Malina Fischer spielt nervös mit einem weißen Würfelchen. Wie die Ausbildung für sie war? "Anstrengend", antwortet die 25-jährige Augsburgerin mit den brünetten Locken vor den rund 20 Gästen, die am Samstag zum Tag der offenen Tür der einsmehr Akademie in Augsburg gekommen sind. Jetzt aber fühle sie sich "gut in Form", könne inzwischen auch immer besser mit Stress umgehen.
Malina Fischer hat Autismus und leidet unter kognitiven Beeinträchtigungen. Trotzdem hat sie vor rund zwei Jahren eine berufliche Qualifizierung zur Hotelpraktikerin abgeschlossen, vergleichbar einer Ausbildung. Im Hotel Holiday Inn arbeitet sie seitdem 30 Stunden in der Woche als Hilfskraft, räumt etwa Tische ab oder füllt das Frühstücksbuffet auf, und bekommt aktuell 70 Prozent des Lohns ihrer Kolleginnen und Kollegen im Service.
Die meisten Absolventen bekommen einen Arbeitsplatz
Auf ihrem Weg dorthin begleitet hat sie die einsmehr Akademie in Augsburg. Das gemeinnützige Unternehmen unterstützt Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen bei ihrer Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Dazu hat es die Qualifikation zum Hotelpraktiker entwickelt, in der Projektphase seit 2019 wurden 30 Menschen mit Behinderung für die Arbeit im Hotelbetrieb qualifiziert. Rund drei Viertel erhielten danach laut Akademieleiterin Ingrid Zink-Schieb einen Arbeitsplatz, der Großteil sei bis heute beschäftigt.
Inzwischen hat die Akademie laut Geschäftsführer Jochen Mack ein Netz an Augsburger Hotels aufgebaut, wo die Teilnehmer praktisch ausgebildet werden, während sie den praxisbezogenen Theorieunterricht an der Akademie absolvieren. Daneben begleite die Akademie sowohl Betriebe als auch Teilnehmende pädagogisch. Ab September bietet sie nun acht weitere Plätze an, die Qualifikation dauert 27 Monate. Finanziert wird sie von der Arbeitsagentur und dem Bezirk. Anders als in Werkstätten für Menschen mit Behinderung, wo auch Malina Fischer zuvor arbeitete, erhalten die Absolventinnen nach der Qualifikation eine branchenübliche Bezahlung.
Arbeitgeber profitieren
Dass auch die Unternehmen von der Einstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen profitieren können, bestätigt Liane Hamann, Direktorin des Holiday Inn in Augsburg: "Malina Fischer ist mit Unterstützung in der Lage, alle Aufgaben zu erledigen, die unsere Servicemitarbeiter auch erledigen." Gerade mit Blick auf den Fach- und Arbeitskräftemangel in der Branche schätzt sie die Möglichkeit, neue potenzielle Mitarbeiter für den Arbeitsmarkt zu erschließen. "Der Arbeitskräftemangel erhöht die Motivation, sich andere Zielgruppen anzuschauen", erklärt Akademiegeschäftsführer Mack.
Die Lücke zwischen Werkstätten für Menschen mit Behinderung und dem allgemeinen Arbeitsmarkt schließen können solche Angebote aus Sicht des bayerischen Sozialministeriums aber nicht: Hier seien Inklusionsbetriebe das Mittel der Wahl. Sie beschäftigen einen hohen Anteil an Menschen mit Behinderung, mit allen Arbeitgeberpflichten, und bieten besondere Betreuung an. Derzeit gebe es in Bayern 107 Inklusionsbetriebe mit etwa 4.000 Arbeitsplätzen, wovon über 1.800 von Menschen mit Behinderung besetzt seien.
Mack sieht Mangel an Inklusionsbetrieben
Das Problem: In Augsburg gibt es laut Mack nur zwei Inklusionsbetriebe, mit rund 30 Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung. Deshalb seien sie nur ein kleines Rädchen: "Inklusion kann nur gelingen, wenn ganz viele Betriebe erkennen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen eine wertvolle Unterstützung sein können." Die einsmehr Akademie verstehe sich als „Brücke, damit Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen gut auf den ersten Arbeitsmarkt kommen können“.
"Wir brauchen unbedingt mehr davon!", erklärt Holger Kiesel, Bayerns Beauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderung auf BR-Anfrage. Projekte wie das der einsmehr Akademie zeigten, was Menschen mit kognitiven Einschränkungen leisten können und wollen und was für ein "immenses Potenzial hier viele Jahre lang einfach übersehen wurde".
Für einen Lückenschluss zwischen Werkstätten für Menschen mit Behinderung und dem allgemeinen Arbeitsmarkt sieht aber auch er die Arbeitgeber in der Verantwortung: "Sie müssen bereit sein, die Potenziale von Menschen mit kognitiven Einschränkungen zu sehen und vor allem deutlich mutiger zu nutzen." So wie Liane Hamann vom Hotel Holiday Inn in Augsburg.
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