Unter den acht Frauen und 23 Kindern, die auf Initiative der deutschen Bundesregierung in der Nacht zum Donnerstag aus dem Gefangenenlager Roj in Nordostsyrien nach Deutschland ausgeflogen wurden, befindet sich nach BR-Informationen auch eine terrorverdächtige Mutter aus Bayern und ihre vier Kinder. Wie die Generalstaatsanwaltschaft München dem BR bestätigte, wurde gegen Sandra M. nach ihrer Landung in Frankfurt ein erlassener Haftbefehl des Oberlandesgerichts München in Vollzug gesetzt.
Mann bei Tätigkeit für den IS unterstützt?
Die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus der Generalstaatsanwaltschaft München wirft der in Wolfratshausen geborenen 36-Jährigen vor, 2015 zusammen mit ihrem Ehemann und damals drei Kindern nach Syrien mit dem Ziel ausgereist zu sein, sich dort der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) anzuschließen. Sandra M. soll die drei in Deutschland geborenen Kinder und das vierte, in Syrien zur Welt gebrachte Kind, im Sinne der "IS"-Ideologie erzogen haben und insbesondere ihren Ehemann bei dessen Tätigkeit für den "IS" unterstützt haben.
Die Generalstaatsanwaltschaft geht davon aus, dass sich der Ehemann noch in Syrien aufhält. Sie ermittelt gegen ihn unter anderem wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft arbeitete der Ehemann in einer technischen Einrichtung des "IS", die sich auch mit der Vorbereitung von Selbstmordattentaten befasste.
Sandra M. soll Fürsorgepflicht verletzt haben
Die Vorwürfe gegen die Münchnerin Sandra M. lauten Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht.
Das Familiengericht München hatte ihr im November 2016 das Sorgerecht für alle vier Kinder entzogen. Als Vormund wurde der Sozialdienst katholischer Frauen bestellt. Der Sozialdienst hatte schon länger versucht die Kinder aus humanitären Gründen nach Deutschland zu holen.
Jugendämter aus ganz Deutschland aktiv
Im vergangenen Jahr hatte der Sozialdienst dem BR mitgeteilt, es bestehe ein guter Kontakt mit dem Jugendamt, um nach einer Rückkehr der Familie schnellstmöglich aktiv zu werden. Weitere Maßnahmen seien auch vom psychischen Zustand der Kinder und der Kooperationsbereitschaft der Mutter abhängig.
Wie die dpa berichtet, haben sich Mitarbeitende von Jugendämtern aus ganz Deutschland nach der nächtlichen Ankunft in Frankfurt um die insgesamt 23 Kinder gekümmert. Laut der Generalstaatsanwaltschaft München waren darunter auch die vier Kinder von Sandra M.: Ein fast erwachsenes Kind aus erster Ehe und drei minderjährige Kinder aus der Verbindung mit ihrem jetzigen Mann.
Der Verbleib des ältesten Kindes der Terrorverdächtigen galt seit Oktober 2019 als unbekannt. 2020 sagte ihr Anwalt Dirk Schoenian auf BR-Anfrage, der Jugendliche sei aus dem Lager herausgeholt und in einer Art Umerziehungseinrichtung untergebracht worden.
Auswärtiges Amt: Fälle besonders schutzbedürftig
Wie Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) in Berlin mitteilte, organisierte Deutschland die Rückholung gemeinsam mit Dänemark, das 14 Kinder und drei Frauen aus Syrien zurückholte. Die USA leisteten demnach logistische Unterstützung. "Die Kinder trifft keine Schuld an ihrer Lage", hob Maas in der Mitteilung hervor. Sie seien unverschuldet in eine Notlage geraten. Es sei daher "richtig, dass wir alles dafür tun, ihnen ein Leben in Sicherheit und einem guten Umfeld zu ermöglichen".
Bei den zurückgeholten deutschen Kindern handelt es sich nach Angaben des Auswärtigen Amts um Fälle, die als besonders schutzbedürftig eingestuft worden seien. Es seien Kinder mit Erkrankungen oder mit Sorgeberechtigten in Deutschland, sowie deren Geschwister und Mütter.
Teilweise sitzen ehemalige IS-Frauen mit ihren Kindern schon seit mehreren Jahren in Gefangenenlagern in Nordsyrien fest. In Posts in sozialen Netzwerken verweisen sie auf ihre schwierige Lage in den nordsyrischen Camps - schmutzige Toiletten etwa oder kaputte Zelte. Über Berliner Verwaltungsgerichte versuchen sie ihre Rückkehr nach Deutschland zu erstreiten.
Auch Sandra M. hatte schon länger versucht über Verwaltungsgerichte nach Deutschland zurückzukommen. Allerdings hatte das Auswärtige Amt immer wieder mitgeteilt, dass keine konsularische Präsenz in Syrien sei und damit auch kein konsularischer Zugang in Nordost-Syrien.
Weitere Haftbefehle in Vollzug gesetzt
Neben Sandra M. wurden nach der Landung am Frankfurter Flughafen weitere mutmaßliche IS-Unterstützerinnen festgenommen. Mindestens zwei von ihnen gelten als "Gefährderinnen". Das bedeutet, dass ihnen die Polizei schwere politisch motivierte Straftaten zutraut.
Die salafistisch-dschihadistische Szene in Deutschland hatte Frauen in den nordsyrischen Camps immer wieder Geld geschickt. Eine Frau aus Geretsried wurde zuletzt deshalb festgenommen und sitzt in U-Haft. Laut Bundesanwaltschaft soll sie ihren Mann dabei unterstützt haben, Spenden zu sammeln. In einem Fall soll sie Geld eingetrieben haben, um eine Frau aus einem kurdischen Flüchtlingslager zu befreien, damit sie zum Islamischen Staat zurückkehren konnte.
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