Der Fall sorgte 2020 für bundesweite Aufmerksamkeit: Die Neonazi-Terroristin Melanie H. (Name geändert*) aus dem Raum Nürnberger Land soll Bombenanschläge geplant haben. Dafür soll sie Polizeibeamte und Politiker als mögliche Anschlagsopfer ausgespäht und dazu Privatfahrzeuge und Wohnungen der Betroffenen ausgekundschaftet haben.
Vor dem Oberlandesgericht München wurde die heute 59-Jährige im Juli 2021 zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Die Heilpraktikerin habe eine "offen nationalsozialistische Gesinnung" stellte der Richter damals fest. Beispielsweise hatte sie nicht nur eine Hakenkreuzfahne über dem Bett hängen, sondern sich das Symbol der NS-Terrorherrschaft auch eintätowiert. Zudem war sie nach BR-Recherchen fest eingebunden in die bayerische Neonaziszene und pflegte Kontakte zu Unterstützern der rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).
Interesse für Sturmgewehr AK47, Pistole und Handgranate
Nun kommen weitere Details ans Licht. Nachforschungen des gemeinsamen Rechercheteams von Bayerischem Rundfunk und Nürnberger Nachrichten (NN) zeigen: Melanie H. wollte sich offenbar 2019 ein Sturmgewehr, eine Pistole und eine Handgranate illegal beschaffen. Deshalb wird derzeit gegen sie und zwei Männer aus dem Raum Nürnberg ermittelt, unter anderem wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz. Das geht aus internen Akten der Kriminalpolizei hervor, die das Rechercheteam einsehen konnte.
Codename "Hakan" für Sturmgewehr
Demnach soll Melanie H. bereits im Sommer 2019 einen Bekannten aus Altdorf bei Nürnberg während eines gemeinsamen Armbrustschießens gefragt haben, ob dieser Waffen besorgen könne. Der Mann habe daraufhin mit seinem Bruder Anton P. (Name geändert) telefoniert, der Angebote für eine AK47, eine Pistole und eine Handgranate liefern konnte. Das zumindest nehmen die Ermittler an. Codename für die AK47 am Telefon soll "Hakan" gewesen sein.
Auch konkrete Preise wurden den Akten zufolge, die das Rechercheteam einsehen konnte, genannt: Die AK47 sollte demnach 2.500 Euro, die Pistole 1.500 Euro, und die Handgranate 300 Euro kosten – Munition für die Schusswaffen hätten extra gekostet. Es gibt Hinweise darauf, dass die Waffen aus dem früheren Jugoslawien stammen und über Mitglieder eines berüchtigten Rockerclubs nach Deutschland gekommen seien. Doch der angeblich geplante Waffendeal von 2019 kam den Akten der Kriminalpolizei zufolge nicht zustande. Melanie H. habe von sich aus das Geschäft abgebrochen, heißt es darin.
Hausdurchsuchungen im Raum Nürnberger Land
Die Ermittler sind allerdings erst vor einigen Monaten auf diese Hintergründe gestoßen. Im April 2024 fanden deswegen mehrere Hausdurchsuchungen im Nürnberger Land statt, auch beim mutmaßlichen Beschaffer Anton P. und dessen Bruder suchten die Beamten nach den Kriegswaffen. Das BR/NN-Rechercheteam konnte mit den angeblichen Waffenhändlern sprechen. Anton P. traf sich mehrfach mit den Journalisten zu Gesprächen – und bestreitet die Vorwürfe. Warum er im Fokus der Ermittler steht, sei ihm schleierhaft.
Angeblicher Waffenhändler bestreitet Vorwürfe
Er habe nie etwas mit Waffen zu tun gehabt: "Ich kann sowas nicht anbieten und auch nicht verkaufen", so der Beschuldigte. Obwohl er bei Behörden laut Akten als "rechtsextrem" gilt, habe er nichts mit Extremismus zu tun.
Die verurteilte Terroristin Melanie H. kenne er nur entfernt, sagt er. Er habe sie einmal beim besagten Armbrustschießen getroffen, sich aber kurz darauf verabschiedet. Er selbst habe dennoch einiges auf dem Kerbholz und eine "bewegte Vergangenheit", wie er einräumt, saß unter anderem wegen Körperverletzung im Gefängnis. Zu Rockerclubs habe er keinen Kontakt, sagt P.: "Ich fühle mich zu Unrecht verdächtigt!" Vielmehr fürchte er nun die Kontakte von Melanie H. in der Szene. Auch P.s Bruder bestreitet alle Vorwürfe.
Behörden halten sich bedeckt – und suchen weitere Waffenteile
Die Behörden halten sich auf Nachfragen des Rechercheteams bedeckt zu den laufenden Ermittlungen, auch "aus Gründen des Persönlichkeits- und des Datenschutzes", teilte beispielsweise die Generalstaatsanwaltschaft München mit, die neben anderen Behörden in dem Fall ermittelt.
Die Behörden suchen nach BR/NN-Recherchen jedoch nach möglichen weiteren Sprengstoff- und Waffenteilen, die Melanie H. zugerechnet werden könnten und bislang noch verschwunden sind. So gehen die Ermittler der Spur nach, dass Waffenteile unter anderem an Abhängen im Fichtelgebirge versteckt sein könnten, auch das geht aus den Akten hervor.
Die inhaftierte Rechtsextremistin Melanie H. war für eine Anfrage des Rechercheteams nicht zu erreichen. In dem Fall bleiben also noch einige Fragen ungeklärt.
Verfassungsschutz hat Szene im Blick
Grundsätzlich könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich bayerische Rechtsextremisten illegal Waffen beschaffen, heißt es vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV). Ein BayLfV-Beamter nennt gegenüber dem Rechercheteam beispielhaft einen Fall aus Nordbayern: "Im Jahr 2021 konnte bei einem Rechtsextremisten aus dem Raum Nürnberg im Rahmen polizeilicher Durchsuchungsmaßnahmen eine vollfunktionsfähige Pistole, Kaliber 22, samt 56 Schuss Munition" sichergestellt werden.
Auch haben die Sicherheitsbehörden die Verbindungen von Extremisten und Rockergruppen im Blick. "Es bestehen punktuell personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene", so der Geheimdienstmitarbeiter.
Hinweise der Redaktion
*Namen geändert: Auch Straftäterinnen und Straftäter haben ein Recht auf Vergessen. Mit der Verurteilung beginnt für Melanie H. ein Resozialisierungsprozess, dem wir nicht im Wege stehen möchten. Deswegen haben wir ihren Klarnamen geändert. Die Namen der angeblichen Waffenhändler sind der Redaktion bekannt. Bis zum Abschluss des Verfahrens gilt für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung.
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