Der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland veranstaltet an diesem Wochenende (17.-20.05.24) seinen 74. Heimattag in Dinkelsbühl. Motto "75 Jahre Gemeinschaft – Mach mit!" Ein vielfältiges Programm mit Tradition, Brauchtum, Kultur und Unterhaltung und natürlich der große Trachtenumzug durch die historische Altstadt sollen Tausende Besucher anlocken. Und auch die Sudetendeutschen kommen zu ihrem 74. Treffen zusammen, diesmal in Augsburg. Neben der Verleihung des Europäischen Karlspreises und vielen politischen Reden soll auch ein "Böhmisches Dorffest" mit Musik, Tanz und Kulinarik die alte Heimat erfahrbar machen. Für viele der im Zweiten Weltkrieg Vertriebenen waren und sind die Heimattage ein Pflichttermin. Heute aber sind viele von denen, die die Vertreibung aus dem heutigen Tschechien oder Rumänien noch selbst erlebt haben, verstorben. Kann man auch die Enkel und Urenkel damit locken?
Würzburger Tanzgruppe mit jungen Mitgliedern
Samstagnachmittag Ende April in einem Schweinfurter Pfarrzentrum: Nach dem Kaffee wird eine große Musikbox im Pfarrsaal aufgestellt und die die Würzburger Volkstanzgruppe der Siebenbürger Sachsen betritt mit ihren blauen und weißen blumenbestickten Trachten den Raum. Die rund 30 Besucher klatschen begeistert mit. Im Gegensatz zu den vielen Grau- und weißhaarigen Zuschauerinnen und Zuschauern sind die Tänzer allerdings deutlich jünger. Sarah Binder tanzt seit vier Jahren mit. Dass sie in der traditionellen Tanzgruppe zu den Jüngsten gehört, stört sie aber nicht. "Ich finde das eher einen Gewinn für Alle. Wir lernen viel von den Älteren, die Älteren lernen vielleicht auch von uns, wer weiß. Als ich dazukam, habe ich mir gedacht: Wenn keiner anfängt kommt keiner", sagt die 23-Jährige.
Motivation Gemeinschaftsgefühl und Traditionspflege
Ein Stück der eigenen Familiengeschichte weitertragen. Das ist auch für Sarahs Mittänzerin Martina Schwarz Motivation, sich bei den Siebenbürger Sachsen zu engagieren. "Ich würde die Tradition gerne so weit es geht bewahren. Vieles geht ja verloren über die Zeit, aber ich glaube mit der Tanzgruppe kann man einen Teil der Tradition auf jeden Fall weitertragen", sagt die 32-Jährige. Sarahs Tanzpartner Michael Höhnig lobt das Gemeinschaftsgefühl in der Tanzgruppe, das verschiedene Generationen verbinde: "Man lernt supernette Leute kennen, auf Tanzseminaren oder in Dinkelsbühl beim Sachsentreffen feiern Alt und Jung zusammen."
Oft wenig Interesse an Geschichte
Alt und Jung feiern zusammen, etwa bei den großen Pfingsttreffen in Augsburg und Dinkelsbühl. Das ist ein Idealbild, das in den Vertriebenenverbänden seit Jahren nicht immer aufrecht erhalten werden kann. Viele der jüngeren Generation interessieren sich schlicht nicht mehr für die Geschichte ihrer Familie, hat Sarahs Vater Gustav Binder beobachtet. Er wurde noch im rumänischen Siebenbürgen geboren, wanderte aber als Zwölfjähriger nach dem Tod des Vaters mit seiner Mutter und den Geschwistern 1972 nach Deutschland aus und ist heute Studienleiter im Heiligenhof Bad Kissingen. Die alte Heimat hat er seinen beiden Töchtern bei regelmäßigen Besuchen nahegebracht. "Hermannstadt war 2007 Kulturhauptstadt, es ist landschaftlich sehr schön. Sie kokettieren auch mit ihrer Herkunft und mit rudimentären rumänischen Sprachkenntnissen", so Binder.
Zugang über Brauchtum oder Literatur
Allerdings gibt Binder zu, dass seine Töchter damit nicht unbedingt repräsentativ sind für die jüngere Generation. Besonders abseits der Siebenbürger Siedlungszentren München, Nürnberg, Ingolstadt und Augsburg verlören viele Nachkommen das Interesse. Tanzen oder Brauchtum sei eben nicht jedermanns Sache. Es gebe aber durchaus auch andere Zugänge zur Herkunft, etwa über die Gegenwarts-Literatur aus Rumänien, allen voran mit der Nobelpreisträgerin Herta Müller. Das Interesse an der Heimat der Vorfahren auch bei den Jüngeren wachhalten, das ist auch bei den Sudetendeutschen eine große Aufgabe. Rund Drei Millionen verloren in Böhmen und Mähren nach 1945 ihre Heimat in der damaligen Tschechoslowakei. Für Steffen Hörtler war es ein Erlebnis in der Schulzeit, das ihn motiviert hat, sich mehr und mehr mit der eigenen Herkunft zu befassen.
Verdrängte Geschichte in der DDR
Damals wohnten die Hörtlers in der DDR und als die Lehrerin erzählte, was die Nazis gemacht haben, habe er sich gemeldet und erzählt, dass sein Vater von Tschechen aus seiner Heimat vertrieben wurde. "Und die Lehrerin sagte damals zu mir, das habe ich völlig falsch verstanden, das war so nicht gewesen. Wenn es einen Vertreiber gab, dann waren das die Nazis gewesen." Danach habe es eine Aussprache gegeben, Hörtlers Vater musste in Schule kommen. "Das hat mich als Kind wirklich verändert, weil ich doch wusste: Die Familiengeschichte war anders gewesen", erzählt der heute 50-Jährige, der seit einigen Jahren Stiftungsdirektor an der Bad Kissinger Bildungsstätte Heiligenhof und außerdem Bayerischer Landesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft ist.
Jeder Vierte in Bayern nach dem Krieg Vertriebener
Wie groß sieht er das Interesse der Kinder und Enkelkinder der Vertriebenen? Haben die tatsächlich noch Lust und Energie, sie mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen? Hörtler holt auf diese Frage etwas aus. Wenn er heute vor einer der rund 100 Schulklassen, die jährlich den Heiligenhof besuchen, stehe, dann stelle er zunächst die Frage, wer Vorfahren hat aus Böhmen, Mähren oder Schlesien hat. Meist meldeten sich bei bayerischen Klassen dann mindestens ein Viertel der Schüler. "Und das ist nicht verwunderlich, denn 1946 war jeder vierte Einwohner ein Vertriebener in Bayern und wir Sudendeutschen mit weit über einer Million davon die größte Gruppe gewesen." Wenn er dann aber weiter nachfrage, nicht bei nur Kindern, sondern auch bei Erwachsenen, dann kommt schnell raus, dass sie sich noch sehr wenig mit ihrer Geschichte beschäftigt haben.
Interesse bei Älteren und Regionalgruppen
Das Interesse und auch das Wissen über die eigene Vergangenheit lässt also ganz klar nach. Das sei nicht anders als in vielen anderen Vereinen, findet Steffen Hörtler. Interessant aber findet er aber, dass Menschen dann im Alter zwischen 60 und 70 doch wieder kommen, um nach den eigenen Wurzeln zu forschen: "Menschen dieses Alters kommen immer wieder mit der gleichen Geschichte. Sie sagen: Mein Vater und meine Mutter waren überzeugte Sudetendeutsche und waren auf jedem Heimatfest, haben immer die Zeitung gelesen. Und ich habe mich nie dafür interessiert. Heute aber möchte ich wissen: Wo stammt eigentlich meine Familie her?" Manchmal laufe ihnen dann eine Träne über die Wange. Wochenendseminare zur Geschichte der Sudetendeutschen seien deshalb immer gut gebucht. Hoffnung machen Hörtler vor allem die Heimatlandschaften, die Gliederungen also, die sich mit ganz konkreten Herkunftsorten befassen. "Da gibt es junge Menschen, die sagen, dort kommen mein Opa oder meine Oma her. Und die fahren dann hin, forschen und tauschen sich auch mit den Tschechen vor Ort aus."
Im Video: Sudetendeutsche zeichnen Juncker mit Karls-Preis aus
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!