Erst Corona, dann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine – da war wenig Platz in den politischen Debatten, um über die Zukunft der Landwirtschaft zu sprechen. Dabei steht die Branche vor Umbrüchen und viele Landwirte unter Druck, wie die Bauernproteste zuletzt zeigten. Welche Ideen haben die einzelnen Parteien zur Agrarpolitik?
Im Bundestag sitzen zwei Parteien, "für die die Landwirtschaft ein ganz wichtiges Politikfeld ist", sagt Peter Feindt, Professor für Agrarpolitik an der Humboldt-Universität in Berlin, gegenüber BR24. Er meint die Grünen und die Union.
Grüne wollen Wandel in der Landwirtschaft
Für die Grünen ist der Umweltschutz ein Kernthema und sie verfolgen eine ökologische Transformation der Landwirtschaft. Derzeit besetzen sie dafür zwei Schlüsselpositionen – mit Cem Özdemir als Bundeslandwirtschaftsminister und Steffi Lemke als Umweltministerin. Die Grünen wollen unter anderem die EU-Direktzahlungen an die Landwirte, die derzeit noch stark an die Größe der Flächen gebunden sind, schrittweise durch eine Gemeinwohlprämie ersetzen. Die Grünen setzen "stark auf Regulierung und auf den Ökolandbau", sagt Professor Alfons Balmann, Agrarökonom am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, im Interview mit BR24.
Der Wandel hin zu mehr Bio, mehr Tier-, Umwelt- und Klimaschutz ist der Partei wichtig. Das birgt Konfliktstoff gegenüber der Bauernschaft. Landwirtschaftsminister Özdemir fährt dabei eine defensive Strategie, sieht sich als Vermittler, will viel zuhören. Umweltschützer kritisieren, dass deshalb bisher kaum etwas von den vielen Zielen im Koalitionsvertrag umgesetzt ist. Bauernvertreter wiederum fühlen sich nicht gut unterstützt. Özdemir verstehe "manchmal nicht, wie die Branche tickt und wo die echten Probleme und Herausforderungen liegen", sagt Bayerns Bauernpräsident Günther Felßner.
An großen Projekten hat Özdemir bisher vor allem ein Tierwohllabel, erstmal nur für Schweine, geschaffen. Außerdem will die Ampel mit einer Milliarde Euro Landwirte fördern, die für mehr Tierwohl in ihren Schweineställen sorgen.
SPD für umweltschonende Landwirtschaft
Für die beiden anderen Partner in der Ampelregierung, SPD und FDP, sei die Agrarpolitik "nicht so ein starkes Thema", sagt der Agrarpolitologe Peter Feindt. "Die SPD hat sich in den letzten Jahrzehnten ziemlich aus der Agrarpolitik zurückgezogen."
Die Sozialdemokraten wollen laut ihrem Programm für die vergangene Bundestagswahl eine "umweltschonende Landwirtschaft" und dabei weg von EU-Flächenprämien hin zu einer Förderung nach Gemeinwohlkriterien wie Klimaschutz oder Tierwohl. Damit steht die SPD konzeptionell an diesen Punkten den Grünen nahe mit dem Motto öffentliches Geld für öffentliche Leistung. Aber das Feld werde von der SPD nicht sehr prominent bearbeitet, sagt Professor Feindt.
Auch Agrarökonom Balmann sieht bei der SPD "kein starkes landwirtschaftliches Profil", die Sozialdemokraten beschäftigten sich in dem Feld eher mit Fragen des ländlichen Raums insgesamt.
FDP: Mehr Markt, weniger Subventionen
Die FDP wiederum setze stark auf marktwirtschaftliche Lösungen und Eigenverantwortung, sagt Professor Balmann. Die Partei habe einige aktive Agrarpolitiker mit großem Interesse an der Landwirtschaft. "Allerdings gibt es die Konkurrenz ums Geld und mit Finanzminister Lindner um die Frage, ob neue Möglichkeiten bestehen, die Landwirtschaft zu fördern."
In ihrem Wahlprogramm 2021 forderte die FDP "den sukzessiven Abbau der EU-Agrarsubventionen" und wollte stattdessen eine gezielte Förderung von Investitionen und Forschung. Die FDP will außerdem Handelshemmnisse abbauen, setzt sich für den Einsatz neuartiger Gentechnikmethoden ein und befürwortet "wirksame und moderne Pflanzenschutzmittel".
Innerhalb der Ampel verläuft die Konfliktlinie bei Agrarthemen vor allem zwischen Grünen und FDP. Viele Projekte aus dem Landwirtschaftsministerium kommen dadurch nicht voran. "Die FDP agiert so, als wenn ihr oberstes Ziel ist, dass die Grünen keinen Erfolg haben", schildert Agrarwissenschaftler Feindt seinen Eindruck.
CDU/CSU: Anreize statt Verbote
Die Union hat traditionell starke Verbindungen in die Landwirtschaft hinein. Sie ist "nah dran an der Sichtweise vieler Betriebe", sagt Feindt. Für CDU und CSU steht die Ernährungssicherung im Fokus. Sie betonen, die EU-Direktzahlungen müssen einkommenswirksam bleiben. Zum Beispiel dadurch, dass die ersten Hektar Land stärker gefördert werden.
Die Union verfolge einen "pragmatischen Politikansatz, der typisch für konservative Parteien ist", sagt Peter Feindt. Sie orientiere sich stark am Status Quo und habe in der Agrarpolitik eine geringe Reformfähigkeit.
Die CDU setze sich dafür ein, "eine übermäßige Regulierung zu verhindern", sagt Alfons Balmann. Zu viel zu regulieren, ist aus Sicht des Agrarwissenschaftlers auch kein guter Ansatz für die Landwirtschaft. "Allerdings bietet die Union kaum alternative Lösungen für die Bewältigung der Probleme, zum Beispiel bei der Biodiversität und beim Grundwasserschutz."
CDU und CSU haben sich zum Beispiel stark für das Aussetzen einer EU-Regel eingesetzt, die von Landwirten fordert, wegen des Umweltschutzes vier Prozent ihrer Flächen nicht zu bewirtschaften. Für die Landwirte würden diese Stilllegungen bedeuten, dass sie weniger produzieren können. Außerdem will die Union den Abschuss von Wölfen deutlich erleichtern. Die CSU in Bayern setzt in der Agrarpolitik auf das Motto "Freiwilligkeit vor Ordnungsrecht" - will Anreize schaffen, zum Beispiel durch Umweltprogramme, und ist gegen Verbote.
AfD will EU-Direktzahlungen schrittweise zurückfahren
Im Zuge der Bauernproteste solidarisierte sich auch die AfD mit den Landwirten und veröffentlichte ein "Sofortprogramm Landwirtschaft". Sie fordern darin, die Unterstützung für den Agrardiesel zu verdoppeln. Statt aktuell 21,48 Cent pro Liter würden Bauern damit rund 43 Cent pro Liter Diesel vom Staat bekommen als Ausgleich für die Energiesteuer.
In ihrem Grundsatzprogramm wendet sich die AfD allerdings gegen staatliche Unterstützung. "Die AfD lehnt Subventionen generell ab", heißt es dort. EU-Subventionen "nach dem Gießkannenprinzip sowie bürokratische Überreglementierung" will die AfD schrittweise zurückfahren. Der bayerische AfD-Landeschef Stephan Protschka sieht darin keinen Widerspruch. Denn, was die Ampel jetzt macht, sei eine Steuererhöhung.
Der Agrarpolitologe Peter Feindt nennt das hingegen die "typische Doppelgesichtigkeit" der AfD. Im Parteiprogramm habe die AfD eine knallhart liberale Wirtschaftspolitik. "Dann wird andererseits völlig inkonsistent populistisch, situativ sogar noch nach einer Erhöhung der Subventionen gerufen", sagt Feindt. So könne jeder heraushören, was er gerne hören möchte.
Insgesamt würden die Landwirte von der Politik beim Strukturwandel allein gelassen, sagt Agrarökonom Balmann. "Mein Eindruck ist, es gibt bei allen Parteien im Bundestag wenig Bereitschaft schmerzhafte Wahrheiten zu vermitteln." Aus der Politik kämen kaum Konzepte, wie die Landwirtschaft insgesamt die Herausforderungen bewältigen könne.
Im Video: Bioprodukte sind wieder stärker gefragt
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