Ein Auto nach dem anderen rollt auf den Parkplatz am Unteren Wöhrd in Regensburg. Der öffentliche Parkplatz liegt direkt an der Donau, von hier braucht man nur wenige Minuten zu Fuß in die Altstadt. Bis vor Kurzem war der Parkplatz mit den knapp 700 Stellplätzen noch kostenlos. Seit Juli ist er kostenpflichtig, ein Teil ist zu Bewohnerparkplätzen umgewidmet worden.
Im hinteren Teil graben bereits die Bagger. Denn hier soll die sogenannte Mobilitätsdrehscheibe entstehen. Neben den Freiluft-Parkplätzen soll ein neues Parkhaus 580 Parkplätze bieten, insgesamt werden auf dem Areal dann laut Bauplan 1.100 Fahrzeuge Platz haben.
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"Mobilitätsdrehscheibe": Griff in die Marketing-Kiste?
Johannes Klühspies ist Verkehrswissenschaftler an der Technischen Hochschule in Deggendorf und macht sich gerade vor Ort einen Überblick über die Pläne für die Mobilitätsdrehscheibe. Er schüttelt den Kopf und sagt: "Ich verstehe den Begriff Mobilitätsdrehscheibe nicht. Was hier entstehen soll, ist in meinen Augen eine Bepreisung des Parkplatzes, der Neubau eines Parkhauses und vielleicht die Anbindung mit einem Busverkehr. Was ist daran eine Mobilitätsdrehscheibe?" Ein Begriff, der sich vor allem für das Marketing eignet, meint der Verkehrsexperte. Mehr Parkplätze würden nur immer mehr Autos anlocken, meint er. Das habe nichts mit einem modernen Begriff von Mobilität zu tun.
Verkehr könnte in 20 Jahren anders aussehen - auch wegen KI
Johannes Klühspies forscht und lehrt seit Jahrzehnten zum Thema Verkehr. Wie werden wir uns in Zukunft fortbewegen? Wie kann oder wie muss Mobilität aussehen, um möglichst nachhaltig zu sein? Diese Fragen werden immer drängender, besonders im Hinblick auf den Klimawandel, sagt der Professor. Deshalb hat er einen neuen Bachelorstudiengang an der Technischen Hochschule Deggendorf organisiert. Anlaufen soll er im kommenden Wintersemester 2024/2025. Gerade läuft die Bewerbungsphase, sie endet am 15. September.
Die Studierenden sollen dann zum Beispiel lernen, Feindbilder in den Köpfen aller Verkehrsteilnehmer abzubauen. "Wir müssen wegkommen davon, dass es nur das Auto sei oder nur das Fahrrad oder nur der öffentliche Verkehr", sagt Klühspies. Debatten über die Mobilität würden in 20 Jahren bereits ganz anders geführt werden als heute, insbesondere mit Blick auf die Künstliche Intelligenz, meint er. Deshalb sei es wichtig, junge Leute heute dafür auszubilden, den Verkehr der Zukunft neu zu denken.
Protest gegen "Mobilitätsdrehscheibe"
Um die sogenannte Mobilitätsdrehscheibe in Regensburg gibt es eine hitzige Debatte in der Stadt. Eigentlich ist sie längst beschlossen, immerhin wird schon gebaggert. Doch nun regt sich Protest, vor allem gegen das geplante Parkhaus: Zu groß, zu teuer, falscher Standort – so lauten die Argumente der Kritiker. Unter ihnen ist zum Beispiel die Fraktion der Grünen im Stadtrat oder die Ortsgruppe des Verkehrsclub Deutschland (VCD). Eine Mehrheit im Stadtrat befürwortet wiederum die Pläne, genau wie die Altstadthändler.
Die Diskussion steht laut Verkehrsforscher Johannes Klühspies sinnbildlich für viele Debatten rund ums Thema Verkehr. Parkplätze stehen dabei oft im Mittelpunkt. Fast alle Städte wollen weniger motorisierten Verkehr in der Innenstadt. Die Einzelhändler fürchten aber, dass Kunden wegbleiben, wenn die nicht mehr mit dem Auto nah an den Läden parken dürfen. Pendler, die in den Städten arbeiten, wollen möglichst nah und kostenlos parken.
Park-and-Ride-Parkplätze sollen Autos aus der Stadt heraushalten
Richten sollen es Park-and-Ride-Parkplätze. Die Idee: Man parkt sein Auto am Rand der Stadt und fährt mit Bus, Bahn, Radl oder E-Scooter weiter in die Innenstadt. So ist es auch für die Regensburger Mobilitätsdrehscheibe geplant. Solche riesigen, kostenpflichtigen Parkplätze allein würden die Verkehrsprobleme in Städten wie Regensburg oder Deggendorf aber nicht lösen, sagt Johannes Klühspies. Aber was muss passieren, damit weniger Autos auf den Straßen sind und die Mobilität nachhaltiger wird? Genau damit sollen sich ab dem Wintersemester die Studierenden des neuen Studiengangs Verkehrswissenschaften beschäftigen.
Verkehrssysteme im Blick
"Sie werden sich alle relevanten Verkehrssysteme anschauen: Auto, Öffis und vor allem den Fußgängerverkehr, zu dem auch der Fahrradverkehr gehört", erklärt Klühspies. Die Verkehrssysteme allein könne man aber auch schon in anderen Städten studieren. Die Besonderheit in Deggendorf: "Wir fragen in unserer Forschung: Wo kann man - wo notwendig und sinnvoll - das Umsteigen zum anderen Verkehrssystem begünstigen? Was muss ich tun und welche Technologien helfen mir dabei?" In anderen Studiengängen, die sich mit dem Verkehr beschäftigen, liege der Fokus eher auf Technik, die Absolventen seien meist Ingenieure.
Breites Tätigkeitsfeld für Verkehrswissenschaftler
Nach ihrem Abschluss sollen die Absolventen in der Praxis dabei helfen, den Verkehr fit für die Zukunft zu machen. Johannes Klühspies ist sicher, dass die Nachfrage nach solchen Experten in Zukunft stark ansteigen wird. Möglichkeiten sieht er zum Beispiel in der Politikberatung – von der kommunalen Ebene bis hin zum Europaparlament oder der UNO. Jobs gebe es auch in Planungs- oder Ingenieurbüros.
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