Laut einer Studie des Umweltbundesamts könnten in Deutschland künftig bis zu 15 Prozent weniger Strom aus Wasserkraft erzeugt werden. Der Grund: mehr Wetterextreme. "Es ist nicht extrem, aber der Klimawandel ist spürbar", sagt Markus Jungsberger. Er schaut auf das Wasser des kleinen Flüsschens Glonn, das im oberbayerischen Piusheim aufgestaut wird. Dort wird klimafreundlicher Strom aus Wasserkraft erzeugt.
Immer häufiger zu viel oder zu wenig Wasser: Stromertrag sinkt
Im Jahr 1906 wurde das Wasserkraftwerk gebaut. Die Glonntal Energie liefert heute Ökostrom in die Region. Was Markus Jungsberger konkret spürt: Die Turbine erzeugt etwas weniger Strom.
Der Schneemangel sei hier nicht entscheidend für den Ertragsrückgang, aber andere Folgen des Klimawandels, erklärt er, zum Beispiel wenn es schlagartig warm werde und viel Schnee im Frühjahr in kurzer Zeit schmelze und es auch sonst immer öfter zu Hochwasser kommt. Denn nicht nur zu wenig Wasser ist schlecht für die Stromerzeugung, sondern auch zu viel: "Weil wir aus Sicherheitsgründen das Wasser ablaufen lassen müssen, statt es für die Energiegewinnung zu nutzen. Damit es nicht zu Überschwemmungen kommt", erklärt er.
Grafik: Durchschnittliche mittlere Abflusswerte der Glonn
Wasserkraftwerke auf Bedingungen von früher ausgerichtet
Auch Ruben Van Treeck, Referent für Fließgewässer beim World Wide Fund For Nature (WWF) sagt, bestehende Wasserkraftwerke seien auf Wassermengen ausgerichtet, die es in der Praxis oft nicht mehr gibt. "Diese Extreme von zu viel Wasser und zu wenig Wasser werden wir in Zukunft häufiger erleben." Der optimale Wirkungsbereich der Wasserkraftwerke sei damit stark über- oder unterschritten, so van Treeck.
Mittel- bis langfristig bedeute das Einbußen, so der Biologe. Einer Studie aus der Schweiz zufolge könnten die Stromeinbußen bei Wasserkraft sogar langfristig bis zu 20 Prozent betragen.
Ist es sinnvoll, neue Wasserkraftwerke zu errichten?
Von solchen Szenarien lässt sich Hermann Steinmaßl, Vorstand der Vereinigung der Wasserkraftwerke in Bayern e.V., nicht beeindrucken. Er sieht die Auswirkungen der Klimakrise erst einmal positiv. Wenn im Winter mehr Niederschlag als Regen statt als Schnee falle, könnte kontinuierlicher Strom produziert werden - eine gute Ergänzung zum Solarstrom, der im Winter in Bayern wenig Ertrag bringt, so Steinmaßl.
Aber in Bayern sind auch neue Kraftwerke an Flüssen in Planung. Ein umstrittenes Großprojekt betrifft die Salzach bei Tittmoning. Steinmaßl spricht sich dafür aus, dass es gebaut wird. Dass bei weiter fortschreitendem Klimawandel die Stromerträge bis zu 20 Prozent geringer ausfallen könnten, lassen bei ihm trotzdem keine Zweifel aufkommen. "Der österreichische Kraftwerksbetreiber ist sehr erfahren und die haben das sicher durchgerechnet", sagt Steinmaßl.
Wasserkraft: Auswirkungen auf die Natur
Aber strittig in Sachen Wasserkraft sind nicht nur Einbußen wegen des Klimawandels, sondern auch der Eingriff in die Natur. Je stärker ein Fluss verbaut ist, desto schwerer sei es für Fische, bei steigenden Wassertemperaturen in kühlere Regionen zu wandern, so WWF-Fließgewässerreferent Van Treeck.
Auch Matthias Settele vom Umweltzentrum der Uni Augsburg sieht Probleme mit steigenden Temperaturen. So sei der Lech einer der stärksten verbauten Flüsse in Bayern und gleiche einer Seenkette. "Wenn das aufgestaute Wasser steht, scheint die Sonne drauf und es erhitzt sich stärker, als wenn es dahinrauschen würde", so Settele.
Ökologie und Wasserkraft vereinen?
Der Klimawandel verstärke das Problem noch. "Für viele Lebewesen ist das dann tatsächlich eine sehr große Herausforderung - bei Fischen zum Beispiel. Wenn gerade kälteliebende Arten zu wenig Sauerstoff bekommen, steigt einfach der Stress", sagt Settele.
Befürworter von Wasserkraft wie Steinmaßl sehen mit neuen Kraftwerken sogar Chancen für die Natur. So könnten etwa 40 Millionen Euro in ökologische Maßnahmen investiert werden, sollte an der Salzach bei Tittmoning tatsächlich ein neues Wasserkraftwerk gebaut werden, argumentiert er.
Was bringt der Ausbau der Wasserkraft?
Wasserkraft spiele in Deutschland zwar eine bedeutende Rolle, so Van Treeck. Aber die Potenziale seien weitgehend ausgeschöpft. Der Eingriff mit einem neu gebauten Kraftwerk an der Salzach müsse auch in Relation zur erzielbaren Energieausbeute gesehen werden, sagt Stefan Ossyssek vom Bund Naturschutz: "Es ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll, ein neues Kraftwerk an der Salzach zu bauen, weil der Energieertrag wirklich nicht entscheidend für die Energiewende ist." In Bayern sei das nominell so viel, wie zwei bis drei Windräder erzeugen könnten.
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