Deutschland hat erstmals seit der Machtübernahme der radikal-islamischen Taliban in Afghanistan vor drei Jahren wieder Menschen in das Land abgeschoben. Wie das Bundesinnenministerium dem ARD-Hauptstadtstudio bestätigte, startete am Morgen ein Charterjet von Qatar Airways von Leipzig aus in Richtung Kabul. "Es handelte sich hierbei um afghanische Staatsangehörige, die sämtlich verurteilte Straftäter waren, die kein Bleiberecht in Deutschland hatten und gegen die Ausweisungsverfügungen vorlagen", erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.
Fünf weitere vorgesehene Afghanen nicht an Bord
Wie am Nachmittag bekannt wurde, hätten bei dem Abschiebeflug nach Afghanistan eigentlich fünf weitere Menschen dabei sein sollen – also insgesamt 33 Personen. Das berichteten Abgeordnete nach einem Treffen des Bundestagsinnenausschusses in Berlin. Zwei der zur Abschiebung Vorgesehenen seien am Morgen nicht angetroffen worden, sagte der FDP-Parlamentarier Manuel Höferlin.
Drei der fünf Betroffenen seien von den Landesjustizbehörden nicht für die Abschiebung freigegeben worden, weil sie aus Sicht der Staatsanwaltschaft noch keinen ausreichenden Teil ihrer Haft hierzulande abgesessen hätten.
Droht den Abgeschobenen in Afghanistan der sichere Tod?
Wie es mit der Sicherheit der Abgeschobenen aussieht, blieb zunächst unklar. Regierungssprecher Hebestreit sagte, es "seien Vorkehrungen getroffen worden." Hebestreit antwortete damit auf die Frage eines Journalisten, der wissen wollte, ob den Afghanen nun drohe, in ihrem Heimatland verhaftet oder erschossen zu werden.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verwies darauf, dass es keinen Abschiebestopp für Afghanistan gebe. "Insofern gehe ich auch davon aus, dass sie dort sicher sind", sagte sie nach einer Befragung im Innenausschuss des Bundestags. Faeser bekräftigte, dass es keine direkten Gespräche mit den radikal-islamischen Taliban gegeben habe, die im August 2021 die Macht übernommen hatten. Bei der Abschiebung setzte die Bundesregierung auf die Unterstützung des Emirats Katar.
Laut einem Bericht des "Spiegel" wurden die 28 afghanischen Straftäter aus verschiedenen Bundesländern in der Nacht nach Leipzig gebracht. Demnach erhielt jeder Abgeschobene vor dem Flug 1.000 Euro Handgeld. Alle Betroffenen sind Männer, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Unter den Abgeschobenen sollen auch Gefährder sein, also Menschen, denen die Sicherheitsbehörden schwerste politisch motivierte Straftaten bis hin zum Anschlag zutrauen.
Herrmann bestätigt 1.000 Euro Handgeld für Abgeschobene
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) begrüßte die konzertierte Abschiebe-Aktion der Bundesbehörden. Es sei "höchste Zeit" gewesen, sagte Herrmann im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio in Berlin. Er hoffe, dass die Rückführung keine einmalige Aktion bleibe: "Wir haben Dutzende von schweren Straftätern in Bayern, die wir zurückführen wollen", so der bayerische Innenminister. Bayern habe dem Bundesinnenministerium 40 schwere Straftäter für die Rückführung nach Afghanistan gemeldet.
Auch zu den Details der Aktion äußert sich der CSU-Innenpolitiker. Dass die abgeschobenen Straftäter mit einem Startgeld von 1.000 Euro ausgestattet wurden, sei eine Entscheidung der Bundesregierung gewesen, sagt Herrmann. "Die Länder haben das mit wenig Begeisterung akzeptiert", so der Innenminister. Der Bund habe damit die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Zumutbarkeit einer solch kurzfristigen Rückkehr in die Heimat einhalten wollen. Es komme für den Steuerzahler jedoch billiger, wenn diese Menschen in ihr Heimatland zurückkehrten als weiter in Deutschland zu bleiben, findet Herrmann.
Die eigens beim Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen eingerichtete "Taskforce für Straftäter" beschäftige sich derzeit mit 174 afghanischen und 203 syrischen Staatsangehörigen, "die schwere Straftäter sind und rasch außer Landes gebracht werden müssen", erläuterte der Minister.
Grüne: Abschiebung nach Afghanistan darf Taliban nicht legitimieren
Grünen-Co-Chef Omid Nouripour begrüßte zwar die Maßnahme, Abschiebungen in das Land "im großen Stil" sieht er jedoch weiter skeptisch. "Dafür bräuchte es eine direkte staatliche Zusammenarbeit, die mit den Steinzeit-Islamisten der Taliban nicht möglich ist", teilte der Grünen-Politiker mit. "Dieser Flug darf nicht zu einer Legitimation der Taliban führen." Nouripour betonte gleichwohl, dass "unbescholtene Menschen, insbesondere Familien und Kinder, die vor den Radikalislamisten geflohen sind", in Deutschland Schutz im Rang eines Grundrechts genießen.
Mit Informationen von afp, dpa und epd
Im Video: Abschiebeflug nach Afghanistan startet von Leipzig aus
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