Die Hallertau in Oberbayern ist bekannt für ihre Hopfengärten. Hier bekommen die Pflanzen, die einer der wichtigsten Rohstoffe für Bier sind, ausreichend Regen und Sonne. Letztere soll künftig dabei helfen, den Ertrag der Gärten noch zu steigern. Hopfen und Strom gleichzeitig ernten, das ist das Ziel eines Pilotprojektes.
Jeder einzelne Stahlmast im neu gestalteten Hopfengarten ist eine Spezialanfertigung. Jeden einzelnen Mast hat Josef Wimmer auf seinem Hof im oberbayerischen Au in der Hallertau mit dem Schweißgerät nachbearbeitet. Denn die Masten erfüllen eine neue Doppelfunktion: Sie tragen die Last vieler PV-Module und sie verknüpfen das Aufleitsystem für die Hopfenpflanzen. Die speziell gefertigten Masten bilden das Gerüst für ein bislang in Deutschland einzigartiges Solardach über einem Hopfengarten.
1,5 Millionen Euro Investition in das neue Geschäftsmodell
An dieser Konstruktion wie an dem gesamten Geschäftsmodell haben Hopfenbauer Josef Wimmer und sein Geschäftspartner Bernhard Gruber vom Hallertauer Handelshaus jahrelang getüftelt. Jetzt steht es. Auf zwei Hektar soll nun Hopfen unter einem Solardach wachsen. Insgesamt stecken die beiden Geschäftspartner über 1,5 Millionen Euro in ihr Projekt. Eine Bürgschaft des bayerischen Wirtschaftsministeriums soll die Investition und die nötigen Kredite absichern.
Aus Agrikultur und Photovoltaik wird "Agri-PV"
Das Hallertauer Handelshaus hat seit über 12 Jahren Erfahrung mit PV-Anlagen auf Freiflächen. Das Unternehmen hat in der Hallertau schon zahlreiche Solarparks installiert und betreibt viele davon selbst. Über 150 Hektar in Summe. Zahlreiche dieser PV-Flächen liegen an den landwirtschaftlich kaum nutzbaren Rändern der Autobahn A 93, zwischen dem Autobahndreieck Holledau und Regensburg. Unter vielen weiden Schafe. Trotzdem ist der Hopfengarten mit PV-Modulen auch für einen Solar-Experten wie Bernhard Gruber etwas Neues und damit eine eigene Herausforderung: Es ist auch für ihn die erste Agri-PV-Anlage mit Pflanzen. Agri-PV ist ein noch recht neuer Begriff. Er setzt sich zusammen aus "Agrikultur" (Landwirtschaft) und "Photovoltaik".
Überzeugt von Win-Win-Situation
Gemeinsam haben Bauer Wimmer und PV-Spezialist Gruber vielfach überlegt, welche PV Module sie für den Hopfengarten nehmen sollen und wie sie die Konstruktion am effektivsten und stabilsten gestalten können. Und immer wieder haben sie nachgerechnet. Sie sind beide überzeugt, dass PV und Hopfen eine Win-Win-Paket ergeben:
"Pro Jahr werden wir auf einem Hektar rund 800.000 Kilowattstunden Strom produzieren. Damit lassen sich 200 Vier-Personen-Haushalte versorgen. Nach spätestens 15 Jahren ist die Investition von 800.000 Euro pro Hektar abgezahlt. Die Anlage läuft aber deutlich länger: 30, vielleicht bis zu 50 Jahre. Wir gehen davon aus, dass der Stromertrag doppelt sein hoch sein wird wie der Ertrag aus der Hopfenernte." Bernhard Gruber vom Hallertauer Handelshaus
80 Prozent des üblichen Stromertrags
Auf einem Hektar Freifläche erntet Bernhard Gruber jährlich eine Million Kilowattstunden Strom. Im Agri-PV Bereich rechnet er mit 80 Prozent der sonst üblichen Ertragsmenge, also "nur" mit 800.000 Kilowattstunden. Der Grund: im Hopfengarten werden weniger PV-Module installiert, weil sonst die Pflanzen zu viel Schatten bekommen. Trotzdem verdunkeln die Module das Feld unter ihnen. Ihre Beschattungsquote liegt zwischen 25 und 34 Prozent, so Unternehmer Bernhard Gruber.
Welche Sorte ist die richtige?
Wie das PV-Dach den Ertrag des Hopfens tatsächlich beeinflussen wird, muss sich erst noch zeigen. Auf den zwei Hektar, die nun für Agri-PV genutzt werden, hat Bauer Wimmer schon vor mehreren Jahren zwei ertragreiche Hopfensorten gepflanzt, die in der Hallertau beheimatet sind: die schwere Rebe "Herkules“ und die etwas sonnenempfindlichere Sorte "Tradition“. Noch haben die Reben nicht ausgetrieben. Anfang April wird jede der noch recht kleinen Kletterpflanzen an ihre Rankhilfe gedreht. Geerntet werden die Reben im Herbst. Dann wird sich in der Praxis zeigen, wie das Solardach die Qualität und die Menge der Ernte beeinflusst hat.
Das richtige Verhältnis von Photovoltaik und Photosynthese
Wie viele Module verträgt der Hopfen? Diese Frage beschäftigt Bernhard Gruber. Er will herausfinden, wie genau "das ideale Verhältnis von Photovoltaik und Photosynthese erzielt werden kann". Der Solar-Unternehmer hofft, dass der Hopfenertrag mit PV-Modulen vielleicht sogar höher ausfallen könnte. Er denkt, dass das PV-Dach sich günstig auf den Wasserhaushalt auswirken wird, weil die Module das Verdunsten der Niederschläge einschränken. Doch das ist bislang nur eine Spekulation. Josef Wimmer wäre schon mit 80 Prozent der normalen Hopfenernte zufrieden. "Jeden Tag grüble ich, wie sich die Pflanzen entwickeln werden und was wir noch verbessern können."
Noch viele offene Fragen
Aktuell gibt es noch viele offene Fragen: Wie viel Sonne geht den Pflanzen durch das PV-Dach verloren und wie wirkt sich das aus? Verändert sich die Bewässerung, weil der Regen durch die Module "umgelenkt" wird. Hält die Überdachung Hagelschäden ab? Schützt sie vor Hitze und Austrocknung? Was passiert bei Gewitter oder Sturm? Erreichen die Reben ihre reguläre Wuchshöhe von sieben Metern? Vertragen bestimmte Hopfensorten ein PV-Dach besser als andere? Hat das Projekt in Au Zukunft und vielleicht Modellcharakter für viele andere potentielle Nachahmer?
Wissenschaftliche Begleitung des Pilotprojekts
Um möglichst fundierte Antworten auf diese Fragen zu erhalten, werden Wissenschaftler die erste Agri-PV im Hopfengarten immer wieder in Augenschein nehmen. Lange hat die Suche nach ausreichend Forschungsmitteln gedauert, doch nun steht fest: Die Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) begleitet das Projekt in Au wissenschaftlich. Johann Portner leitet am Standort Wolnzach die praxisorientierte Forschung der LfL zum Themenkreis Hopfenbau und Produktionstechnik. Sein Team wird das Pilotprojekt drei Jahre lang verfolgen.
“Untersucht wird das Wachstum und die Entwicklung der Pflanzen. Da geht es um den Krankheits- und Schädlingsbefall. Verhält es sich hier anders? Das nächste ist der Doldenbehang. Wir wissen, wenn Hopfen im Schatten steht oder sehr dicht steht, dass sich die Hopfendolden nur in dem oberen Bereich der Rebe finden. Und letztlich machen wir auch Ertrags-Feststellungen. Und ganz wichtig natürlich beim Hopfen ist die Brauqualität. Wie wollen wissen, ob sich hier Unterschiede in den Inhaltsstoffen ergeben.“ Johann Portner, Landesanstalt für Landwirtschaft
Bisher gibt es nur Agri-PV-Studien in sehr kleinen Anlagen
Grundsätzlich ist die Idee nicht neu, landwirtschaftliche Flächen für Photovoltaik-Anlagen zu nutzen. Auf diesem Feld der "Agri-PV forschen in Deutschland neben der Landesanstalt für Landwirtschaft LfL vor allem das Freiburger Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE sowie die Hochschule für angewandte Wissenschaften Weihenstephan-Triesdorf (HSWT). Dort laufen Projekte auf sehr kleinem Raum, die nur wenige Prozent der zwei Hektar von Bauer Wimmer umfassen. Solche kleinflächigen Studien ersetzen jedoch keine großflächigen Feldversuche.
Hallertau könnte mehr Strom produzieren als Isar 2-Reaktor
In den nächsten drei Jahren wollen Landwirt Wimmer und Solar-Unternehmer Gruber die PV-Anlage über dem Hopfengarten beobachten und optimieren. Sie hoffen, dass das Modell Schule machen wird. Insgesamt gibt es in der Hallertau über 17.200 Hektar Hopfengärten. Würden sie alle mit PV überdacht, "könnten die Hopfenbauern gemeinsam mehr Strom erzeugen als das Kernkraftwerk Isar 2 in Landshut“, rechnet Solarunternehmer Gruber vor. Isar 2 überschritt – laut Wikipedia - 2018 als drittes Kernkraftwerk weltweit die 350-Milliarden-Kilowattstunden-Marke und produziert laut Gruber bislang jährlich etwa 11,5 TWh = 11.500.000.000 kWh elektrische Energie.
Netzstruktur fehlt - Stromspeicherung ist noch ungeklärt
Das würde natürlich andere Herausforderungen mit sich bringen. Denn wie könnte der Strom aus dem Hopfenland zu den Verbrauchern kommen? Josef Wimmer hat hier Glück. Ganz in der Nähe seines PV-überdachten Hopfengartens ließ sich eine Trafostation installieren. Doch in weiten Teilen der Hallertau geht das nicht so leicht. "Es ist ein Problem, Strom abzuleiten“, bestätigt Bernhard Gruber und verweist darauf, dass es bundesweit, aber eben auch in der Hallertau an der entsprechenden Netzstruktur fehlt. Gruber überlegt seit langem, wie sich die elektrische Energie bereits im Hopfengarten günstig umwandeln ließe in speicherfähiges Material, etwa in Wasserstoff, Methangas, oder Methanol. Dazu steht er in Kontakt mit Wissenschaftlern und Unternehmen, die an dem Thema arbeiten. Serienreife Lösungen für den Hopfengarten gibt es derzeit noch keine. Doch Gruber ist zuversichtlich: "Die PV-Dächer über den Hopfengärten werden kommen und dann wird es auch Speichermöglichkeiten geben". Beides brauche noch seine Zeit bis zur Industriereife, so der Solar-Unternehmer.
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