Es gab Zeiten, da hat Hubert Aiwanger seinen heutigen Kabinettschef Markus Söder mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un verglichen – zumindest optisch: "Wenn er sich vor einem riesigen eigenen Bild fotografieren lässt, das ausschaut wie der nordkoreanische Präsident – also da muss ich sagen: Da hat er das Fingerspitzengefühl verloren." FW-Chef Aiwanger bezog sich auf ein Logo zur bayerischen Weltraumstrategie "Bavaria One". In dessen Mitte: der Kopf von Markus Söder.
Zugegeben: Das war im Oktober 2018, in der Hochphase des Landtagswahlkampfs und vor der ersten schwarz-orangen Koalition. Nicht nur für das Logo gab es Spott und Häme - auch für das Raumfahrtprogramm insgesamt. Aiwanger und viele andere warfen Söder "Größenwahn" vor.
Was ist aus den 700 Millionen Euro für "Bavaria One" geworden?
Dem Ministerpräsidenten war und ist das egal. CSU-Chef Söder gibt gern den Antreiber von Bayerns Ambitionen im Weltraum. Insgesamt 700 Millionen Euro für zehn Jahre hatte er 2018 für "Bavaria One" angekündigt. Später wurde das Programm Teil der sogenannten "Hightech-Agenda". Bayern sollte eine führende Rolle in der europäischen Luft- und Raumfahrt einnehmen, vor allem durch Förderung von Wirtschaft und Wissenschaft.
Laut eigenen Angaben hat das Wirtschaftsministerium seit 2018 rund 245 Millionen Euro für den Bereich Raumfahrt bereitgestellt, unter anderem für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und das bayerische Raumfahrtforschungsprogramm. Hinzu kommen knapp 200 Millionen Euro für die Luftfahrt. Insgesamt wurde demzufolge in rund sechs Jahren also deutlich mehr als die Hälfte der versprochenen 700 Millionen Euro bereitgestellt.
Video: Interview mit Ulrich Walter
Neuer "Aerospace"-Studiengang an der TU – aber es fehlt an Platz
Aus dem Wissenschaftsministerium kommt weiteres Geld: An der Technischen Universität München (TU) soll nach dem Willen der Staatsregierung die größte Raumfahrt-Fakultät Europas entstehen. 2021 startete der neue Bachelor-Studiengang "Aerospace". Der Andrang ist seither groß, allerdings fehlt es auf dem Campus in Ottobrunn/Taufkirchen an Platz. Mehrere Anläufe, vorhandene Gebäude zu renovieren, scheiterten. Aktuell nutzen die Studierenden einen Interimshörsaal in Zeltoptik. "Wir wollen langfristig dort bauen, um ein größeres Gebäude zu bekommen", sagt Professor Ulrich Walter, Lehrstuhlinhaber für Raumfahrttechnik an der TU. Einen konkreten Zeitplan gibt es nicht. Man lebe von "der Hand in den Mund", so Walter.
Am Ende soll es auf dem Campus 50 neue Professuren und rund 4.000 Studierende geben. Laut Walter ist man "genau mittendrin" und auf einem guten Weg die neuen Lehrstühle aufzubauen: "Wir werden noch einmal so fünf Jahre brauchen, bis wir diese 50 erreicht haben."
Professor Walter hält Vorwurf des Größenwahns für unangebracht
Walter war 1993 selbst mit dem NASA-Space Shuttle "Columbia" für zehn Tage im All. Er hat die Raumfahrtstrategie der Staatsregierung mitentwickelt, der Slogan "Bavaria One" kam von Söder. Den Vorwurf des Größenwahns hält Walter für unangebracht. Es sei nie darum gegangen, "zum Mond zu fliegen", wie anfänglich suggeriert. Stattdessen gehe es darum "Raumfahrt für das Wohl der Menschen in Bayern möglich zu machen". Walter nennt als Beispiel Satelliten zur Erdbeobachtung. Dadurch könne man auch in Echtzeit erfassen, wann wo welche Wälder im Freistaat geschädigt sind, wo Verkehrsstaus auftreten oder welche Häuser bei einem Hochwasser zuerst zu überfluten drohen.
Bei der Förderung der bayerischen Raumfahrtwirtschaft sieht Walter Nachholbedarf: "Mein Eindruck ist, dass es daran liegt, dass die Prozesse, um solche Gelder in Projekte zu schieben, nicht bekannt oder klar sind. Deswegen hakt es." Grundsätzlich hält er die Investitionen des Freistaats aber für richtig: "In Zukunft werden wir dadurch nicht nur Raumfahrtindustrie anziehen, junge Menschen, neue Start-ups, sondern wir werden international mit den Amerikanern mit den Europäern zusammenarbeiten, um da mehr zu machen."
Grüne: Finanzielles Volumen, das "sich sehen lassen kann"
Auch die bayerische Opposition sieht eine positive Entwicklung. "Wir waren damals durchaus kritisch, zumal in den ersten Jahren nur Investitionen von 30 Millionen Euro abgerufen wurden", sagt Verena Osgyan, wissenschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion. Das Programm sei "ein bisschen stolperig losgegangen", aber: "Mittlerweile muss man sagen, hat sich das Volumen schon so entwickelt, dass es sich sehen lassen kann."
Zum TU-Campus in Ottobrunn gebe es zwar noch Fragen, wo welche Einrichtung entstehen wird, dennoch seien auch die Grünen stolz auf die neue Fakultät. Für künftige Weltraummissionen brauche es enge Zusammenarbeit zwischen Bayern, Deutschland und Europa, sagt Osgyan: "Kleinstaaterei ist da fehl am Platz."
Nun ist klar: Mondkontrollzentrum soll nach Bayern kommen
Eine solche Kooperation ist nun auf dem Weg: Am Nachmittag unterzeichnete Söder eine Absichtserklärung für ein Mondkontrollzentrum in Oberpfaffenhofen. Mit dabei: Josef Aschbacher, Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Es ist der nächste Schritt zu einem, wie Söder es nennt, "Houston Deutschlands" in Bayern. Die Raumfahrt sei ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, den man nicht anderen Ländern überlassen sollte, sagte Söder bei der Unterzeichnung. Aschbacher erläuterte, dass er mit einer Fertigstellung bis 2027 rechne. Das Mondkontrollzentrum müsse nicht neu gebaut werden, sondern entwickle sich aus dem bereits bestehenden Columbus-Kontrollzentrum.
Auch Osgyan befürwortet die Pläne: Der Freistaat könne bei einem solchen Mondkontrollzentrum "eine starke Rolle spielen". Die Kompetenz, eine solche Bodenstation zu leiten und Mondmissionen zu begleiten, "hat sich Bayern über die Jahrzehnte erarbeitet", sagt Ulrich Walter. Im Columbus-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen werden seit 2008 Laborsysteme auf der internationalen Raumstation ISS gesteuert und überwacht. Bereits in rund vier Jahren soll laut Walter der Aufbau einer internationalen Mondstation beginnen – und damit auch die Arbeit im dazugehörigen Kontrollzentrum in Bayern.
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