffen hat das Werk der örtliche Metallkünstler Peter Schwenk. Er beschreibt es als "ein gebrochenes Herz, aus dem eine Blume der Hoffnung herauswächst".

Organisiert wird die Radtour vom Betroffenenbeirat, der dabei auch vom Erzbistum München und Freising finanziell unterstützt wird. Sie wollen dadurch mit den Betroffenen und Verantwortlichen vor Ort ins Gespräch kommen, gleichzeitig aber auch Opfern Mut machen, die sich vielleicht bisher noch nicht getraut haben, über ihr Leiden zu sprechen.

Vergangenes Jahr fand Radtour nach Rom statt

Schon vergangenes Jahr fuhren Missbrauchsbetroffene bis nach Rom und trafen dort Papst Franziskus. "Wir haben es durch diese Rom-Reise geschafft, dass wir in der Öffentlichkeit angekommen sind, und zwar nicht als die, die jammern, sondern als die, die sich aufmachen, etwas tun, initiieren", sagte Richard Kick, Vorsitzender des Münchner Betroffenenbeirats. Dieses Jahr liegt der Fokus auf konkreten Orten in Bayern, an denen in der Erzdiözese München und Freising Missbrauch stattgefunden hat.

Die Vorfälle sind auch heute noch nicht in allen betroffenen Pfarreien bekannt. So soll an das Leid der Missbrauchsopfer vor Ort erinnert werden. "Dort, wo jetzt beispielsweise sechs Frauen öffentlich gemacht haben, dass sie von dem Pfarrer damals in der Schule nach dem Religionsunterricht missbraucht wurden, dort herrscht immer noch die Vorstellung: Da darf man nichts sagen, das war halt damals so. Und genau deshalb fahren wir dorthin, sind präsent, machen eine Andacht", sagt Kick.

Aufarbeitung mit und nicht gegen Kirchenspitze

Die Aufarbeitung soll nicht gegen, sondern mit der Kirchenspitze stattfinden. Generalvikar Christoph Klingan, der in Maitenbeth bei der Einweihung der Stele dabei war, sagte mit Blick auf die Inschrift: "Es geht angesichts des sexuellen Missbrauchs im Raum der Kirche darum, nicht wegzusehen, nicht zu verbergen, nicht totzuschweigen. Vielmehr gilt es wahrzunehmen, was geschehen ist, und das in aller Klarheit auch anzusprechen, um solche Taten künftig bestmöglich zu verhindern." Klingan zollt den zehn Radfahrern großen Respekt, sich auf den Weg zu machen: "Ich bin mir ganz sicher, dass sie auch in diesem Jahr wieder etwas bewegen werden."

2023 hatte die Erzdiözese München und Freising einen öffentlichen Aufruf in Maitenbeth gestartet, Hinweise auf Missbrauch durch den Diözesanpriester Axenböck zu melden. Daraufhin hatten sich vier Betroffene gemeldet. Ende 2023 war in dem Ort eine nach Axenböck benannte Straße auf Initiative von Missbrauchsbetroffenen und mit Unterstützung der Pfarrei in "Kirchplatz" umbenannt worden.

Betroffene ziehen nach erster Etappe positive Bilanz

Der Leiter des Pfarrverbands Rechtmehring-Maitenbeth, Pfarrer Marek Kalinka, sagt: "Wir können natürlich nichts ungeschehen machen, aber wir können ein Solidaritätszeichen setzen. Es war für mich wichtig, das Kunstwerk gemeinsam mit den Betroffenen zu realisieren. Es soll eine Mahnung für alle sein."

Nach der ersten Etappe zieht Helmut Bader, einer der zehn Radfahrer, ein positives Fazit. Der heute 64-Jährige wurde als Junge zwischen seinem 9. und 13. Lebensjahr von einem Pfarrer sexuell missbraucht: "Es ist befreiend, geht unter die Haut, würde ich sagen. Jetzt schauen wir mal in die anderen Orte, dass sich was bewegt, dass sich vielleicht mehr Betroffene trauen, sich zu melden. Es muss sich keiner schämen, wenn, dann müssen sich die Täter schämen."

Abschlussgottesdienst mit Kardinal Reinhard Marx

Weitere Stationen der Radtour sind unter anderem Poing im Landkreis Ebersberg, Edling im Landkreis Rosenheim, Garching an der Alz im Landkreis Altötting, Rosenheim und Unterwössen im Chiemgau. Geplant seien weitere Andachten, Gottesdienste sowie eine Podiumsdiskussion in Rosenheim mit einem der Verfasser des Münchner Missbrauchsgutachtens. Zum Abschluss der Radtour soll es am Schliersee dann noch einen Gottesdienst mit Kardinal Reinhard Marx geben.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.