Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat sich nach der Blockade seiner Fähre durch Landwirte in Schleswig-Holstein besorgt über das gesellschaftliche Klima in Deutschland gezeigt. "Was mir Gedanken, ja Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt", erklärte der Vizekanzler am Freitag in einer Mitteilung seines Ministeriums. Protestieren in Deutschland sei "ein hohes Gut". Nötigung und Gewalt zerstörten dieses Gut. "In Worten wie Taten sollten wir dem entgegentreten", forderte Habeck.
Habeck bedankt sich bei Mitreisenden und Crew der Fähre
"Als Minister habe ich qua Amt Schutz der Polizei. Viele, viele andere müssen Angriffe allein abwehren, können ihre Verunsicherung nicht teilen", erklärte Habeck laut seinem Ministerium weiter. Sie seien "die Helden und Heldinnen der Demokratie".
Habeck bedankte sich bei den Mitreisenden und der Crew auf der Fähre. Sie seien unvermittelt in Mitleidenschaft geraten. "Und ich danke den Einsatzkräften der Polizei, die das Schiff gesichert haben."
Wütende Bauern warteten auf Habeck – auch Pfefferspray im Einsatz
Am Donnerstag hatten etwa 100 Bauern nach Polizeiangaben einen Fähranleger im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel blockiert und Habeck am Verlassen eines Schiffs gehindert. Der Grünen-Politiker habe sich entschieden, auf der Fähre zu bleiben und zurück Richtung Hallig Hooge zu fahren, sagte ein Polizeisprecher. Erst in der Nacht sei die Fähre wieder Richtung Schlüttsiel aufgebrochen, wo sie dann anlegen konnte. Habeck sei gegen 2.30 Uhr unversehrt an seinem Wohnsitz in Flensburg angekommen.
Habeck habe trotz Abratens seiner Personenschützer versucht, das Gespräch mit den Landwirten zu suchen. Ein sachliches Gespräch sei jedoch nicht möglich gewesen, sagte der Polizeisprecher. "Ich bedauere, dass keine Gesprächssituation mit den Landwirten zustande kommen konnte", erklärte Habeck am Freitag.
Rund 30 Beamte waren Polizeiangaben zufolge vor Ort, kurzzeitig sei auch Pfefferspray eingesetzt worden. Festnahmen gab es nicht.
Extremistische Gruppe trug zur Eskalation bei
Die Polizei in Schleswig-Holstein hat ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Landfriedensbruch und Nötigung eingeleitet. Der schleswig-holsteinischen Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) zufolge hat offenbar ein Eintrag im Telegram-Kanal "Freie Schleswig-Holsteiner" zu der Eskalation beigetragen. Die vom Verfassungsschutz als staats- und demokratiefeindlich eingestufte Gruppe habe dazu aufgerufen, "mit allem zu kommen, was Räder hat", erklärte die Ministerin in Kiel. Die Aktion an der Fähre habe die Einschätzung des Verfassungsschutzes bestätigt, wonach Rechtsextremisten und andere extremistische Gruppen politische Proteste für eigene Zwecke nutzten. Ziel sei es, "Anschluss in das vorwiegend demokratisch bürgerlich-konservative Spektrum zu erhalten", sagte Sütterlin-Waack.
Özdemir: "Art und Weise der Proteste nicht akzeptabel"
In der Bayern2-RadioWelt warnte Partei-Kollege und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) vor radikalen Bauernprotesten. Bei den Themen Kfz-Steuerbefreiung und Agrardiesel sei ein "fairer Kompromiss" erreicht worden. Jetzt sei der Zeitpunkt, sich von radikalen Misstönen in aller Deutlichkeit zu distanzieren. Er verstehe das Anliegen der Bauern. Die Art und Weise, wie gestern Abend in Schleswig-Holstein gegen Vizekanzler Habeck protestiert worden sei, sei nicht akzeptabel.
Kaniber zeigt sich solidarisch mit Bauern: "Genug ist genug"
Auch Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) hat sich im BR-Interview zu den Protesten gegen Habeck geäußert: "Das ist eine Protestaktion wie viele andere vermutlich auch", so Kaniber. Es gehe darum, jetzt abzulesen, in welcher Situation einige Branchen stecken würden. Nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch Industrie, Wirtschaft und Gastronomie seien allesamt "schwer belastet". Daher stellt Kaniber klar: "Wir zeigen uns als Staatsregierung - und auch ich persönlich - solidarisch an der Seite unserer Bauernschaft, denn genug, ist genug." Die gesamte Gemengelage, die Fülle an Auflagen, Verboten und Steuererhöhungen, sei einfach zu viel für ein produzierendes Gewerbe. Nun zu demonstrieren, sei das gute Recht der Bauernschaft und aller Branchen, so Kaniber.
Insgesamt zeigt sich die CSU Politikerin solidarisch mit den Bauern. Sie will selbst an einer Demonstration im Berchtesgadener Land kommenden Mittwoch teilnehmen. Gleichzeitig betonte sie aber, dass bei den Protestaktionen keine Menschen zu Schaden kommen dürften. "Wir hoffen natürlich, dass alles im klaren Rechtsrahmen demokratisch abläuft", sagte die CSU-Politikerin.
Bayerischer Bauernverband: Keine Politiker persönlich angehen
Bauern in ganz Deutschland protestieren derzeit gegen den Abbau von Subventionen in der Landwirtschaft. Der größte Protest am Donnerstagabend war in Niederbayern. Hunderte Traktoren machten zum Teil bis Mitternacht Lärm.
Der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Günther Felßner, hat die Landwirte nach der Blockade-Aktion gegen Habeck dazu aufgerufen, diese Art von Aktionen zu unterlassen. Im Interview mit der Bayern2-RadioWelt sagte er, man wolle nicht, dass Politiker persönlich angegangen werden. "Das ist eine ganz klare Aussage des Bauernverbandes. Dazu rufe ich alle Demonstrierenden auf." Das setze aber auch voraus, dass sich die Politik auch den Bürgern stelle, dass sie auch dialogbereit sei, betonte Felßner. "Wenn das nicht der Fall ist, dann passieren solche unschönen Szenen. Das wollen wir nicht. Aber ich rufe die Politik auf, auch sich den Bauern zu stellen."
Im Audio: Bayerischer Bauernverbandspräsident Felßner zu den Protesten der Landwirte
Mit Informationen von dpa, Reuters, epd und AFP.
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