Die verwelkten, ausgetrockneten Rübenblätter rascheln unter Johannes Menths Füßen, als er über den Rübenacker läuft. Er bückt sich, um eine Zuckerrübe aus dem Boden zu pflücken. "Hier sieht man wieder ganz schön, eine von Schilf-Glasflügelzikaden befallene Rübenwurzel. Und wenn man die jetzt bewegt, sieht man schon diese Gummiartigkeit, die kann man richtig drehen. Normalerweise müsste eine frische Rübe aus der Erde jetzt sofort brechen und die kann man also tatsächlich wie ein Gummibärchen bewegen. In manche kann man sogar einen Knoten reinmachen. Und da zappelt schon die Zikade."
Invasion der Schilf-Glasflügelzikade
Auf 20 Hektar baut Landwirt Johannes Menth bei Rittershausen im Landkreis Würzburg Zuckerrüben an. Auf seinem Feld gibt es keine Rübe, die nicht befallen ist von der Schilf-Glasflügelzikade. Ein Insekt aus südlicheren Gefilden, dass sich seit einigen Jahren auch hierzulande ausbreitet. Eine Folge des Klimawandels. Bislang hatte sie bei den Rüben das sogenannte SBR-Syndrom verursacht, das den Zuckergehalt in den Rüben mindert. "Bislang konnte man der Krankheit ganz gut entgegnen über neue Sorten, jetzt hat sich in diesem Jahr die Zikade entschieden, mal ein anderes Bakterium zu übertragen und darauf sind die Sorten im Moment nicht vorbereitet", erklärt Simon Vogel Stellvertretender Leiter der Rübenabteilung Südzucker AG in Ochsenfurt im Gespräch mit BR24.
Phänomen der Gummirübe
Ausgelöst wird die Krankheit durch das Stolbur-Bakterium, das von der Schilf-Glasflügelzikade übertragen wird. Die Larven der Schilf-Glasflügelzikade saugen an den Wurzeln der Rüben. Die Feinwurzeln sterben ab, der Zelldruck in den Rüben lässt nach, Nährstoff- und Wasseraufnahme werden stark gehemmt. Die Rüben schrumpfen und bekommen eine gummiartige Konsistenz, im schlimmsten Fall verfaulen sie.
Das Phänomen der so genannten "Gummirübe" ist neu, der Schädling ist schon länger bekannt. Die Schilf-Glasflügelzikade tritt normalerweise im Kartoffelanbau und im Weinbau auf, bei letzterem verursacht sie die so genannte Schwarzholzkrankheit. Bei den Zuckerrüben sorgt sie seit Jahren für verwelkte Blätter und gilt als Überträger der Rübenkrankheit SBR, die für einen verminderten Zuckergehalt in den Rüben sorgt. Und dazu kommt jetzt die Infektion mit dem Stolbur-Bakterium.
Einbußen im südlichen Anbaugebiet
Und obwohl der Verband der Fränkischen Zuckerrübenbauern e.V. (VFZ) in diesem Jahr mit einer vergleichsweise leicht überdurchschnittlichen Erntemenge von 75 Tonnen pro Hektar Anbaufläche rechnet, zeichnen sich bei vielen der 2.400 Rübenbauern deshalb große Sorgenfalten auf der Stirn ab. Vor allem im südlichen Anbaugebiet von Kitzingen bis Rothenburg ob der Tauber. Im Anbaugebiet von insgesamt 21.000 Hektar sind laut Klaus Ziegler, dem Geschäftsführer des VFZ etwa 7.000 Hektar von der Stolbur-Krankheit befallen. Welche Ausmaße dieser Schaden nimmt, kann er schlecht vorhersagen. "Wir wissen noch zu wenig darüber", so Ziegler zu BR24.
Krankheit überraschend aufgetreten
Normalerweise erwarten die Landwirte gerade jetzt noch ordentliche Zuwächse bei den Rüben in der Erde, das hochsommerliche Wetter und die Temperaturen sind zu dieser Jahreszeit nahezu perfekt dafür. Doch jetzt gilt es bei manchem Landwirt zu retten, was noch zu retten ist. "Da hat man wirklich eine sehr gut Rübenernte bei uns in Aussicht. Wir haben auch Anfang September noch gedacht: Alles gut, alles im grünen Bereich, und jetzt kann man seinen Rüben von Woche zu Woche dabei zugucken, wie sie weniger werden", sagt Rübenbauer Johannes Menth, der auch Vorsitzender der Fränkischen Rübenbauern ist. Er rechnet jetzt mit einem wirtschaftlichen Schaden von etwa 1.500 bis 1.700 Euro pro Hektar.
Logistische Herausforderung für die Zuckerfabrik
Für das Südzucker-Werk in Ochsenfurt bedeutet die neue auftretende Krankheit vor allem eine logistische Herausforderung, denn die Rüben müssen nun "just in time" angeliefert und verarbeitet werden. Bei den derzeit sehr warmen Temperaturen drohen die Rüben auf den großen Lagerhaufen zu verfaulen, begünstigt durch die Schäden, die durch die mechanische Belastung beim Ernten und Verladen entstehen. Die Lagerfähigkeit der "Gummirüben" ist also begrenzt. Da die Krankheit jedoch erst seit gut vier Wochen auftritt, kann noch keine Auswirkung auf den Zuckergehalt der betroffenen Rüben festgestellt werden, so Simon Vogel von Südzucker in Ochsenfurt. Die gesunden Rüben dagegen dürften vom diesjährigen Wetter mit Niederschlägen im Juli und August und den darauffolgenden hochsommerlichen Temperaturen profitiert haben.
Noch keine Lösung in Sicht
Gegen das von der Schilf-Glasflügelzikade übertragene SBR-Syndrom forscht der VFZ zusammen mit dem Südzucker-Werk in Ochsenfurt bislang recht erfolgreich in einem gemeinsamen Projekt, das durch das Bayerische Staatsministerium für Landwirtschaft und Umwelt unterstützt wird. Gegen die Stolbur-Krankheit gebe es jedoch noch keinerlei Lösungsansätze. Man habe jedoch eine deutschlandweite Task-Force aus Experten gebildet, die relativ kurzfristig tagt und die Lösung dieses "Riesenproblems" angeht, so der Geschäftsführer des VFZ, Klaus Ziegler.
Zuckerpreise bleiben stabil
Auf die derzeit hohen Zuckerpreise wird die diesjährige Ernte voraussichtlich keine Auswirkungen haben. Aufgrund der hohen Nachfrage in Europa lagen diese im Juli bei 823 Euro pro Tonne. Ein Zuckerrübenbauer bekam im Trockenjahr 2022 55 Euro pro angelieferter Tonne Rüben. Das Südzucker-Werk in Ochsenfurt rechnet heuer mit einer Kampagnendauer – von der ersten Anlieferung bis zur Verarbeitung – von etwa 107 Tagen. In dieser Zeit werden rund 1,5 Millionen Tonnen Zuckerrüben verarbeitet.
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