Entsetzt und enttäuscht – so lässt sich die Stimmung bei der Ampel-Regierung nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen zusammenfassen. Die in Teilen gesichert rechtsextreme AfD erzielte Rekordergebnisse. Überraschend kommen diese jedoch nicht – die Stärke der Partei zeichnet sich seit Langem ab. Von einem plötzlichen Rechtsruck kann daher nicht die Rede sein. Nach der Wahl bleibt die Frage: Haben die etablierten Parteien die Botschaft der Wähler verstanden?
Kanzler Scholz unter Druck
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) scheint den Ernst der Lage zumindest erkannt zu haben. Ungewöhnlich schnell reagierte er auf die Wahlergebnisse, die er als "bitter" bezeichnete. Wegen der AfD mache er sich Sorgen. Scholz weiß: Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen waren auch eine Abrechnung mit der Ampel-Regierung auf Bundesebene. In Thüringen hat die SPD ihr schlechtestes Landesergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik eingefahren. Für Olaf Scholz geht es jetzt um viel.
Ampel-Reaktionen: Ratlosigkeit dominiert
Für seine Regierung sieht es zappenduster aus: Zusammengerechnet kommen die Ampel-Parteien sowohl in Sachsen als auch in Thüringen auf unter 15 Prozent. Weiter machen wie bisher dürfte spätestens jetzt keine Option mehr sein. Doch wie der künftige Weg gestaltet werden soll? Bei den Berliner Reaktionen wird Ratlosigkeit deutlich.
Es wirkt wie ein trauriges Ritual der Ampel-Parteien, die mit jeder Wahl mehr Schlappen hinnehmen müssen: Die SPD ruft zu Geschlossenheit auf, und Co-Vorsitzende Saskia Esken meint, die Ampel-Politik müsse besser erklärt werden. Ob das tatsächlich die Lehre der Landtagswahlen sein kann? Kritiker zweifeln daran. SPD-Generalstaatssekretär Kevin Kühnert kommt noch zu einem anderen Schluss: Die Partei will sich in der Regierung nicht mehr "auf der Nase herumtanzen lassen." Der Profilierungskampf ist eröffnet, der Ton und das Klima innerhalb der Bundesregierung dürften noch rauer werden.
Lindner: "Menschen haben Schnauze voll"
Ein zunehmender Unruhefaktor: die FDP. Sie hat es weder in Sachsen noch in Thüringen in den Landtag geschafft. In den Hochrechnungen wurde die Partei gar nicht mehr gesondert aufgeführt, sondern ging in "Sonstigen" Parteien in der Bedeutungslosigkeit unter. Einzelne Stimmen in der Partei fordern das Ampel-Aus als Rettung. FDP-Chef Lindner erteilt dem eine Absage. Nach vielen FDP-Niederlagen müsse sich jetzt aber wirklich etwas ändern: "Die Menschen haben die Schnauze voll, dass der Staat die Kontrolle verloren hat bei Einwanderung und Migration nach Deutschland."
Die Migrationspolitik sieht Co-Chefin der Grünen, Ricarda Lang, am Wahlabend hingegen gar nicht als das beherrschende Thema an. Es gehe um Stabilität. Und was sagt eigentlich Vize-Kanzler und möglicher Kanzler-Kandidat der Grünen, Robert Habeck, zu all dem? Nichts. Er geht in Deckung.
Regierungskonstellationen: Union eingezwängt im eigenen Korsett
Anders die Union – stärkste Kraft in Sachsen, zweitstärkste Kraft in Thüringen. Doch die Ergebnisse können nicht über die Schwierigkeiten hinwegtäuschen, vor denen die Union jetzt steht: schwierige Gespräche, schwierige Regierungskonstellationen – eingezwängt im eigenen Korsett der Unvereinbarkeitsbeschlüsse, weder mit extremen Linken noch mit extremen Rechten zu regieren.
Das nutzt die AfD für sich: Die Partei wurde in Thüringen stärkste Kraft, in Sachsen landete sie auf Platz 2. Wer die AfD nicht mitregieren lasse, ignoriere den Wählerwillen, betont Co-Chefin Alice Weidel erneut: "Brandmauern sind undemokratisch." Die Hand der AfD sei ausgestreckt.
Das Zünglein an der Waage aber stellt das Bündnis Sahra Wagenknecht dar: aus dem Stand könnte das BSW in Regierungsverantwortung in Sachsen und Thüringen kommen. Schon jetzt verändert das BSW die politische Landschaft. Bundespolitisch ist das Bündnis nicht relevant – noch nicht. Doch Wagenknecht als Person hat eine Strahlkraft entwickelt, viele Wähler im Osten vertrauen ihr – trotz oder wegen fehlender Regierungserfahrung.
Der Ampel-Regierung hingegen fehlt es an einer positiven Erzählung. Die Bürger – vor allem im Osten – sind unzufrieden, getrieben von Sorgen: wegen der wirtschaftlichen Lage, wegen Zuwanderung, wegen eines diffusen Gefühls des Abgehängt-Seins. Ob und wie eine Trendwende erfolgen kann – darauf hatten die Ampel-Vertreter noch keine Antwort. Die Frage bleibt daher, ob und wie die Bundesregierung diese Stimmung aufgreifen und auf die Sorgen der Wähler reagieren wird. In dieser Woche noch kommen die Bundestagsfraktionen zu ihren Klausuren zusammen – hinter verschlossenen Türen dürfe es mächtig laut werden. Unruhige Zeiten stehen bevor.
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