Donnerstagmorgen – Klasse 11c des Wittelsbacher-Gymnasiums in der Münchner Innenstadt. Hier findet zum ersten Mal die "Verfassungsviertelstunde" statt - probeweise. Lehrerin Veronika Wiesmeier beginnt mit den Worten: "Heute geht es um Fußball." Dann schaltet sie den Beamer ein – ein kurzer Ausschnitt aus dem BR-Video "Hate-Speech im Profisport". Fußballer des FC Bayern München erzählen darin, was ihnen im Internet so vor den Latz geknallt wird: "Möge euer Teambus brennen!" – "Ihr Hurensöhne!" – "Was ist mit Deutschland los, alle Spieler sind schwarz!"
Was Fußball mit Meinungsfreiheit zu tun hat
Danach blendet die Lehrerin Artikel 5 des Grundgesetzes ein: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern". Die Frage ist: Wie weit darf das gehen? Die Schülerinnen und Schüler melden sich eifrig. Aber ein bisschen steif geht es noch zu – was damit zu tun haben könnte, dass in der letzten Reihe Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Kultusministerin Anna Stolz (FW) sitzen, und ständig eine Handvoll Kamerateams die Schüler umkreist.
Idee für "Verfassungsviertelstunde" nach der Landtagswahl
Die "Verfassungsviertelstunde" war das viel beachtete Überraschungselement im Koalitionsvertrag, den CSU und Freie Wähler im Oktober 2023 vorstellten. Ein Dreivierteljahr später hat das Kultusministerium jetzt das Konzept dafür fertiggestellt und an alle bayerischen Schulen verschickt. Ab dem nächsten Schuljahr wird die Verfassungsviertelstunde verpflichtend an allen Schularten im Freistaat eingeführt.
Impuls gegen Radikalisierung
"Es geht darum, dass wir die Lebenswelt, der Schülerinnen und Schüler aufgreifen und dann einen Bezug herstellen zur Verfassung, zu den Werten, zu unserer Demokratie", sagt Stolz. Söder ergänzt: "Wir sehen, welchen Einfluss radikale Szenen gerade auf junge Leute auszuüben versuchen. Und da ist es ein Gegenimpuls."
Auch in Mathe soll Demokratieerziehung stattfinden
Einmal in der Woche soll die Verfassungsviertelstunde stattfinden, und zwar innerhalb der normalen Unterrichtszeit, in wechselnden Fächern: nicht nur Geschichte und Politik, sondern auch in Mathe und Sport. Die Staatsregierung verspricht sich davon wechselnde, frische Perspektiven auf die Demokratie. Los geht es damit schon früh: in der zweiten und vierten Klasse an den Grundschulen. Und an den weiterführenden Schulen von Mittelschule bis Gymnasium vor allem in den Jahrgangsstufen sechs, acht und elf. Ziel ist, die Verfassungsviertelstunde später in allen Jahrgangsstufen anzubieten.
Schülersprecher begrüßt die Verfassungsviertelstunde
Heinrich Ritter, Landesschülersprecher der Gymnasien, begrüßt die Entscheidung: "Wir haben schon seit Langem mehr politische Bildung an den Schulen gefordert." Und auch Schüler des Wittelsbacher-Gymnasiums äußern sich nach der ersten Probe-Viertelstunde positiv. Etwa Julius Hartl: "Ganz toll, einfach mal Diskussion statt Frontalunterricht." Die Zeit dafür sei aber knapp. Maximilian Lang pflichtet bei: "Ich finde eine Viertelstunde pro Woche einfach ein bisschen zu kurz."
Für Diskussion bräuchte es oft mehr Zeit
Reicht die Zeit, wenn man ein Thema angerissen hat, es dann auch wirklich zu behandeln? Das nennt auch Lehrerin Veronika Wiesmeier "eine Herausforderung". Ihr Schulleiter hält es für möglich, vielleicht alle drei Wochen eine ganze Schulstunde der Verfassung zu widmen, statt 15 Minuten in jeder Woche.
Die Schulen sollen weitgehende Freiheit bei der Umsetzung der Verfassungsviertelstunde bekommen. Und auch Materialien, Fortbildungsangebote und Umsetzungsvorschläge. Und klar ist: Noten gibt es während dieser Demokratieerziehung keine.
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