Waltraud Joa fährt mit ihrem Rollstuhl zur neuen Unterführung am Marktoberdorfer Bahnhof. Eigentlich geht es hier für die Reisenden zum Gleis drei. Aber nicht für die Behindertenbeauftragte der Stadt. "Mit dem Rollstuhl über eine Treppe, das funktioniert nicht", sagt Joa. "Wir können uns auch schlecht beamen."
Bahnsteige sind barrierefrei, der Weg dahin nicht
Das Problem: Die Bahnsteige sind nach dem millionenschweren Umbau zwar jetzt barrierefrei. Doch: Die Aufzüge fehlen noch. Damit ist es für Menschen mit Gehbehinderung, mit Rollator oder Kinderwagen unmöglich, vom Bahnhof direkt aufs andere Gleis zu kommen.
"Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sauer ich bin", sagt Waltraud Joa. Zwei Jahrzehnte lang hat sie für einen barrierefreien Bahnhof in ihrer Stadt gekämpft. Im April gingen die Bauarbeiten endlich los. Und jetzt das.
Notüberquerung abgebaut - und der lange Umweg zu Gleis 3
Der ebenerdige Notübergang, über den Rollstuhlfahrer, Menschen mit Rollator oder Kinderwagen bisher vom Bahnhof aus auf Gleis 3 gekommen sind, ist zurückgebaut worden. Durch die Unterführung mit ihren vielen Stufen führt für sie aber kein Weg zu dem anderen Bahnsteig. Dorthin geht es nur noch über einen Umweg.
Und der ist lang: Raus aus dem Bahnhof, an einer viel befahrenen Straße entlang, über den Bahnübergang, dann auf der anderen Seite wieder zurück und über eine Rampe rauf auf den Bahnsteig an Gleis 3. Insgesamt sind das 560 Meter. Bei ihrem Versuch hat Behindertenbeauftragte Joa genau neun Minuten und 23 Sekunden für den Umweg gebraucht: "Das ist ein Wahnsinn!"
Aufzüge kommen spätestens Ende 2025
Bis die Aufzüge betriebsbereit sind, kann es auch noch eine Weile dauern. Die Bahn bedauert: "Grund sind Verzögerungen bei der Planung und bei der Baudurchführung. Jeder Aufzug, der nicht funktioniert, ist ein Ärgernis für unsere Reisenden. Das wissen wir, daher arbeiten wir intensiv daran, den Einbau und die Fertigstellung der Aufzüge so schnell wie möglich umzusetzen – spätestens bis Ende 2025."
Ein Jahr lang werden Rollstuhlfahrer, Menschen mit Gehbehinderung oder Eltern mit Kinderwagen also den Umweg nehmen müssen – wenn die Bahn ihren Zeitplan einhält. Bis dahin wird die Geduld von Joa strapaziert: "Sie sehen ja schon, wie lang wir brauchen, bis hier rüber. Für Fußgänger, für Gehbehinderte oder mit Rollator ist es eine Zumutung." Und im Winter, bei Eis und Schnee, ist der Weg von Gleis 1 hinüber auf Gleis 3 erst recht kein Vergnügen.
Die Enttäuschung ist groß: "Ällagätsch, war nix"
Auch Wolfgang Hell (CSU), der Bürgermeister von Marktoberdorf, hält den Zustand am neuen Bahnhof für nicht zumutbar. Man habe viel investiert: "Dann kann es einfach nicht sein, dass die Menschen für ein Jahr nicht zum Zug kommen. Das ist jetzt nicht barrierefrei. Barrierefrei ist, wenn die Aufzüge drin sind. Und wenn sie funktionieren."
Aber bis die Aufzüge tatsächlich in Betrieb gehen, wird es dauern. Waltraud Joa ist enttäuscht: "Jetzt haben wir uns so gefreut, dass wir einen barrierefreien Bahnhof bekommen nach 20 Jahren. So lange hat's gedauert. Und jetzt ist es im Endeffekt doch nix. Das ist wie beim Kinderspiel, wenn es am Ende heißt: Ällagätsch, war nix!"
Im Video: Bahnhof Marktoberdorf - längst noch nicht barrierefrei
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