Es sind keine überraschenden, aber dennoch erschreckende Zahlen, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei der Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichtes in Berlin bekannt gibt. Negative Trends aus den vergangenen Jahren haben sich weiter fortgesetzt. Egal aus welcher extremistischen Richtung – die Zahl der Straftaten und gewaltbereiten Personen steigt.
Die SPD-Ministerin mahnt deshalb: "Wir müssen unsere Demokratie aktiv verteidigen." Die Bedrohung komme sowohl aus dem In- als auch aus dem Ausland. Die Sicherheitslage bleibe angespannt, erklärt Faeser. Auf 400 Seiten fasst der Verfassungsschutzbericht die Problemfelder zusammen.
Rechtsextremismus und "Reichsbürger"
Die rechtsextreme Szene bleibt die größte verfassungsfeindliche Gruppe in Deutschland. Zuletzt sind rund 40.600 Personen der Szene zugeordnet worden (Stand Ende 2023). Knapp 2.000 mehr als im Jahr zuvor. Mehr als jeder dritte gilt als gewaltbereit. Auch die Zahl der Gewalttaten ist in diesem Bereich stark angestiegen – auf rund 1.150. In 90 Prozent der Fälle geht es um Körperverletzung.
Die Gruppe der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" umfasst rund 25.000 Personen, ebenfalls rund 2.000 mehr als im Vorjahr.
Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, weist darauf hin, dass die sogenannte Neue Rechte an Einfluss gewinne und die Bedeutung für die rechtsextremistische Szene steige. Die Akteure vernetzten sich immer stärker, so Haldenwang.
Linksextremismus
Auch die linksextremistische Szene ist angewachsen. Dem Verfassungsschutzbericht zufolge auf 37.000 Personen, 500 mehr als ein Jahr zuvor. Mehr als jeder vierte dieser Szene wird als gewaltbereit eingestuft. Innenministerin Faeser nennt beispielsweise den mutmaßlich linksextremistischen Brandanschlag auf das Stromnetz in Brandenburg in der Nähe des Werkes des Elektroauto-Herstellers Tesla. Nicht nur die Produktion wurde lahmgelegt, sondern laut Faeser hatten auch Tausende Haushalte keinen Strom. "Diese Tat hat viele völlig unbeteiligte Menschen in Gefahr gebracht", weil beispielsweise Arztpraxen plötzlich keinen Strom mehr hatten, erklärt Faeser.
Antisemitismus
Seit den Terrorangriffen der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober und dem Gaza-Krieg gibt es einen drastischen Anstieg von antisemitischen Straftaten. SPD-Politikerin Faser spricht von einem widerwärtigen Judenhass – unterschiedliche extremistische Akteure riefen zur Gewalt auf.
Bei propalästinensischen Demonstrationen traten in mehreren Großstädten nach Einschätzung des Verfassungsschutzes neben Islamisten und palästinensischen Extremisten auch türkische Rechtsextremisten sowie deutsche und türkische Linksextremisten als Mobilisierungstreiber in Erscheinung. Ihr verbindendes Element: Antisemitismus und Israelfeindlichkeit.
Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang, sagt dazu: Der Nahost-Konflikt wirke wie ein Brandbeschleuniger auf den Antisemitismus in Deutschland. Und das bereits seit Monaten gestiegene Gefährdungspotenzial durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland habe sich noch weiter erhöht, so Haldenwang.
Islamismus
Im Bereich Islamismus und islamistischer Terrorismus zählten die Verfassungsschützer mit 27.200 Personen etwas weniger als im Vorjahr. In Deutschland kam es im vergangenen Jahr zu einem gesicherten islamistisch motivierten Anschlag: Ein und derselbe Täter griff an zwei Tagen im April Menschen mit einem Messer in Duisburg an – eine Person wurde getötet, vier weitere lebensgefährlich verletzt. Der Täter reklamierte für sich, im Auftrag des sogenannten "Islamischen Staats" (IS) gehandelt zu haben.
Erst vor wenigen Wochen erschütterte eine Messerattacke in Mannheim das ganze Land, bei der ein Polizist getötet und fünf weitere Menschen verletzt wurden.
Mehrere von den Sicherheitsbehörden vereitelte Anschlagspläne zeigten, "dass die jihadistische Ideologie nach wie vor präsent ist", heißt es im Bericht des Verfassungsschutzes. Europa und damit auch Deutschland stünden weiterhin im Fokus islamistischer Terrorgruppen.
Cyberattacken und Propaganda
Die Bedrohung nimmt auch im digitalen Raum zu. Innenministerin Faeser verweist auf diverse Cyberattacken: "Vor allem Russland, China und der Iran setzen ihre Nachrichtendienste umfassend zur Spionage gegen Deutschland ein." Darüber hinaus werde versucht, mit Lügen, Propaganda und Desinformation das Vertrauen in die Demokratie zu zerstören. Es gehe darum, "Wut und Hass zu sähen oder zu verstärken", so Faeser.
Sie berichtete von geplanten Sabotageaktionen im Auftrag des russischen Regimes, um die militärische Unterstützung der Ukraine zu untergraben – mehrere Verdächtigte wurden festgenommen. Cyberangriffe auf die Union und die SPD zeigten, dass verstärkt auch Parteien im Fokus hybrider Bedrohung seien.
Seit Juni versucht eine ressortübergreifende Stelle im Innenministerium, ausländische Manipulationsversuche möglichst frühzeitig zu erkennen. Faeser fordert aber, die Cyberabwehr des Bundes zu stärken und gesetzliche Befugnisse auszuweiten.
Faeser: Alle Schutzmaßnahmen sind hochgefahren
Die Bundesregierung habe alle Schutzmaßnahmen hochgefahren, versicherte die Bundesinnenministerin. "Unsere Demokratie ist stark, sie steht aber auch unter erheblichem Druck", betont die SPD-Politikerin.
Der Kampf gegen islamistischen Terrorismus soll diese Woche auch bei der Innenministerkonferenz ein wichtiges Thema sein. "Das Sicherheitsinteresse Deutschlands hat hier ganz klar Priorität", sagte Faeser weiter.
Aus Sicht der Grünen reichen die bisherigen Maßnahmen nicht aus. Der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz bekräftigt vor diesem Hintergrund seine Forderung nach einem Sondervermögen für die innere Sicherheit. Die derzeit in der Haushaltspolitik geltende "Sparlogik" sei bei der inneren Sicherheit ein Problem, sagte von Notz im ARD-Morgenmagazin. Auch andere Parteien wie CDU und CSU verlangen, mehr Geld in die Sicherheitspolitik zu investieren.
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