Der Rappenalpbach im Juli 2024
Bildrechte: BR/Johannes Hofmann

Die Naturzerstörung am Rappenalpbach im Juli 2024 wird jetzt gerichtlich aufgearbeitet

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Zerstörter Rappenalpbach: Prozess gegen zwei Alpmeister beginnt

Der Rappenalpbach südlich von Oberstdorf ist streng geschützt. Nach einem Unwetter im Sommer 2022 rollen Bagger an und zerstören das Biotop – ein Umweltskandal, der jetzt strafrechtlich aufgearbeitet wird. Zwei Alpmeister stehen vor Gericht.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Fast zwei Jahre ist es nun her, dass die Zerstörung des Rappenalpbachs im südlichen Oberallgäu bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hat. Nun müssen sich zwei ehrenamtliche Alpmeister aus Oberstdorf deshalb vor dem Landgericht Kempten verantworten. Sie waren zum Zeitpunkt der Baggerarbeiten die Vorsitzenden der beiden Alpgenossenschaften.

Diesen gehören die Flächen rechts und links vom Bachlauf. Im Sommer bewirtschaften die Hirten der Alpgenossenschaften die Flächen und es grasen Rinder dort. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Angeklagten "vorsätzliche Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete sowie Gewässerverunreinigung" vor.

Auch Freiheitsstrafen sind möglich

Es ist ein außergewöhnlicher Prozess für die Kemptener Justiz. Laut Ferdinand Siebert, Pressesprecher des Landgerichts Kempten, kommt es im Allgäu nicht oft vor, dass sich Privatpersonen für Umweltschäden vor Gericht verantworten müssen. Dass sich das Landgericht Kempten mit der strafrechtlichen Aufarbeitung befasst und nicht das Amtsgericht, unterstreiche die Tragweite des Falls.

Zum einen ist dadurch laut Siebert eine höhere Strafe möglich: Falls ein besonders schwerer Fall der Umweltstrafbarkeit festgestellt wird, droht den Angeklagten eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Zum anderen verhandelt das Landgericht über den Fall, weil sich die sogenannte Beweiswürdigung schwierig gestaltet, sagt Ferdinand Siebert. Der Fall ist also komplex und die Auslegung der Fakten kompliziert.

Alles beginnt mit einem Unwetter

Alles beginnt am 19. August 2022: Starkregen lässt den Pegel des Rappenalpbachs südlich von Oberstdorf schlagartig ansteigen. Das Hochwasser im Gebirgsbach bringt jede Menge Kies und Gestein mit. Die Alpweiden direkt am Ufer werden teilweise meterhoch überschüttet.

Diese Schäden wollen die anliegenden Alpgenossenschaften beseitigen, sich aber mit den Arbeiten am Bach auch gegen künftige Unwetter rüsten. Deshalb gibt es Ende August 2022 ein Vor-Ort-Gespräch mit dem Landratsamt: Dabei werden laut Staatsanwaltschaft Kempten Maßnahmen besprochen, die den Bach aus behördlicher Sicht im Rahmen der Gewässerunterhaltung wiederherstellen sollen. Darüber gibt es auch einen schriftlichen Vermerk.

Bagger rollen an

Im September und Oktober 2022 rollen die Bagger an: Auf 1,6 Kilometern Länge lassen die Alpmeister der beiden anliegenden Alpgenossenschaften den Bach begradigen und teilweise tieferlegen. Außerdem sollen sie den Aushub am Uferbereich des Bachs haben aufschütten lassen.

Der breite, sich oft verlagernde Wildbach wird dadurch in ein enges, kanalartiges Bachbett gezwungen. Kleine Tiere, wie zum Beispiel Alpensalamander oder die Larven der Steinfliege, die am und im Bach leben, sterben. Der Staatsanwaltschaft zufolge besteht der Verdacht, dass sich die Alpmeister bei den Baggerarbeiten bewusst über den mit dem Landratsamt besprochenen Umfang hinweggesetzt haben.

Bach fließt durch Naturschutzgebiete

Der Rappenalpbach gilt als Biotop, er fließt durch das Naturschutzgebiet "Allgäuer Hochalpen", liegt mitten im Flora-Fauna-Habitat-Gebiet und einem Vogelschutzgebiet und ist Landschaftsschutzgebiet. Damit zählt das Rappenalptal zu einem der am strengsten geschützten Gebiete Europas. Der Aufschrei ist entsprechend groß, als der Bund Naturschutz die Zerstörung des Wildbachs im November 2022 öffentlich macht.

Auch politisch wird das Thema brisant. Die Grünen im Bayerischen Landtag bezeichnen die Baggerarbeiten als "Verbrechen an der Natur" und fordern von Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) die Aufklärung des Sachverhalts. Der kommt persönlich ins Rappenalptal, um sich ein Bild von der Lage zu machen: Nach seinem Besuch fordert er, dass die Schäden im Rappenalptal behoben werden müssen.

Streit zwischen Alpgenossenschaften und Landratsamt

Gleichzeitig entbrennt zwischen den Alpgenossen und dem Landratsamt Oberallgäu ein Streit darüber, was vorab besprochen wurde und wer für die Kosten der Renaturierung aufkommen muss. Der Fall geht vors Verwaltungsgericht in Augsburg.

Dort schließen die beiden Parteien im Juli 2023 einen Vergleich: So werden die Kosten für die Baggerarbeiten von der Alpgenossenschaft übernommen, die Kosten für die Organisation übernimmt der Freistaat, vor Ort vertreten durch das Landratsamt. Für alle Folgemaßnahmen werden die Kosten geteilt. Wie hoch die Ausgaben sind, darüber gibt es bislang noch keine Angaben.

Trotz Renaturierung "vom Originalzustand noch weit entfernt"

Noch im Sommer startet die erste Renaturierung des Rappenalpbaches: Die errichteten Dämme werden wieder abgetragen und abgestorbene Bäume im Bachbett abgelegt. An denen soll sich über die Jahre wieder Kies ablagern. Seitdem sieht der kleine Fluss wieder etwas mehr aus wie ein natürlich entstandener Gebirgsbach: Der ausgehobene geradlinige Kanal ist verschwunden, stattdessen ist das Flussbett wieder flacher geworden; das Wasser schlängelt sich über das Gestein, teilt sich stellenweise in verschiedene Seitenarme auf und fließt später wieder zusammen.

"Vom Originalzustand ist man dennoch noch weit entfernt", sagt Thomas Frey, Regionalreferent für Schwaben beim Bund Naturschutz in Bayern. "Der Bach ist insgesamt nicht mehr so breit, wie er einmal war." Das sei das größte Problem. Zudem zeigen seiner Ansicht nach Bildervergleiche von vorher und jetzt, dass das Wasser noch relativ zentriert und kanalisiert fließt und nicht wie vorher in wechselnden Bahnen. Gerade durch diese fragmentierte und sich immer wieder neu erfindende Gewässerlandschaft entstehe Artenvielfalt, sagt Thomas Frey dem BR im Vorfeld des Prozesses.

Seine Forderung: Jemand müsse jetzt, knapp zwei Jahre nach den Baggerarbeiten, Verantwortung übernehmen. Erstens brauche es ein Urteil zur Abschreckung, denn Umweltschäden seien keine Bagatelle und müssten auch in Zukunft streng geahndet werden. Und zweitens brauche es ihm zufolge rein rechtlich einen Schuldigen, ansonsten könne die Renaturierung nicht weitergehen, weil die Zuständigkeit dafür fehle.

Wer trägt die Verantwortung?

Im Prozess soll geklärt werden, wer die Verantwortung für den Umweltfrevel im Rappenalptal übernehmen muss. Bislang sind fünf Verhandlungstage angesetzt. Als Zeugen geladen sind unter anderem ein Mitarbeiter des Landratsamts Oberallgäu und zwei Baggerfahrer, die von den Angeklagten beauftragt wurden. Für die beiden Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung. Das Urteil soll am 9. August 2024 fallen.

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