Drei Tote, mehrere Verletze und ein Schock für die nordrhein-westfälische Stadt Solingen. Am Samstagabend wurde ein Tatverdächtiger festgenommen, der die Messerattacke auf das Stadtfest verübt haben soll. Viele Fragen sind bisher ungeklärt: Was war das Motiv des Täters? Welche Rolle spielte der Islamische Staat (IS) bei dem Anschlag? Wie konnte der Tatverdächtige letztendlich gestellt werden? Ein Überblick zur bisherigen Faktenlage.
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Haftbefehl gegen Tatverdächtigen
Der Tatverdächtige kommt in Untersuchungshaft. Ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe habe Haftbefehl unter anderem wegen Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat und wegen Mordes erlassen, teilte die Bundesanwaltschaft am Sonntag mit.
Zuvor war der Tatverdächtige nach Karlsruhe gebracht worden, um einem Ermittlungsrichter beim BGH vorgeführt zu werden. Wegen des mutmaßlichen Terrorbezugs hatte die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen gegen den 26 Jahre alten Syrer übernommen.
Die Tat: Opfer offenbar zufällig ausgewählt
Laut Polizei schlug der Angreifer am Freitagabend auf dem Stadtfest zur 650-Jahr-Feier von Solingen mit dem Titel "Festival der Vielfalt" zu. Kurz darauf wurde Großalarm ausgelöst. Nach Angaben der Ermittler scheint der Täter seine Opfer zufällig ausgewählt zu haben. Dem Innenministerium zufolge habe er aber gezielt auf ihre Hälse eingestochen.
Die Stadt Solingen sagte nach dem Anschlag das ursprünglich für drei Tage geplante Fest komplett ab.
Reul: Tatwaffe hatte Klinge von 15 Zentimetern
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte am Sonntag der "Rheinischen Post", dass bei der Durchsuchung einer Asylunterkunft am Samstagabend unter anderem eine Halterung für ein Messer gefunden worden sei. "Und da passte das von uns zuvor gefundene Messer genau rein." Das in der Nähe des Tatorts gefundene Messer habe eine Klinge von 15 Zentimetern und sei die einzige Tatwaffe.
Die Flucht und Festnahme: Angreifer stellte sich selbst
Dem mutmaßlichen Täter gelang es nach der Tat, im Tumult und in der sich anfangs ausbreitenden Panik zu entkommen. Im gut besuchten Stadtzentrum verlor sich zunächst seine Spur. Ungeklärt ist, wie er nach dem Anschlag untertauchte – und wo sich der nun gefasste Mann vor seiner Festnahme versteckt hielt. Nach eintägiger Großfahndung stellte sich der mutmaßliche Täter schließlich selbst.
Bekannt ist, dass die Polizei in Solingen eine Flüchtlingsunterkunft durchsuchte. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul sagte, dies sei das Ergebnis von weitergehenden Informationen gewesen. Es gab zunächst keine Informationen zum Ergebnis der Durchsuchung.
Das Motiv: Ermittler schließen "terroristisch motivierte Tat" nicht aus
Die Polizei hat bislang noch keine Angaben zum Motiv des Mannes gemacht. Die Staatsanwaltschaft sprach vom "Anfangsverdacht einer terroristisch motivierten Tat". Grund dafür ist aber auch, dass ein anderes Motiv bislang wohl schlicht nicht ersichtlich ist. Ob es sich bei dem Gewaltverbrechen um einen Terroranschlag handelt, ist aufgrund des ungeklärten Motivs noch offen.
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beansprucht den Messerangriff für sich. Der Angreifer habe dem IS angehört und die Attacke, die einer "Gruppe von Christen" gegolten habe, aus "Rache für Muslime in Palästina und anderswo" verübt, hieß es in einer über das IS-Sprachrohr Amak verbreiteten Mitteilung. Die Polizei Düsseldorf hat nach eigenen Angaben ein Bekennerschreiben der Terrormiliz erhalten. Ob es echt ist, müsse noch geprüft werden.
Experte: Bekenntnis des IS ist glaubwürdig
Der Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King's College hält das Bekenntnis des Islamischen Staates für glaubwürdig. Es habe neben der Stellungnahme auch ein Foto und ein Video gegeben: Seiner Erfahrung nach erfinde der IS so etwas nicht, wenn er so viel an Information liefere, so Neumann im B2-Tagesgespräch. Ihm seien aus den ganzen letzten zehn Jahren nur ein oder zwei Fälle bekannt, wo sich der IS zu etwas bekannt hätte, was er letztlich nicht gemacht habe.
Unklar ist jedoch noch immer Verbindung zwischen dem IS und dem Attentäter: "War das einer, der tatsächlich Kontakt hatte mit dem IS oder war das einer, der nur inspiriert war und dann ein Video an den IS abgeschickt hat?"
Kritik an Zentraler Ausländerbehörde Bielefeld
Im Zusammenhang mit der Tat werden Zweifel an der Zentralen Ausländerbehörde in Bielefeld laut. Wie dem Bayerischen Rundfunk aus Behördenkreisen bekannt wurde, soll die Bielefelder Behörde unzureichende Maßnahmen ergriffen haben, um den tatverdächtigen Syrer ausfindig zu machen und zur Rückreise nach Bulgarien zu bewegen.
Ursprünglich sollte der Mann nämlich im vergangenen Jahr nach Bulgarien – nach dem sogenannten Dublin III-Abkommen – ausgewiesen werden. Bulgarien sei das erste EU-Land gewesen, dass der Syrer auf seine Flucht erreicht habe, womit das Land für den Asylantrag zuständig gewesen sei. Der Geflüchtete hätte dort nach einem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) innerhalb von zweieinhalb Monaten vorstellig werden müssen, um seinen Asylantrag zu stellen.
Dazu kam es aber nicht: Die Ausländerbehörde traf den Geflüchteten bei einem vereinbarten Abholtermin in seiner Flüchtlingsunterkunft im nordrhein-westfälischen Paderborn nicht an. Normalerweise müssten in diesem Fall weitere Abholversuche unternommen werden, was offenbar nicht geschah. Weshalb dies unterblieb, war zunächst unklar. Die Zentrale Ausländerbehörde Bielefeld äußerte sich zu diesen Darstellungen auf BR-Anfrage bislang nicht.
Scholz kündigt Verschärfung des Waffenrechts an
Kanzler Scholz und andere Spitzenpolitiker zeigten sich erschüttert. Der Kanzler sprach von einem "furchtbaren Verbrechen" und erklärte, gegen derartige Taten müsse "mit der ganzen Härte des Gesetzes" vorgegangen werden. Am Montag kündigte Scholz eine schnelle Verschärfung des Waffenrechts an. "Alles, was in unsere Macht liegt", solle jetzt getan werden, sagte er bei einem Besuch in Solingen. Das gelte insbesondere für den Einsatz von Messern als Waffen.
Zu möglichen Asylrechtsverschärfungen äußerte sich der Kanzler zurückhaltender. Scholz verwies auf die jüngsten Beschlüsse, um die Zahl von Abschiebungen und Rückführungen zu erhöhen. Er betonte, dass der Vollzug nun konsequent erfolgen müsse. "Notfalls" müsse es auch weitere Rechtsänderungen geben. Scholz sagt, er sei wütend und zornig über die Tat. Sein Zorn gelte den "Islamisten, die das friedliche Zusammenleben bedrohen".
Im Video: Bundeskanzler Olaf Scholz besucht Solingen
Mit Informationen von dpa, AFP und epd
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