Am Memminger Landgericht hat am Mittwoch der Berufungsprozess gegen einen ehemaligen Frater vom Orden der Maristen wegen sexuellen Missbrauchs begonnen. Dabei geht es vor allem um die Frage, ob der heute 64-Jährige vor rund 20 Jahren einen damals 15-jährigen Internats-Schüler mehrfach vergewaltigt hat.
Freispruch in erster Instanz
Von diesem Vorwurf hatte das Amtsgericht Memmingen den Mann im Januar vergangenen Jahres in erster Instanz freigesprochen. Laut Anklage soll der frühere Ordensmann den Schüler unter der Androhung, er fliege ansonsten aus dem Internat, aufgefordert haben, sich zu bücken und sich dann an ihm vergangen haben. In einem weiteren Fall soll er den Jugendlichen auf einem Ausflug auf eine Hütte zum Oral-Verkehr gedrängt haben. Weitere, ähnliche Fälle soll es demnach in der Folge auch noch am Maristen-Kolleg gegeben haben.
Von diesen Vorwürfen hatte das Amtsgericht Memmingen den Ex-Frater Anfang vergangenen Jahres allerdings freigesprochen. Den Ausschlag gab ein psychologisches Gutachten, das besagte, dass es sich bei den Schilderungen um "Schein-Erinnerungen" handeln könnte.
Richter: Keine unmittelbaren Beweise, aber Gesamtzusammenhang
Das Problem des Gerichts auch jetzt in zweiter Instanz am Landgericht: Es stehe Aussage gegen Aussage, es gebe keine unmittelbaren Beweise außer den Berichten des mutmaßlichen Opfers zum Erlebten – auch wenn diese sich in den Gesamtzusammenhang der Ereignisse einfügen ließen, so der Vorsitzende Richter.
Denn: Zwei weitere Tatvorwürfe hatte der ehemalige Frater, der mittlerweile vom Maristen-Orden ausgeschlossen wurde, zu Beginn des damaligen Prozesses zugegeben: vier Fälle von sexuellem Missbrauch und einen Fall von sexueller Nötigung an zwei damals 13-jährigen und 17-jährigen Jugendlichen. Dafür hatte ihn das Amtsgericht verurteilt, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung.
Nach mehreren Verurteilungen: Haftstrafe gefordert
Sowohl gegen dieses Strafmaß als auch gegen den Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung hat die Staatsanwaltschaft, die dreieinhalb Jahre Haft gefordert hatte, Berufung eingelegt. Der Anwalt des mutmaßlichen Vergewaltigungs-Opfers hat ebenfalls Berufung gegen den Freispruch eingelegt. Vor mehr als zehn Jahren war der Mann bereits zweimal wegen Missbrauchsfällen zu Bewährungsstrafen verurteilt worden.
Mutmaßliches Opfer will aussagen
Im Berufungsprozess wird am Donnerstag erstmals auch eine Aussage des mutmaßlichen Vergewaltigungs-Opfers erwartet. Der Mann, der laut seinen Angehörigen sehr unter dem mutmaßlich Erlebten leidet, hatte im ersten Prozess nicht persönlich vor Gericht ausgesagt. Auch seine Mutter ist morgen am Landgericht als Zeugin geladen.
Der frühere Frater ließ indes über seine Verteidiger verlauten, dass er sich zu den Vorwürfen nicht äußern werde. Auch eine Anfrage des BR an seine Anwälte nach einer Stellungnahme zu den Vorwürfen blieb im Vorfeld der Verhandlung unbeantwortet.
Protestaktion und Aufarbeitung
Der Verein "Wir sind viele!", in dem sich etwa 30 ehemalige Schüler des mittlerweile geschlossenen Internats des Maristenkollegs Mindelheim zusammengeschlossen haben, die ebenfalls von sexueller Gewalt berichten, machte vor der Verhandlung mit einer Protest-Aktion mit großen roten Luftballons vor dem Landgericht auf sich aufmerksam.
Der Maristen-Orden will sich nach eigenen Angaben selbst um die Aufarbeitung möglicher Missbrauchsfälle bemühen. Man sei in Gesprächen mit einer Anwaltskanzlei, "um einen umfassenden Aufarbeitungsprozess zu Missbrauch bei den Maristen in Gang zu bringen", sagte der Mindelheimer Ordens-Vorsteher Frater Michael BR24.
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