Die Gewerkschaften Verdi und DGB haben die Ankündigung des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau, aus dem kommunalen Arbeitgeberverband und damit aus dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes und des Marburger Bundes auszutreten, heute scharf kritisiert. Das Defizit des Klinikums solle auf Kosten der Beschäftigten gesenkt werden.
Geladene Politikvertreter von Stadt und Landkreis waren heute nicht gekommen. Diese hatten bereits am Vortag bei einer eigenen Pressekonferenz der Geschäftsführung erklärt, es brauche eine Trendwende bei den Kosten. Das Klinikum verspricht sich durch den Austritt zudem mehr Freiheit bei Arbeitszeitmodellen und mehr Chancen bei der Fachkräftesuche.
Runder Tisch in Aschaffenburg: "Symbolpolitik mit der Brechstange"
Verdi-Landesfachsbereichsleiter Gesundheit Robert Hinke sprach von einem "Paukenschlag gegen die sozialpartnerschaftliche Tradition" und von "Symbolpolitik mit der Brechstange". Mit der Ankündigung habe die Geschäftsführung in der Belegschaft Vertrauen zerschlagen. Auf Kosten der Beschäftigten sei es jedenfalls nicht möglich, ein Defizit zu senken.
Die Gewerkschaften waren heute im Gewerkschaftshaus in Aschaffenburg zusammen gekommen, um über die Folgen der Entscheidung des Klinikums zu sprechen. Eingeladen waren auch die Bayerische Staatsministerin für Gesundheit Judith Gerlach, der Aschaffenburger Landrat Alexander Legler (beide CSU) sowie Aschaffenburgs Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD). Alle drei schlugen eine Teilnahme an dem "Runden Tisch" jedoch aus. "Ich fand es sehr erschreckend, dass sich keiner die Zeit genommen hat. Das zeigt mir, dass es an Wertschätzung mangelt", sagte der Vorsitzende des Betriebsrats, Andreas Parr, dazu dem BR. Die Beschäftigten hätten Antworten verdient, so Parr.
Wichtig sei nun, gemeinsam für den Tarifvertrag zu streiten, sagte Björn Wortmann, der DGB-Kreisverbandsvorsitzende Aschaffenburg-Miltenberg. Er kündigte Betriebsversammlungen und dann öffentliche Aktionen rund um das Klinikum Aschaffenburg-Alzenau an, wie Kundgebungen und Demonstrationen.
Gewerkschaft verärgert über Votum des Oberbürgermeisters
Besonders ärgerlich aus Sicht der Gewerkschaften ist das Votum des Aschaffenburger Oberbürgermeisters Jürgen Herzing, der für einen Tarif-Austritt des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau gestimmt hat. "Schweren Herzens", wie er auf einer eigenen Pressekonferenz am Donnerstag sagte. Die Begründung: Das Klinikum schreibt seit Jahren rote Zahlen. Auch dieses Jahr erwartet es ein finanzielles Defizit von 40 Millionen Euro, die Personalkosten müssen also runter. Der Fehlbetrag wird je zur Hälfte von Stadt und Kreis Aschaffenburg getragen.
"Um das Klinikum weiter zu erhalten und in kommunaler Trägerschaft zu belassen, müssen wir eine Trendwende bei den Kosten erreichen", hatte Oberbürgermeister Herzing erklärt. Außerdem müsse in das Klinikum auch weiter investiert werden, es gehe nicht nur um das Millionen-Defizit", so Landrat Legler.
Die Gewerkschaften kritisierten, dass die Öffentlichkeit von dieser Pressekonferenz ausgeladen war und vorab keiner mit ihnen gesprochen habe. "Um das Defizit zu senken auf Kosten der Mitarbeiter", wurde der Betriebsratsvorsitzende Andreas Parr deutlich. Dabei sei nicht ausreichend geprüft worden, ob nicht an anderer Stelle gespart werden könne.
Geschäftsführung erhofft sich mehr Freiheit durch Austritt
Die Geschäftsführung hatte auf der eigenen Pressekonferenz am Donnerstag betont, dass ihnen die Tarifverträge in vieler Hinsicht zu starr seien, zu unflexibel. Das behindere die Suche nach neuen Fachkräften. Der Austritt solle dem Klinikum die Freiheit verschaffen, Arbeitszeit- und Gehaltsmodelle zu entwickeln, die den Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht werden.
Als Beispiel nannte Geschäftsführer Sebastian Lehotzki die Bereitschaftsdienste: Der Tarifvertrag des Marburger Bundes sehe vor, dass Mitarbeitende nur vier Bereitschaftsdienste pro Monat leisten dürfen, obwohl einige bereit seien, mehr Dienste zu leisten. "Wir wollen nicht alle dazu verpflichten, mehr Bereitschaftsdienste zu leisten. Aber die, die dazu bereit sind, wollen wir dann auch entsprechend vergüten", so Lehotzki. Auch der häufig geforderten Flexibilität bei den Arbeitszeiten im Allgemeinen wolle das Klinikum damit gerecht werden.
Dem widersprechen die Gewerkschaften. Die Möglichkeiten, die so ein Tarifvertrag an Flexibilität bietet, seien von der Geschäftsführung in der Vergangenheit gar nicht genutzt worden. Stattdessen habe die Klinik in Stellenanzeigen immer groß mit der Tarifbindung geworben und so Fachkräfte gewonnen.
Vorerst noch keine Auflösung der bestehenden Tarifverträge
Fest steht: bis zum 30. September tritt das Klinikum Aschaffenburg-Alzenau aus dem kommunalen Arbeitgeberverband aus. Klinik-Chef Sebastian Lehotzki stellte trotzdem klar: Die bestehenden Tarifverträge werden erst aufgelöst, wenn eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat getroffen ist.
Das Klinikum Aschaffenburg-Alzenau beschäftigt an seinen zwei Standorten rund 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – die meisten davon sind in der gemeinnützigen Klinikumsbetriebs-Gesellschaft beschäftigt, die nun aus dem kommunalen Arbeitgeberverband austreten wird. Der Krankenhauszweckverband Aschaffenburg-Alzenau selbst, der Träger des Klinikums ist, wird weiterhin Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband sein.
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