Hubert Aiwanger verzog keine Miene, als Markus Söder ihn zur Erklärung drängte: "Vielleicht sagst Du selber was dazu, warum Du einfach Dich nicht impfen lassen willst." Der Angesprochene antwortete mit dem Hinweis, das Impfen sei eine persönliche Entscheidung. Man solle "keinen öffentlichen Druck aufbauen".
Auf Nachfrage von BR24 legt Aiwanger jetzt nach: Es gebe viele Menschen, die Angst hätten vor einer Impfung und einer Impf-Pflicht. "Um solche Menschen nicht in die Enge zu treiben und um Verschwörungstheorien nicht zu stärken, sollten wir jeden Eindruck eines Drucks auf Menschen bleiben lassen."
"Unterste Schublade"
Wie er persönlich Söders Aufforderung empfand, dazu schweigt Aiwanger nach wie vor. Dafür entlädt sich jetzt in seiner Partei der Unmut über den Ministerpräsidenten. "Das war unpassend und kein guter Stil", sagt Fabian Mehring, parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler im Landtag. Keinem Chef stehe es gut, "seine Kollegen vor laufenden Kameras zur persönlichen Rechtfertigung in sensiblen Gesundheitsfragen zu zwingen".
Für Fraktionschef Florian Streibl gehört "der Impfstatus eines einzelnen Ministers nicht in eine Pressekonferenz der Staatsregierung". Man frage in einem solchen Rahmen auch nicht, "ob man die letzte Darmspiegelung gemacht hat". FW-Generalsekretärin Susann Enders hält Söder vor, die "unterste Schublade" gezogen zu haben.
#ichbinaiwanger trendete auf Twitter
Die Unmutsbekundungen bilden aber nicht die ganze Stimmungslage der Freien Wähler ab. In den Sozialen Medien trendete eine Debatte unter dem Hashtag #ichbinaiwanger. Darin erscheint der FW-Chef keineswegs nur als Opfer einer weiteren Söder-Stichelei. Er erfährt inhaltlichen Zuspruch und wird gelobt für seine Standhaftigkeit.
Überdies vermeldeten die Freien Wähler auf Twitter stolz eine "überdurchschnittlich hohe Zahl an Mitgliedsanträgen". Ebenfalls unter dem Hashtag #ichbinaiwanger. Auf Nachfrage teilt die Partei mit, statt der täglich etwa fünf digitalen Aufnahmeanträge habe es gestern 18 gegeben.
Ringen um eine gemeinsame Corona-Politik
Klar ist, es geht um mehr als die Impfbereitschaft eines einzelnen Ministers. Es geht auch um mehr als die Glaubwürdigkeit der Impfpolitik der bayerischen Staatsregierung. Die Sache zeigt, wie die Stimmung in der Koalition sich zuspitzt. Seit langem ringen die Partner um ihre gemeinsame Corona-Politik, um das richtige Maß an Lockerungen. Zuletzt war es die Maskenpflicht an Schulen, mit der die Freien Wähler den Ministerpräsidenten vor sich herzutreiben versuchten. Dass seit heute kein bayerischer Schüler am Sitzplatz mehr Maske tragen muss, schreiben sich die FW als ihren Erfolg zu. Söder spricht von einem "Kompromiss".
Der Weg dahin war nicht leicht. Besonders ruppig wurde es vor zwei Wochen: Die Koalitionsparteien bezichtigten sich gegenseitig, über gemeinsam getroffene Absprachen die "Unwahrheit" zu verbreiten. "Unerträglichen Populismus" witterte CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer obendrein beim FW-Abgeordneten Mehring. Spätestens da war klar, die Koalitionspartner haben die Wahlkampfarena betreten.
In diesem Zusammenhang ist auch das Impf-Scharmützel zu sehen. Schon in Wahlkampf-freien Zeiten müssen die Freien Wähler darauf achten, als kleiner Koalitionspartner nicht unterzugehen. Jetzt, im Wahlkampf, ist Profilierung umso wichtiger. Und die CSU umso empfindlicher. Man darf Aiwanger nicht unterstellen, er instrumentalisiere seinen Impfverzicht für Wahlkampfzwecke. Offensichtlich ist aber, dass er die zunehmende Impfmüdigkeit nicht durch eigenes Vorbild einzudämmen hilft. Wie das zu seinen Lockerungsrufen passt, fragt sich nicht nur mindestens ein Abgeordneter der Freien Wähler.
- Zur Datenanalyse:Aktuelle Zahlen zur Corona-Impfung in Bayern und Deutschland
Dieselbe Wählergruppe
Das Problem ist, CSU und FW werben um dieselbe Zielgruppe. Sollten die Freien Wähler tatsächlich in den Bundestag einziehen, dann mithilfe von Stimmen ehemaliger, enttäuschter CSU-Wähler. Mit deren Hilfe zogen sie 2008 in den Landtag ein. Und 2018 in die Staatsregierung. Nun tut ihr Spitzenkandidat Aiwanger alles, damit es für den Bundestag reicht. Das zeigt seine Reaktion auf die Messerattacke von Würzburg: Als das Motiv noch völlig unklar war, kritisierte Aiwanger bereits, die Terrorgefahr sei "zu lange ignoriert worden" – ein Vorwurf, der sich nur gegen die Bundesregierung richten konnte. Und damit auch gegen die CSU.
Für die Christsozialen kommt das ungelegen in einer Phase, in der sie ihre Stammwähler wiederentdecken. Die Aufstellung der Bundestagsliste in Nürnberg am vergangenen Wochenende war nicht nur die erste Präsenzversammlung der CSU seit Langem. Es war zugleich die Rückbesinnung auf Familien, Bauern, Gastronomen. Ohne deren Stimmen wird die CSU kaum Volkspartei und erfolgreich sein. Sie zu erreichen, wird schwierig, wenn sie beim Thema Innere Sicherheit angreifbar macht.
Aiwanger jedenfalls wagt den Angriff. Söder wiederum weiß, dass die Freien Wähler ohne Aiwanger etwa so kampfstark wären wie die FDP ohne Christian Lindner. Grund genug, Aiwanger nicht unnötig zu schonen. Umgekehrt gilt das genauso.
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