Pfarrer Klaus Kuhn (rechts) im Gespräch mit einem Helfer des Deutschen Roten Kreuzes.
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Schweinsbraten und Seelsorge: Ein Pfarrer im Hochwasser-Einsatz

Sandsäcke füllen und Keller auspumpen: Tausende Helfer kämpfen in Bayern gegen das Hochwasser. Einer von ihnen ist Pfarrer Klaus Kuhn. Als Notfallseelsorger kümmert er sich außerdem um die Einsatzkräfte – in Gesprächen, aber auch mit Schweinsbraten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

5.000 Portionen Schweinebraten, 3.100 Teller Bolognese: In der Dienststelle der Johanniter im Süden von Ingolstadt wird nicht gespart, wenn es ums Essen geht. Es gilt Tausende Helfer zu verköstigen, die in der Region gegen das Hochwasser kämpfen und den Menschen helfen.

Es ist 8.15 Uhr und gerade betritt ein Trupp von 40 Männern und Frauen mit schweren Stiefeln und in reflektierender Schutzkleidung das Gebäude. Die Einsatzkräfte vom Roten Kreuz, Arbeiter-Samariterbund und den Maltesern sind für Evakuierungen zuständig. Sie kommen gerade aus dem schwer vom Hochwasser betroffenen Reichertshofen, erzählt einer. Jetzt können sie sich in der Turnhalle an einem Frühstücksbuffet mit Wurst-, Käse- und Nutellasemmeln stärken.

"Ein bisschen zu quatschen tut gut"

Pfarrer Klaus Kuhn setzt sich mit an einen der Biertische. Er ist bei den Johannitern und ausgebildeter Notfallseelsorger. Ob alles in Ordnung sei, fragt er in die Runde. Ein etwas müdes Kopfnicken. Zwar konnten die Helfer in dieser Nacht schlafen, aber die vergangenen Tage haben sichtliche Spuren hinterlassen in den Gesichtern.

Klaus Kuhn geht von Tisch zu Tisch, erzählt hier eine aufbauende Geschichte, macht dort einen kleinen Witz und sorgt so für gute Stimmung. "Ein bisschen zu quatschen tut gut", sagt Franzi vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). Eine richtige seelsorgerische Betreuung brauche es in der akuten Einsatzphase aber nicht. Da helfe am meisten die "Dankbarkeit der Leute, die vorbeikommen und geschmierte Semmeln oder Kuchen bringen".

Das Warten auf den Einsatz bereitet den Helfern oft Stress

Das weiß auch der erfahrene Notfallseelsorger. Er drängt sich nicht auf, macht Gesprächsangebote, schaut aber vor allem, dass die Helfer genug heißen Tee und Kaffee sowie Essen bekommen. Oft sei es gar nicht der Einsatz selbst, der den Helfern Stress bereite, sondern das Warten darauf, sagt Kuhn. Denn welche Trupps wann und wo eingesetzt werden, entscheidet die Einsatzleitung.

"Dieses Warten und nichts tun können, obwohl man gerne helfen möchte, das ist manchmal auch belastend." Jeder sehe immer nur seine eigene Situation, weiß der Notfallseelsorger aus eigener Erfahrung. Vor drei Jahren war er selbst im Ahrtal im Einsatz. "Zu hören, dass es anderen ganz genauso geht, und die Ungeduld eine ganz normale, typische Reaktion ist, entlastet ungemein."

Doch das Warten hat für einige an diesem Morgen schneller ein Ende, als ihnen lieb ist: Plötzlich tönt ein lauter Ruf durch die Turnhalle. Die Rettungskräfte haben einen neuen Einsatz bekommen. Hastig werden die letzten Reste Kaffee getrunken. Innerhalb von einer Minute leert sich die Halle.

Schweinsbraten und Bratwürste für die Einsatzkräfte

Zurück bleiben Pfarrer Kuhn sowie ein paar weitere Johanniter. Pause machen ist aber nicht drin: In der Küche sind gerade mehrere Kilo Schweinsbraten dampfend aus dem Ofen gekommen. Dieser wird nun in Scheiben geschnitten, in Transportboxen verpackt und in einen Bus verladen. Zusammen mit zwei weiteren Johannitern macht sich Kuhn auf den Weg.

Ziel ist der Verpflegungsstützpunkt Geisenfeld. Auf dem Gelände stehen Rettungswagen und Mannschaftstransportwagen verschiedener Hilfsorganisationen sowie jede Menge blaue Fahrzeuge des Technischen Hilfswerks (THW). Eine Gruppe des THW aus dem mittelfränkischen Schwabach betreibt hier seit drei Tagen eine mobile Küche. Laut brummende Generatoren auf Lastwagen erzeugen den dafür notwendigen Strom.

Zusammenarbeit vieler Akteure: "Ein Zahnrad greift in das andere"

Aktuell werden in einem Bräter Hunderte Bratwürste knusprig braun gebraten. Auf Paletten stehen Dutzende Getränkekisten mit Spezi, Cola und Wasser. Daneben stapeln sich schwarze Plastikkisten mit Bananen, Keksen und Schokoriegeln. Auf dem Stützpunkt selbst werden keine Einsatzkräfte versorgt, sondern das Essen wird direkt an die Helfer vor Ort geschickt. Auch für den Schweinsbraten, den die Johanniter zugeliefert haben, geht die Reise weiter.

Ein Pritschenwagen der Bundeswehr fährt rückwärts heran und Soldaten beginnen mit dem Laden. Obwohl viele Akteure hier vertreten seien, laufe die Zusammenarbeit super, "alle ziehen an einem Strang", sagt Kuhn. "Ein Zahnrad greift in das andere."

Überflutete Kirche – vom Helfer zum Betroffenen

Nach einigen Gesprächen ist die Arbeit für die Johanniter hier getan. Da er keinen Folgeauftrag hat, beschließt der evangelische Pfarrer, einen Abstecher in seine Kirchengemeinde zu machen. Er ist nicht nur Helfer, sondern auch Betroffener: Am Abend zuvor wurde der Keller seiner Kirche, in dem auch der Pfarrsaal liegt, überflutet. Der Kicker, ein altes Harmonium, Tische und Stühle stehen im Wasser. Der Grundwasserspiegel war so weit angestiegen, dass das Wasser einfach durch die Wände ins Gebäude drückte.

Gerade erst hatte die Gemeinde die Räume renoviert. Ende Juni wollte sie hier ihr 60-jähriges Bestehen feiern. Alles sei geplant, alles bestellt gewesen. "Eigentlich würde ich jetzt am liebsten was tun und nicht nur still dastehen und zuschauen müssen", sagt der Pfarrer etwas hilflos. Doch solange das Grundwasser nachdrücke, könne man nichts machen, außer zuzusehen, wie ein kleiner Bach beständig durch die geöffneten Türen hinaus fließt.

Klaus Kuhn beschließt, Mitglieder seiner Gemeinde zu besuchen und sich nach deren Befinden zu erkundigen. Auf seinem Handy schlägt die Nina-Warn-App Alarm: Im Norden Ingolstadts sollen sich die Menschen in Sicherheit bringen – der Pegel der Donau sei so hoch, dass sich die Paar, die dort mündet, zurückstaut. Eine neue Welle droht.

Baar-Ebenhausen: Geruchsmix von Diesel und Heizöl in der Luft

In Baar-Ebenhausen trifft der Pfarrer Gabi Blumhofer vor ihrem Haus. Ein Geruchsmix von Diesel und Heizöl liegt in der Luft. In vielen Vorgärten knattern Notstromaggregate. Seit das Wasser hier vor zwei Tagen kniehoch in den Straßen stand, gibt es keinen Strom mehr. Warmwasser, Heizung, Gefriertruhe, Internet – alles sei ausgefallen, erzählt Gabi Blumhofer dem Pfarrer. "Die Grundlagen des täglichen Lebens sind zerstört."

Sonntagnacht, als das Wasser stieg, sei sie mit ihrem Mann gerade von einem Italienurlaub zurückgekommen. Irgendwann sei das Wasser durch die geschlossenen Kellerfenster hereingelaufen, "als hätte man Wasserschläuche aufgedreht". Kuhn und Blumhofer kennen sich aus dem Asylhelferkreis. Von dort erhielt die Familie auch schnell Hilfe. "Es war für meine Asylbewerber selbstverständlich, dass sie alle gekommen sind – unaufgefordert", sagt Blumhofer gerührt. Ständig seien mehrere dagewesen, die nicht lange gefragt, sondern angepackt hätten. Nicht nur bei ihr, "sondern überall auf dem Weg von der Unterkunft hierher, wo sie Not gesehen haben".

Wie auch bei den Einsatzkräften hört Kuhn der Frau vor allem zu. In der akuten Krisensituation bräuchten die Leute zunächst keine Seelsorge, sondern ganz konkrete Hilfe, sagt er.

"Die Hilfe von oben kommt vielfach von Menschen, die anpacken, die einfach vorbeikommen und helfen." Pfarrer Klaus Kuhn

Und wieder piept die Warn-App

Nur einige Meter weiter steht eine Gruppe von THWlern bei der Einsatzbesprechung. Sie sollen die Kanäle im Gebiet beobachten, um notfalls gleich mit dem Abpumpen beginnen zu können. Kuhn bietet ihnen spontan an, seinen katholischen Kollegen zu fragen, ob sie in dessen Pfarrsaal übernachten könnten. Handynummern werden ausgetauscht.

Dann piept erneut die Nina-App: Dieses Mal die Warnung, dass der Grundwasserspiegel in den kommenden Stunden im Gemeindegebiet des Seelsorgers steigen wird. "Das heißt für mich: vollgelaufene Keller, vielleicht eine Nachtschicht", sagt Kuhn. Er steigt ins Auto und fährt zurück zur Dienststelle der Johanniter.

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