Am 15. Dezember 1993 war Sabine B. auf einem Reiterhof am Ortsrand von Wiesenfeld im Landkreis Main-Spessart. Dort verbrachte die 13-Jährige ab und zu ihre Freizeit und kümmerte sich um die Pferde. An diesem verregneten Dezemberabend wurde sie auf dem Heuboden der Scheune getötet und brutal sexualisiert missbraucht. Ihre Leiche wurde anschließend in einer Güllegrube versteckt. Zwei Tage später wurde sie gefunden.
Bis heute wurde für die Tat niemand verurteilt. Einer der Verdächtigen wurde in den 1990er Jahren freigesprochen, ein weiterer beging Suizid. Ein dritter, heute 48 Jahre alter Mann aus dem Landkreis Main-Spessart sitzt am Landgericht Würzburg auf der Anklagebank. Brisant: ein Urteil mit Strafmaß kommt nur wegen Mordes infrage. Andere Delikte, wie etwa Totschlag, wären bereits verjährt.
Staatsanwaltschaft und Nebenklage fordern neun Jahre Haft
Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage, die die Eltern, beziehungsweise die Schwester von Sabine vertritt, plädieren auf Mord. Die Merkmale Heimtücke, niedere Beweggründe und die Vertuschung einer Straftat sehen sie als gegeben an. Dabei stützen sich die Ankläger auf den Fund von DNA-Spuren des Angeklagten an der Unterwäsche und Hose von Sabine.
Aus ihrer Sicht lockte der damals 17-jährige Angeklagte Sabine mit sexuellen Hintergedanken auf den Heuboden der Scheune. Dort soll er das Mädchen überwältigt und erwürgt haben, während Sabine vor ihm auf dem Bauch lag. Laut Gutachten soll es aus dieser Position etwa zehn Minuten gedauert haben, bis Sabine erstickt ist.
Totes Mädchen wies keine Abwehrspuren auf
Obwohl Sabine von vielen der über 80 gehörten Zeugen als kräftig und wehrhaft beschrieben wurde, fand die Rechtsmedizin keine Abwehrspuren an ihrer Leiche. Entweder beim Würgen oder danach, soll der Angeklagte sein Opfer ausgezogen haben und sexuelle Handlungen an sich vorgenommen haben, was den Fund von Sperma erklären würde. Nach der Tat soll er Sabine wieder angezogen haben und weggegangen sein. Später soll er zurückgekommen sein, den toten Körper vom Heuboden geworfen und zu einer Güllegrube geschleift haben, um ihn zu verstecken, so der Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach in seinem Schlussvortrag.
Da der Angeklagte zum Tatzeitpunkt minderjährig war, wird nach Jugendstrafrecht verhandelt. Von höchstmöglichen zehn Jahren Haftstrafe wegen Mordes fordern Staatsanwaltschaft und Nebenklage neun Jahre.
Verteidigung fordert Freispruch
Die Version der Anklageschrift hält die Verteidigung für möglich. Andere Szenarien kommen für die Anwälte Hans-Jochen Schrepfer und Tillmann Michler aber ebenfalls in Frage: hypothetische Szenarien, in denen der Angeklagte nicht als Mörder verurteilt, sondern wegen der Verjährung gar nicht angeklagt oder sogar freigesprochen werden müsste.
In seinem zweistündigen Plädoyer erörterte Schrepfer dazu fünf weitere Möglichkeiten des Tathergangs. Als Grundlage verweist auch er auf die Beweislage der DNA-Funde, zu der auch der Nachweis von Sperma des Angeklagten, unter anderem auf der Unterwäsche des Mädchens, gehört.
"Im Zweifel für den Angeklagten"
Der Verteidiger hält es für nicht ausgeschlossen, dass Sabine freiwillig mit dem Angeklagten auf den Heuboden gegangen ist und es dort zu ersten einvernehmlichen sexuellen Handlungen gekommen sein. Dann kommt es zum Streit und Sabine wird getötet. Ein Totschlag, der aber bereits verjährt wäre.
Schrepfer schließt darüber hinaus auch nicht aus, dass mehrere Personen beteiligt waren und der Angeklagte Sabine gar nicht getötet hat: Er könnte zugesehen oder beim Beseitigen der Leiche geholfen haben – hypothetische Möglichkeiten, die wegen Verjährung heute aber nicht mehr strafbar wären. Nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" beantragt die Verteidigung deshalb einen Freispruch.
Das Urteil soll am 20. Dezember am Landgericht Würzburg fallen.
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