Franziskaner-Minoriten in Würzburg (Symbolbild)
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Franziskaner-Minoriten in Würzburg (Symbolbild)

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"Unkultur des Schweigens": Franziskaner arbeiten Missbrauch auf

Es geht um viele Fälle: Die Franziskaner-Minoriten haben als erste Ordensgemeinschaft in Deutschland eine Studie über sexualisierte Gewalt in den eigenen Reihen veröffentlicht. Die Strukturen und das Prestige des Ordens erschwerten die Aufklärung.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die bayerischen Franziskaner-Minoriten haben eine eigene Untersuchung zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in ihren Reihen veröffentlicht. Ziel der Untersuchung war es, "grenzverletzendes Verhalten" und sexualisierte Gewalt durch Ordensangehörige der Franziskaner-Minoriten zu untersuchen, damit "vergangenes Unrecht aufgedeckt und dokumentiert" wird.

Für die Untersuchung, die zwischen Oktober 2022 und Juni 2024 stattfand, wurden Gespräche mit 39 Personen geführt. Dabei handelte es sich nicht nur um Betroffene, sondern auch um Zeitzeugen, ehemalige und aktuelle Funktionsträger des Ordens und weitere Ordensbrüder, sogar Beschuldigte.

Erste derartige Studie einer Ordensgemeinschaft

Neun Brüdern der Franziskaner-Minoriten wird in dem Bericht von gut 150 Seiten sexualisierte Gewalt vorgeworfen. Zwei Beschuldigte haben ein Gespräch abgelehnt, drei Beschuldigte waren zu einem Interview bereit.

Viele Fälle sollen sich zwischen Ende der 1960er- bis Anfang der 1980er-Jahre abgespielt haben. Es geht um Annäherungsversuche, Küsse, Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen und jungen Erwachsenen bis hin zu Vergewaltigungsschilderungen – im ehemaligen Internat und Seminar St. Valentin in Würzburg, aber auch in der Jugendarbeit, wie während einer Fahrt nach Assisi.

Mit gerade einmal 40 Brüdern in Bayern sind die Franziskaner-Minoriten, die ihren Hauptsitz in Würzburg haben, eine kleine Ordensgemeinschaft – umso heikler ist die Aufarbeitung von sexueller Gewalt in den eigenen Reihen. Es handelt sich um die erste derartige Studie auf Basis der 2021 getroffenen Vereinbarung der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung.

Ausnutzen von Notlagen von Schutzbefohlenen

Laut der Studie seien die Übergriffe von den Ordensbrüdern oft als "quasi-therapeutische Maßnahme", als "Ringkämpfe", als normale freundschaftliche Nähe oder Zufall deklariert worden. "Durch einen Bruder wurden Mädchen der 7. und 8. Klasse im Rahmen von Beichtgesprächen explizite und als bedrängend empfundene Fragen zur Sexualität gestellt", heißt es in dem Bericht.

Außerdem soll ein Ordensbruder einen Jugendlichen missbraucht haben, der sich in einer existenziellen Notlage befunden haben soll und den seelsorgerischen Rat gesucht hatte. Darüber hinaus nutzte der Bruder seelsorgerische oder Beichtgespräche mit jungen Erwachsenen für sexuelle Übergriffe und verübte auch Übergriffe auf Mitbrüder, indem er sie ungewollt umarmte, unangemessen berührte, küsste oder sich in ihr Bett gelegt haben soll.

Ein Ordensbruder, dem auch sexualisierte Gewalt vorgeworfen wird, hat die Klosterschenke in Maria Eck im Chiemgau ab 1974 aufgebaut und sie zu seinem "Lebenswerk" gemacht, wie es in der Studie heißt. Er habe den Gasthof zu "einem gastronomischen Geheimtipp" gemacht, wodurch er dort sein "eigenes Reich" schuf, in dem er "mehr oder weniger unkontrolliert schalten und walten" konnte. Hier hatte er auch teils engen Kontakt zu Jugendlichen. Der Franziskaner ist bis heute Träger des Bayerischen Verdienstordens, der ihm bis heute nicht aberkannt wurde.

Auf die Betroffenen und ihr späteres Leben hatte die sexualisierte Gewalt laut Studie enorme Auswirkungen. Oft leiden sie heute noch – bedingt durch die Missbrauchserfahrungen – unter Antriebslosigkeit, Depressionen, Ekel vor Körperlichkeit, Beziehungsproblemen, Wut und Angst, Panikattacken und Gefühlen von Einsamkeit.

Ordensleitung zog meist keine Konsequenzen

Die Verfasser der Studie, die Rechtsanwaltskanzlei Landeburger und Lörsch, dokumentierten auch Fälle, in denen sich die Betroffenen von sexualisierter Gewalt immer wieder an Verantwortliche und Funktionsträger der Franziskaner gewandt und ihre Erlebnisse geschildert hatten. "Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass zwischen 1971 und 2020 immer wieder sexuelle Übergriffe durch verschiedene Brüder in unterschiedlichem Kontext bekannt geworden sind", heißt es in der Studie.

Die Ordensleitung zog demnach aber meist keine Konsequenzen, die Übergriffe blieben für die Ordensbrüder folgenlos. Selbst in einem Fall, in dem dem mutmaßlichen Täter untersagt worden war, weiter mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, sei das "nur sehr eingeschränkt kontrolliert" worden. Die Studie beschreibt außerdem einen Fall, bei dem ein Geistlicher erst neun Jahre, nachdem bereits die Glaubenskongregation über den Fall informiert worden war, den Orden verlassen hat.

"Vertuschung, Verharmlosung, Desinteresse"

Wenn es konkrete Hinweise auf sexualisierte Gewalt in der Ordensgemeinschaft gab, sei das Verhalten bis 2010 häufig von "Vertuschung, Verharmlosung, Fehlern, Hilflosigkeit und Desinteresse" gekennzeichnet gewesen.

Erst ab 2010 – damals begann das Bekanntwerden von Missbrauchsfällen in Institutionen der katholischen Kirche in Deutschland – habe sich das Bewusstsein eingestellt, dass Fälle von sexualisierter Gewalt nicht nur ein Imageschaden für den Orden sei, sondern für Betroffene langfristige und massive Folgen habe. In einzelnen Fälle attestiert die Missbrauchsstudie auch eine "vorbildliche Reaktion" der Ordensleitung nach einem gemeldeten Missbrauchsfall.

Brüder leben in familiären Strukturen

Die Studie über die Deutsche Provinz der Franziskaner-Minoriten sieht vor allem das Wertesystem des Ordens und die Haltung der Ordensbrüder als eine Ursache, die den Missbrauch möglich gemacht haben. Viele mutmaßliche Täter hätten sich "aufgrund ihrer Fähigkeiten, ihrer Persönlichkeit und ihrer Beliebtheit einen Kreis von Unterstützerinnen gesichert". Weiter heißt es in der Studie: "Durch ihr großes Engagement, das Prestige, das sie dem Orden bringen, und die vielen Fürsprecherinnen und Fürsprecher wurden sie gleichsam unantastbar. Ihr Ansehen hat sie innerhalb und außerhalb des Ordens geschützt."

Die Verfasser der Studie kritisieren, dass in den Internaten kein pädagogisch ausgebildetes Personal eingesetzt wurde, dadurch eine fachliche Qualifikation fehlte, was zu einer großen Machtfülle des Seminarleiters führte. "Aufdeckung und Ahndung von Missbrauch auch bei vorhandenen Verdachtsmomenten wurde erschwert durch unvollständige und unsystematische Aktenführung", schreiben die Verfasser der Studie weiter.

Problematisch sei außerdem, dass die Brüder in familiären Strukturen leben. Das führe zu Abhängigkeiten und Rücksichtnahmen, die die Benennung von Fehlverhalten in den eigenen Reihen erschweren. "Die Kommunikation im Orden ist unterentwickelt", heißt es in der Studie. Hinzukam, dass manche Übergriffe von Ordensbrüdern auf Erwachsene als "ausgelebte Homosexualität" und nicht als sexueller Übergriff verstanden wurden.

Franziskaner: "Unkultur des Schweigens durchbrechen"

Für die Franziskaner-Minoriten ist die Veröffentlichung der Untersuchung der "nächste Schritt auf dem Weg, die Verbrechen sexualisierter Gewalt aufzuarbeiten und künftig zu verhindern", so schreibt Bruder Andreas Murk, Provinzialminister der Franziskaner-Minoriten in einer Pressemitteilung.

Ziel sei es mit der Studie "eine Unkultur des Schweigens zu durchbrechen". Die Herausforderung werde sein, "Strukturen zu schaffen und neu anzupassen, damit potenzielle Täter keine Chance haben". Die Ordensbrüder hätten in den vergangenen Jahren bereits Präventionsschulungen durchlaufen. Rahmenordnungen und institutionelle Schutzkonzepte seien bereits in Kraft. "Wir wollen aus unserer Geschichte lernen: Vor allem deshalb, weil uns die große Sehnsucht antreibt, die frohe Botschaft zu leben und zu verkünden", schreibt Bruder Andreas Murk.

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