Der Klärschlamm-Reaktor der Bad Königshofener Firma Renergie in einem Schiffscontainer
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Der Klärschlamm-Reaktor der Bad Königshofener Firma Renergie in einem Schiffscontainer

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Vom Klärschlamm zum Wertstoff: Neues Verfahren aus Unterfranken

In Bad Königshofen haben Ingenieure ein Verfahren entwickelt, das möglicherweise ein Entsorgungsproblem löst und gleichzeitig Ressourcen schont. Dabei wird Klärschlamm unter hohem Druck und hohen Temperaturen in künstliche Braunkohle verwandelt.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Mainfranken am .

Im Hinterhof der Bad Königshofener Firma Renergie steht ein Schiffscontainer. Darin verbirgt sich möglicherweise eine Sensation. Michael Diestel, Geschäftsführer der Bauernverband-Tochter Agrokraft, stieß bereits vor 17 Jahren auf eine Idee zur Klärschlammverwertung.

Ein Zeitungsartikel als Initialzündung

2006 hat Diestel eine Veröffentlichung des Potsdamer Max-Planck-Instituts gelesen, erzählt er. Unter dem Titel "Zauberkohle aus dem Dampfkochtopf" sei dort auch für Laien nachvollziehbar erklärt worden, wie Klärschlamm gewinnbringend veredelt werden könne. Diestel sagt, er habe damals gedacht, das sei entweder großer Quatsch, oder die Rettung der Welt!

Peter Wiczorek hat die Pilotanlage im Schiffscontainer konstruiert und schon 2008 zum europaweiten Patent angemeldet. Nachdem es jetzt EU-Fördermittel gibt, nimmt das Projekt Fahrt auf. Was dabei mit dem Klärschlamm geschieht, nennt sich fachlich korrekt Hydrothermale Carbonisierung oder einfach HTC, sagt Wiczorek. Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aus Bad Neustadt fördert dieses Projekt und hat es am Mittwoch erstmals den Medien präsentiert.

"Wir ahmen die natürliche Braunkohle-Entstehung nach"

In der Versuchsanlage kommen maximal 50 Liter Ausgangsmasse zum Einsatz. Das können eingemaischtes Stroh oder andere pflanzliche Produkte sein. Aber eben auch Klärschlamm. Bei 20 bar Druck und Temperaturen um 200° Celsius entstehe in einem Rohr-Reaktor nach vier bis sechs Stunden eine Art wässriger Kaffeesatz, der anschließend abgefiltert werden kann. Das Ergebnis kommt dann der Braunkohle sehr nahe. Nur, dass der Prozess in der Natur über Millionen von Jahren dauert.

Die künstliche Braunkohle sei dann, anders als der Klärschlamm, praktisch schadstofffrei und kann sowohl zum Heizen als auch wie Torf im Garten genutzt werden. Das Beste aber wird vermutlich nächstes Jahr in einem zweiten Schritt folgen, erklärt Projektleiter Maximilian Groenen von der Agrokraft GmbH: "Unser Ziel beim Projekt ist es, am Ende der Kohle die enthaltenen Nährstoffe zu entziehen und mit den Nährstoffen ein Düngemittel zu erzeugen, das ich bedenkenlos im Ackerbau einsetzen kann."

70 Prozent des Phosphats im Klärschlamm lässt sich rückgewinnen

Dabei geht es vor allem um Phosphor. Der kommt momentan aus Ländern wie Mexiko oder Russland. Die Qualität sinkt, sagen die Fachleute. Vor allem aber ist der Rohstoff endlich. Weil die Landwirtschaft zwingend Phosphor braucht, stehen die Chancen nicht schlecht für das Verfahren aus Bad Königshofen, glaubt Michael Diestel.

Dabei spielen den Projektverantwortlichen neue Vorgaben aus Brüssel in die Karten. Bereits ab 2029 beginnt stufenweise eine EU-Richtlinie, die eine Nährstoff-Rückgewinnung aus Klärschlamm vorschreibt. Nicht ohne Grund haben Landwirte schon immer ihre Felder damit gedüngt, was allerdings wegen der Schadstoffbelastung nun streng reglementiert ist. Das HTC-Verfahren soll dieses Problem lösen und im Idealfall zu einer echten Kreislaufwirtschaft führen, bei der wertvolle Stoffe des Klärschlamms erhalten bleiben, statt, wie derzeit üblich, in der Müllverbrennung zu landen.

Geht es nach dem Unternehmen Agrokraft, das übrigens eine Tochter des Unterfränkischen Bauernverbandes ist, wird sich das HTC-Verfahren durchsetzen. Es sei eher eine Frage von Jahren als von Dekaden, glaubt Diestel und hofft, bereits im nächsten Jahr an der Kläranlage in Bad Königshofen konkrete Schritte zu sehen. Die HTC-Pioniere hoffen, dass das Pilotprojekt dann bundesweit Kreise zieht.

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