Shokrullah und Mustafa sind Geflüchtete aus Afghanistan und trauern im die Opfer des Anschlags.
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Auch die afghanischen Brüder Shokrullah und Mustafa trauern um die Toten des Anschlags in München.

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Nach Anschlägen: Afghanen in Bayern fürchten Ressentiments

Nach Anschlägen: Afghanen in Bayern fürchten Ressentiments

Nach dem Anschlag auf eine Demo in München mit zwei Toten ist die Trauer groß. Erst vor drei Wochen wurden in Aschaffenburg zwei Menschen mutmaßlich von einem Afghanen getötet. Afghanen in Bayern fürchten einen Generalverdacht der Gewalttätigkeit.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

"Wir haben in der Schule eine Schweigeminute gemacht für die Opfer des Anschlags", erzählt Shokrullah. Der 18-jährige Afghane ist sehr traurig über die Tat. In diesem Sommer schreibt der Schüler in Dießen am Ammersee seine Mittlere-Reife-Prüfung.

Shokrullah ist vor zehn Jahren mit seiner Familie vor den Taliban aus Afghanistan nach Bayern geflohen, mit seinen Eltern und vier Geschwistern. Sie waren teils zu Fuß, teils mit dem Boot unterwegs. Seit den Anschlägen mit afghanischen Tatverdächtigen muss er sich manchmal in der Schule auch Kommentare anhören wie die Frage, ob er mit dem Täter verwandt sei. Doch solche Sätze habe er gelernt, zu überhören. Er fühlt sich wohl hier, hat Freunde, spielt Fußball, wie auch sein jüngerer Bruder Mustafa. Auch er ist traurig über die schreckliche Tat, erlebt aber keinen Rassismus. Seine Mitschüler akzeptieren ihn.

Hasskommentare bei Facebook

Ganz anders geht es Arif Haidary, stellvertretender Vorsitzender des Migrationsbeirats der Landeshauptstadt. Ähnlich wie die Brüder Shokrullah und Mustafa, kam auch er 2015 aus Afghanistan nach München, aber nicht mit seiner Familie, sondern allein. Das Profil des 25-Jährigen ist im Netz leicht zu finden. Erst gestern hat er auf Facebook Hasskommentare bekommen. "In dem Text steht, dass die Afghanen sehr gut sind, um Menschen umzubringen", sagt Arif Haidary. Die weiteren Beleidigungen will er erst gar nicht öffentlich berichten. Von Afghanen als "Dreckspack" ist da auch zu lesen und das ist noch einer der harmloseren Ausdrücke. Diese Beleidigungen machen Arif Haidary zu schaffen, er will nun Anzeige erstatten. Aber noch größer ist bei ihm das Mitgefühl für die Opfer.

61.670 Afghanische Staatsangehörige leben 2024 in Bayern

Als Mitglied im Migrationsbeirat München hat Arif Haidary viele Kontakte zu anderen Afghanen im Freistaat. Laut Bayerischem Innenministerium leben in Bayern 61.670 afghanische Staatsangehörige (Stand: Dezember 2024). Rund 17.000 von ihnen sind minderjährig. Bundesweit stellten im vergangenen Jahr 34.150 afghanische Staatsangehörige Asylerstanträge.

Trauer und Solidarität innerhalb der afghanischen Community

Arif Haidary hat mittlerweile seinen deutschen Pass. "Alle Afghanen, mit denen ich geredet habe, sind sehr traurig und sprechen ihre Solidarität aus. Und mir geht es genauso", sagt der ausgebildete Mediengestalter und Fotograf. Er wolle das schlimme Verbrechen nicht relativieren, aber den Kollektiv-Vorwurf der Gewalttätigkeit aller Afghanen lehne er ab. Deswegen überlegt er nun gemeinsam mit anderen Afghanen, ob sie vielleicht eine Kundgebung organisieren, um ihre Trauer zu zeigen, unter dem Motto: "Solidarität statt Spaltung".

Jugendliche Geflüchtete brauchen Unterstützung

Dass Arif Haidary gut integriert ist, liegt wohl einerseits an seinem Fleiß und seiner Freundlichkeit, andererseits an seinem Glück, Hilfe bekommen zu haben, zum Beispiel von Sozialarbeitern. Solche Unterstützung bietet auch die "SchlauSchule München" an, ein ehrenamtlicher Verein, der jugendlichen Flüchtlingen einen Schulabschluss ermöglicht. Gründer Michael Stenger beobachtet, dass in den letzten Jahren zunehmend traumatisierte Minderjährige kommen, auch aus Afghanistan.

Für diese Gruppe gibt es nun ein extra Kompetenz-Training über zwei Jahre. "Wenn man sich um die jungen Menschen kümmert, dann haben sie auch Erfolg", sagt Stenger. So arbeitet ein afghanischer Absolvent der "Schlauschule" heute als Ingenieur. Leider will er selbst kein Interview geben, zu groß ist seine Sorge, seine Familie könnte Hasskommentare bekommen. Die Erinnerungen an den grausamen Anschlag seines Landsmannes sind noch zu frisch.

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