Bayerns Innenminister fordert mehr Tempo bei Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan.
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Bayerns Innenminister fordert mehr Tempo bei Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Experten warnen vor solchen Plänen.

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Innenminister Herrmann will 400 Afghanen und Syrer abschieben

Bayerns Innenminister fordert mehr Tempo bei Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Experten warnen vor solchen Plänen – auch vor Deals mit einem Nachbarland Afghanistans.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

Dass schwerstkriminelle Afghanen und Syrer bald im Flugzeug sitzen und in ihr Heimatland abgeschoben werden, soll nach dem Willen der Bundesregierung Realität werden. Nach Messerattacken von Geflüchteten hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang Juni angekündigt: "Solche Straftäter gehören abgeschoben, auch wenn sie aus Syrien oder Afghanistan kommen."

Der Bundeskanzler steht damit im Wort - so sieht es der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Jetzt müsse "zügig vorangebracht" werden, so Herrmann, was die Bundesregierung "den Menschen in Deutschland versprochen hat". Allein in Bayern gibt es laut Herrmann 400 Straftäter aus Syrien und Afghanistan "mit schweren Delikten, die aus unserer Sicht dringend ausgewiesen werden müssen".

100.000 Abgeschobene an syrischer Grenze verschwunden

Für Pro Asyl dagegen ist eine Abschiebung sowohl über Afghanistan oder Syrien direkt als auch über Usbekistan untragbar. "Menschen werden in Syrien systematisch verhaftet und gefoltert, auch Rückkehrer", berichtet der flüchtlingspolitische Sprecher von Pro Asyl, Tareq Alaows. "Ich erhalte Berichte von Organisationen aus dem Libanon, dass Abgeschobene direkt an der Grenze verschwunden sind." Laut Amnesty International sind an der Grenze bereits über 100.000 Menschen verschwunden. "Mit solchen Staaten dürfen wir als ein Rechtsstaat und als eine Demokratie nicht zusammenarbeiten."

"Die Frauen atmen nur noch und leben nicht mehr"

In Afghanistan ist die Situation nicht besser. Die deutsche Regierung dürfe nicht darüber nachdenken, mit den Taliban zu verhandeln, solange Frauen und Minderheiten dort unterdrückt werden, sagt Asefa Estanezahi. Die 27-Jährige kommt aus Afghanistan, ist als Frauenrechts-Aktivistin von den Taliban verfolgt worden. Vor acht Monaten kam sie nach Deutschland, inzwischen hat sie ein Visum und studiert in München. "Es ist wirklich gefährlich, viele versuchen, zu fliehen." Frauen dürften nicht zur Schule gehen, nicht zu Universität und nicht in die Arbeit. Wenn sie in eine andere Stadt möchten, dürften sie das nur in Begleitung eines Mannes. "Die Frauen atmen nur noch und leben nicht mehr."

Was Abschiebungen nach Afghanistan angeht, meint Estanezahi: "Die Regierung sollte hierbei alle Konsequenzen bedenken. Solche Straftäter könnten in Afghanistan gar nicht bestraft werden und weitere Verbrechen begehen, vor allem an Frauen. Sie sollten hier in Deutschland bestraft werden." Die Geflüchteten-Organisation Pro Asyl ergänzt, dass zudem die Gefahr bestehe, dass überzeugte Islamisten von den Taliban als Helden gefeiert würden und mit gefälschten Dokumenten erneut einreisen könnten.

Regierung führt vertrauliche Gespräche mit Usbekistan

Tatsächlich unterhält die Bundesregierung weder zu den islamistischen Taliban noch zur Regierung Syriens diplomatische Beziehungen. Derzeit gibt es laut Bundesinnenministerium allerdings vertrauliche Verhandlungen mit Drittstaaten, über die eine Abschiebung organisiert werden könnte – unter anderem Usbekistan. "Das muss die Bundesregierung klären, auf welchen Wegen Abschiebungen stattfinden, welche Kooperation mit anderen Staaten möglich ist", fordert Innenminister Herrmann.

"Gefängnisse sind dort anders als in Deutschland"

Details zu einem möglichen Migrationsabkommen mit Usbekistan nennt die Bundesregierung nicht. Doch auch Usbekistan gilt unter Experten als nicht-demokratisches Land, in dem es weder Presse- noch Meinungsfreiheit gibt. "Alle westlichen Indizes stufen es als autoritäres Regime ein", sagt Zentralasienexpertin Beate Eschment vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien.

"Grundsätzlich finde ich es problematisch, dass Deutschland auf die Art und Weise seine Probleme auf ein andere Länder verschiebt." Unklar sei, was Usbekistan mit den Abgeschobenen macht, wenn Afghanistan sie nicht zurücknehme und wie die Angeschobenen in Usbekistan behandelt werden. "Die Gefängnisse sind doch ein bisschen anders als in Deutschland."

Taliban-Regime für Usbekistan nicht die "schlechteste Option"

Für Deutschland ist Usbekistan in dieser Frage interessant, weil das Land diplomatische Kontakte zu den Taliban unterhält, ohne sie offiziell anzuerkennen. "Für Usbekistan ist das Taliban-Regime nicht die schlimmste aller Optionen." Allein schon wegen der gemeinsamen Grenze müsse Usbekistan mit dem Nachbarstaat klarkommen. Beunruhigender für Usbekistan sei der Islamische Staat Khorasan, der auch von Afghanistan aus operiere. "Die Taliban haben ja den Ansatz, dass sie in Afghanistan ein Emirat errichten wollen, aber das nicht in die Welt exportieren." Der Islamische Khorasan versuche den Islamismus auch nach Zentralasien zu transportieren.

Im Video: ARD-Rechtsexperte Kolja Schwartz zu Abschiebungen nach Afghanistan (06.06.2024)

ARD-Rechtsexperte Kolja Schwartz
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ARD-Rechtsexperte Kolja Schwartz

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