Große Teile der Ökosysteme in Europa sind in einem schlechten Zustand. Das betrifft Wälder, Moore und Flüsse in Bayern. Das Renaturierungsgesetz der EU verlangt, dass bis 2030 auf 20 Prozent der Flächen Maßnahmen ergriffen werden, die sie wieder in einen natürlicheren Zustand versetzen.
Das bedeutet zum Beispiel, Moore wieder zu vernässen, neue Bäume zu pflanzen und Wälder natürlicher zu bewirtschaften, die Uferbefestigung von begradigten Flüssen zu entfernen oder Flussläufen wieder Seitenarme und Schleifen zu ermöglichen. Das Renaturierungsgesetz ist auch Teil der Strategie, mit der die EU die Ziele aus dem globalen Abkommen von Kunming-Montreal zum Schutz der Biodiversität erfüllen will. Es sieht vor, das Artensterben weltweit bis 2030 aufzuhalten.
Flüsse wieder natürlicher fließen lassen
Franziska Wenger vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) sieht Bayern in einigen Bereichen schon auf einem recht guten Weg. Landschaftselemente oder den Biotopverbund in der Agrarlandschaft zu schaffen, seien ja bereits Ziele aus dem Volksbegehren Artenvielfalt, die sich jetzt auszahlten. Schwieriger werde es bei der Flussrenaturierung. Viele Flüsse wurden bereits im 19. Jahrhundert begradigt. Dadurch gingen Lebensräume am Flussufer, wie Kiesbänke und Auen für Pflanzen und Tiere verloren. Das betrifft Flüsse in ganz Bayern - sowohl große als auch kleinere.
Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 fordert die Renaturierung von Flüssen eigentlich schon lange. Passiert sei jedoch viel zu wenig, kritisieren Naturschützer, wie etwa der Bund Naturschutz Bayern. Erst beim jüngsten Hochwasser hatten die Naturschützer darauf hingewiesen, dass renaturierte Gewässer mehr Wasser aufnehmen können und langsamer fließen und so auch einen natürlichen Beitrag zum Hochwasserschutz leisten können. Auch Wenger hofft, dass nun durch das Renaturierungsgesetz wieder mehr Schwung in die Renaturierungsmaßnahmen bayerischer Flüsse kommt.
Wichtig für Biodiversität und Klimaschutz: Moore wieder vernässen
Das Renaturierungsgesetz sieht auch vor, entwässerte Moore wieder in ihren natürlichen Zustand zu versetzen. Bayern hat sich bereits in seiner Klimaschutzstrategie zum Ziel gesetzt, 55.000 Hektar Moorflächen wieder zu vernässen. "Renaturierte Moore brauchen wir dringend für den Erhalt der Artenvielfalt, aber auch für CO₂-Speicherung, um dem Klimawandel entgegenzuwirken", sagt Wenger. Wird das Wasser in einem Moor wieder angestaut, statt es durch Gräben oder Entwässerungsrohre abzuleiten, kann sich der Torf im Moorboden nicht weiter zersetzen. Der enthaltende Kohlenstoff bleibt im Boden und entweicht nicht mehr als CO₂ in die Atmosphäre. Darum ist die Wiedervernässung von Mooren nicht nur ein Projekt für den Erhalt von Lebensräumen - zum Beispiel für Vögel und Insekten -, sondern auch für die Einsparung von CO₂-Emissionen.
Ein regionaler Schwerpunkt für Moorrenaturierung liegt im Donau-Moos. Auch die Bayerischen Staatsforsten haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 knapp 150 Moore zu renaturieren. Diese liegen vor allem im Alpenvorland und in den ostbayerischen Mittelgebirgen. Bis 2040 sollen alle Moore, die zu den Flächen den Staatsforsten gehören, renaturiert werden.
Streit um die Wälder
Dennoch stehen die Staatsforsten und auch der Verband der privaten Waldbesitzer dem Renaturierungsgesetz kritisch gegenüber. Grundsätzlich sollen laut dem Gesetz in Europa insgesamt drei Milliarden neue Bäume gepflanzt werden. Die Wälder sollen wieder mehr Lebensräume, zum Beispiel für Vögel und Insekten, bieten. Dazu soll als eine Maßnahme totes Holz im Wald bleiben. Die Bayerischen Staatsforsten kritisieren, es sei zu befürchten, dass dadurch die Holzernte erschwert werde und weitere Wälder stillgelegt würden. Die Staatsforsten argumentieren, dass eine geringere Holzernte zum vermehrten Einsatz von klimaschädlichen Materialien wie Stahl oder Beton führen könnte und das Gesetz somit für den Klimaschutz kontraproduktiv sei.
Wichtig sei der Umbau zu einem klimastabileren Wald, der bereits seit Jahrzehnten im Gange sei. Konkret geht es vor allem darum, reine Fichtenwälder, die durch Hitze und Trockenheit sowie den Borkenkäfer gefährdet sind, mit klimatoleranten Baumarten zu verjüngen. Laut Staatsforsten spielt das derzeit im Frankenwald und im Fichtelgebirge eine besonders große Rolle. Doch genau diesen Umbau sehen die Staatsforsten durch das Renaturierungsgesetz erschwert: zum Beispiel, wenn dafür Baumarten aus anderen Ländern gepflanzt werden müssen, die besser mit Hitze und Trockenheit klarkommen.
Sorge vor Stilllegungen bei Landwirten
Auch der Bayerische Bauernverband schaut kritisch auf das Renaturierungsgesetz. "Als Ziel gut gedacht, aber in der Umsetzung schlecht gemacht", sagte Bauernpräsident Günther Felßner zu der Entscheidung der EU-Umweltminister Anfang der Woche. Die Bauern sorgen sich vor allem darum, zugunsten der Natur Flächen stilllegen zu müssen. Entsprechende generelle Verpflichtungen wurden aber bereits in den Verhandlungen aus dem Gesetz gestrichen. Außerdem wurde eine Notbremse eingeführt: Sollte Nahrungsmittelknappheit drohen, kann die EU-Kommission die Maßnahmen für ein Jahr vorübergehend aussetzen.
Befürworter des Gesetzes betonen zudem, dass das Vorhaben ja gerade mit einplane, dass renaturierte Flächen auch bewirtschaftet werden, nur eben nachhaltiger und naturnäher. Dennoch kann es notwendig sein, dass etwa für einen natürlicheren Flusslauf Teile von Äckern weichen müssen. Und auch im wiedervernässten Moor kann zwar noch Landwirtschaft betrieben werden, jedoch ändert sich die Bewirtschaftung grundlegend.
Der Bauernverband fordert, für Landwirte entsprechende Anreize zu schaffen. "Wir brauchen den Anbau und die Schutzziele übereinander und auch eine Bezahlung dafür", sagt Bauernpräsident Felßner. Für die Renaturierung von landwirtschaftlich genutzten Moorflächen beispielsweise hat der Freistaat mit dem sogenannten "Moorbauernprogramm" bereits solche Anreize geschaffen.
So geht es jetzt weiter
Ob das Renaturierungsgesetz nun tatsächlich für mehr Schwung und Tempo bei der Wiederherstellung von Ökosystemen in Bayern sorgt und wie es sich tatsächlich auf Land- und Forstwirte auswirkt, wird sich erst in zwei Jahren zeigen. Denn bis dahin müssen die EU-Mitgliedsstaaten nationale Renaturierungspläne vorlegen. Es ist zu erwarten, dass sowohl Naturschützer als auch Land- und Forstwirtschaft darauf hinwirken werden, dass Spielräume in der Umsetzung möglichst zu ihren Gunsten genutzt werden.
Das Bayerische Umweltministerium schreibt auf Anfrage, die genaue Umsetzung hänge im Wesentlichen von den weiteren Vorgaben der EU-Kommission und des Bundes ab. Der bayerische kooperative Weg im Naturschutz sei der richtige. Maßnahmen zum wirkungsvollen Schutz von Natur und Landschaft müssten vor Ort entwickelt werden und nicht in Brüssel. Das Ministerium verweist dabei auf die Maßnahmen für den Artenschutz im Rahmen des "Volksbegehrens Plus". Die entsprechenden Förderprogramme hätten gezeigt, "dass Arten- und Naturschutz am besten in enger Zusammenarbeit mit den Landnutzern funktioniert", so ein Sprecher des Ministeriums.
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