Menschen sagen nicht immer die Wahrheit. Wer gefragt wird, wie es einem geht, antwortet manchmal "gut", obwohl das gar nicht stimmt. Gerade für ältere Personen mit gesundheitlichen Schwierigkeiten kann das zum Problem werden, wenn sie nicht die notwendige Pflege oder Behandlung bekommen. Zwei Professoren an der Hochschule Neu-Ulm wollen deshalb herausfinden, wie es Menschen wirklich geht. Dazu analysieren sie die Stimme mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI).
Hochleistungsrechner analysiert die Sprache
Auf dem Tisch steht ein handelsüblicher Laptop samt angeschlossenem Mikrofon, mit dem die Stimme der Probanden aufgezeichnet wird. Die Magie passiert im Keller der Hochschule, genauer gesagt im Rechenzentrum. Hier steht ein Computer mit leistungsstarken Grafikkarten, der die Stimme bewertet. "Das geschieht anhand von 36 Merkmalen wie Sprechpausen oder wie schnell jemand redet", erklärt Professor Stefan Faußer. Vor ihm sitzt Tosca Szmrescany, eine Probandin, die jetzt erzählen soll, was sie kürzlich erlebt hat. Die KI bewertet keine Inhalte, sondern wie eine Person spricht. Auf einer Skala von 0 bis 100 soll sie nun einschätzen, wie wohl sich die Seniorin fühlt.
KI als "Blackbox"
Das System hat die Unterscheidung vorher gelernt. Es wurde mit Daten gefüttert, genauer gesagt mit Aussagen von Menschen, denen es gut, aber auch schlecht ging. Die KI erkennt aus vielen Sprechproben Muster, die sie auf künftige Beispiele anwendet. Je umfassender die Datengrundlage, umso besser das Ergebnis. Die Künstliche Intelligenz bleibt meist eine Blackbox. Denn wie sie entscheidet, können auch Wissenschaftler oft nicht nachvollziehen.
Diskriminierung durch Künstliche Intelligenz
Neben Chancen sehen Kritiker auch die Risiken von KI. Gerade die Daten, mit denen die Künstliche Intelligenz ihr Modell erstellt, sollten frei von diskriminierenden Einflüssen sein, sagt Kerstin Schlögl-Flierl. "Wenn Frauen wegen ihres Geschlechts von einer KI vor allem Jobs angeboten werden, die mit Sorgearbeit zu tun haben, dann werden Rollenbilder nicht aufgebrochen, sondern noch verstärkt", so das Mitglied des Deutschen Ethikrats. Das Gremium hat einen 400 Seiten starken Band verfasst, in dem es um das künftige Zusammenspiel von Menschen und Maschine geht. Schlögl-Flierl verweist auf mögliche Gefahren durch Deep-Fakes, wenn also Computer künstliche Stimmen vortäuschen, um andere Menschen zu betrügen. Sie sieht aber gleichzeitig auch die Chancen der KI, beispielsweise bei der Diagnose von Krankheiten. "Der Mensch soll nicht eingeschränkt, sondern bestärkt werden. Er muss die Letztentscheidung haben, ob seine Stimme ausgewertet wird", so Schlögl-Flierl.
Kein Ersatz für den Arzt
Die Europäische Union bringt derzeit ein Gesetz zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz auf den Weg. Denn klar ist, KI wird in Zukunft immer mehr Einzug in unseren Alltag halten, gerade auch in der Medizin. Schon jetzt könne sie Hautkrebs sehr gut beurteilen oder auch seltene Krankheiten frühzeitig erkennen, sagt Erik Bodendieck, Hausarzt und Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer. Er fordert, dass KI ähnlich wie Medikamentenkunde fest in der Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung verankert wird. Bodendieck glaubt, dass sich die Arbeitsabläufe von Ärzten deutlich verändern. "Die KI bleibt aber ein Werkzeug, der Mediziner wird nicht von der Technik ersetzt werden. Das Patienten-Arzt-Verhältnis wird weiterhin von Nähe geprägt sein."
Maschine kann Stimmung einschätzen
Zurück an die Hochschule in Neu-Ulm. Wo die KI das Wohlbefinden von Tosca Szmrescany berechnet hat und einen Wert von 70 ausspuckt. "Das kommt ziemlich gut hin", sagt die rüstige Seniorin, die zuvor einen Fragebogen ausgefüllt hatte, mit dem die Wissenschaftler das KI-Ergebnis überprüfen. Doch welchen Nutzen können solche Daten später einmal haben? Die Professoren denken an den Fachkräftemangel und den Engpass an Pflegekräften. Die KI könnte erkennen herausfinden, wer Hilfe am dringendsten benötigt. Andererseits könnte sich ein System auch mit Senioren unterhalten, die noch zu Hause leben. "Über die Tage werden dann immer wieder Sprachaufnahmen aufgezeichnet. So wird festgestellt, ob sich ihre Situation verschlechtert. Dann könnte der Sohn eine Nachricht bekommen, dass er seine Mutter mal wieder besuchen sollte", sagt Professor Gewald.
KI-Forschung bei Demenz
Er plant die Sprachanalyse auch auf andere Bereiche auszuweiten wie die Früherkennung von Alzheimer. Denn eine Maschine kann früher als ein Mensch erkennen, ob jemand kleinere Pausen beim Sprechen macht, die auf eine beginnende Erkrankung hindeuten könnten. Bis die medizinischen Entwicklungen die erforderliche Marktreife haben, wird es noch dauern.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!