Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) schläft derzeit offenbar wenig. Seine Mitarbeiter hätten ihn auch gewarnt, sagt er: "Achtung! Jetzt kommt die Grüne Woche, ihr werdet kaum schlafen. Das wird stressig, viele Hände schütteln, ganz viele Häppchen probieren - das wird sehr anstrengend!“, zitiert Özdemir seine Mitarbeiter. Der Minister schmunzelt. Klar, alles nicht ernst gemeint, er freue sich unglaublich auf die Grüne Woche in Berlin, die weltweit größte Landwirtschafts- und Ernährungsmesse, stellt er klar. Özdemirs Botschaft: Er wolle die Grüne Woche nutzen, "um Gräben zuzuschütten". Und offenbar macht ihm wenig Schlaf nichts aus.
Bauern und Politik: Es laufen Gespräche
Seit die Ampel-Regierung die Sparmaßnahmen für die Landwirtschaft im Dezember veröffentlicht hat, stehen sich Politik und Bauern unversöhnlich gegenüber. Die Bauern gehen lautstark auf die Straße mit ihren Traktoren. Zwar lenkt die Regierung umgehend ein und fasst die Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge doch nicht an. Und die Agrardiesel-Rückerstattung soll nicht von heute auf morgen, sondern in Etappen abgebaut werden. Doch die Bauern geben sich kompromisslos. Die Proteste laufen weiter. Einen Protest der Nadelstiche kündigt der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Joachim Rukwied, nun an. Der Graben ist tief. So scheint es. Doch es laufen Gespräche.
Felßner: "Werden niemanden zwingen können"
Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), lässt genau das auf der Grünen Woche durchblicken. "Wir arbeiten hier ganz stark politisch", sagt er dem BR. Das Thema Agrardiesel sei zentral, hier in Berlin führe man Gespräche und daheim sei man sichtbar mit Aktionen. Und: "Wir werden in einem vernünftigen Dialog bleiben. Wir werden insofern niemanden zwingen können."
Genau das ist der Punkt. Denn Bauern und Politik führen schließlich keine Tarifverhandlungen. Doch hinter den Kulissen kommt richtig viel Bewegung in den Konflikt. Özdemir gibt den Agrardiplomaten und die Grüne Woche in Berlin wird zum diplomatischen Parkett mit informellen Gesprächen hinter verschlossenen Türen. Man nähert sich an. Denn der so unversöhnlich wirkende Konflikt zwischen Bauernschaft und Politik ist gar nicht so unlösbar, wie er scheint.
Landwirtschaft ganz oben auf der politischen Agenda
Ein richtungsweisender Effekt der Proteste: Landwirtschaft steht ganz oben auf der politischen Agenda. Auch auf der Grünen Woche ist der Protest der Bauern das Topgesprächsthema - dicht gefolgt von: "Wie schmeckt der Bergkäse?" Deshalb drehen sich die Diskussionen auch um Özdemirs neuesten Vorschlag für eine Tierwohlabgabe. Nur wenige Cent auf Fleisch, Milch und Butter könnten dem Staat Milliarden einbringen, sagt er. Das Geld soll dann deutschen Tierhaltern zugutekommen, damit sie ihre Ställe tierwohlgerecht umbauen können. Mehr Platz, weniger Spaltenböden, weniger Tiere - die Gesellschaft fordert das ein. Doch das muss eben auch bezahlt werden.
Volle Kraft für mehr Tierwohl?
Der Vorschlag ist, wenn man in politischen Zeiträumen denkt, uralt. Schon seit 2020 liegt das Konzept dafür auf dem Tisch. Eine Expertenkommission rechnete damals vor: 40 Cent je Kilo Fleisch, 2 Cent je Kilo Milch oder Eier, 15 Cent auf Butter und Käse. Durch diese Aufschläge könnten pro Jahr knapp vier Milliarden Euro zusammenkommen.
Allerdings fehlte der politische Wille, das umzusetzen. Doch jetzt, da die Landwirtschaft ganz oben auf der politischen Agenda steht und so ziemlich jeder Politiker etwas für Deutschlands Landwirte tun will, klappt das politische Fenster der Möglichkeiten ganz weit auf. In der Natur des Protests liegt zwar, dass die Bauernverbände unisono abwinken. Mit der Begründung, die Tierwohlabgabe sei ein Ablenkungsmanöver, wie Georg Wimmer sagt, Generalsekretär des BBV. Erst müsse der Abbau der Agrardieselsubvention vom Tisch, dann könne man über andere Punkte sprechen. Er betont aber auch: "Wir haben immer gesagt, dass wir für den Tierwohlumbau sind, aber das muss finanziert werden." Wie der Bund das finanziert, sei für die Bauern zweitrangig, das sei der Job des Bundes, sagt Wimmer. Wichtig sei, dass das Geld fließt und der Stallumbau großflächig starten könne.
Tierwohl ist ein Geschäftsmodell
Es gibt in der Bauernschaft ein großes Interesse am Tierwohlumbau. Spanien etwa fährt seine Fleischproduktion massiv hoch. Die Spanier produzieren viel günstiger als es deutsche Tierhalter jemals könnten. Das setzt die Tierhalter hierzulande unter Druck. Allerdings ist der Tierwohlgedanke in Deutschland ausgeprägter als anderswo. Tierwohl ist ein Geschäftsmodell, eine Marktlücke in Europa.
Diese Lücke könnten deutsche Tierwohlställe schließen. Doch der Stallumbau muss eben finanziert werden. Deshalb sind die Vorschläge der Expertenkommission so wichtig für die Landwirte. Doch statt der jährlichen rund vier Milliarden Euro bis 2040 konnte sich Cem Özdemir bisher nur mit einer ziemlich dünnen Finanzierung durchsetzen: rund eine Milliarde auf vier Jahre. Planungssicherheit sieht anders aus. Doch jetzt hat Özdemir die Möglichkeit, das Milliardenprojekt Tierwohl für die Landwirte durchzuboxen.
Comeback der Biokraftstoffe
Das Argument der Bauern, warum der Agrardiesel unbedingt weiter subventioniert werden müsse: Es gibt keine Alternativen. E-Traktoren oder Wasserstoff-Traktoren sind nicht serienmäßig verfügbar. Möglich wäre aber der Einsatz von Bio-Diesel, also Kraftstoff aus Pflanzenöl wie etwa Raps. Doch es gibt zwei Probleme: Umweltverbände kritisieren, dass allein die Herstellung des Sprits alles andere als CO2-neutral sei. Auch würden dafür riesige Flächen verbraucht, die eigentlich der Lebensmittelherstellung dienen sollten, so die Kritik. Deshalb wollten die Grünen den Biokraftstoff bis 2030 beerdigen. Doch nun deutet sich ein Comeback an.
Bio-Diesel als Brückentechnologie?
Noch im Januar rammt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ein Stopp-Schild vor der Idee, den Bio-Diesel zu fördern, um die Agrardiesel-Subvention streichen zu können. Doch wenige Tage später legt Lemke eine 180-Grad-Wende hin. So sei es sinnvoll, Biodiesel für die Landwirtschaft einzusetzen, lässt sie wissen. Aus Özdemirs Umfeld ist zu hören, dass die Gespräche des Bundeslandwirtschaftsministeriums mit der Umweltseite Erfolg gehabt hätten. Tatsächlich hatte sich zuvor Özdemirs Staatssekretärin Silvia Bender für den Einsatz von Biokraftstoffen in der Landwirtschaft ausgesprochen. Möglicherweise bilden Biokraftstoffe bald eine Brückentechnologie, bis Alternativen wie E-Traktoren breit verfügbar sind.
Özdemir will Bauern über Monopolkommission helfen
Ein ganz heißes Eisen ist die Wertschöpfungskette. Denn die Bauern befinden sich ganz am Anfang der Kette, dann kommen die Verarbeiter und am Ende stehen Aldi, Lidl, Edeka und Co. Die Supermarktriesen setzen den Preis. Nun will Özdemir die Monopolkommission beauftragen, um den Bauern zu helfen. Mehr ist dazu erst einmal nicht bekannt. Doch das nehmen Branchenkenner auf der Grünen Woche eher achselzuckend hin. Es sei schließlich nicht das erste Mal, dass ein Landwirtschaftsminister die Preisgestaltung der großen Discounter kritisiere, sagt einer aus dem Milchgewerbe. Da gebe es häufig große Worte, aber am Ende seien die politischen Handlungsmöglichkeiten beschränkt, sagt er.
Allerdings gibt es die EU-rechtlichen Möglichkeiten von Artikel 148 der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO). Die wolle Özdemir auch nutzen, sagt er. Demnach kann ein EU-Mitgliedstaat Molkereien und Milchlieferanten verpflichten, Preise und Liefermengen in einem schriftlichen Vertrag zu regeln. Allerdings betrifft das nur einen engen Bereich im Milchsektor. Denn die Genossenschaften in der Milchbranche sind davon nicht betroffen, weil sie das bereits in ihrer Organisation regeln.
Das Szenario: Bauern beenden Proteste - wenn Özdemir liefert
Die Bauern werden erstmal lautstark weiter protestieren und womöglich noch eine Schippe drauflegen. Das ist bereits angekündigt. DBV-Präsident Rukwied sagt: "Erst wenn wirklich alles zu Ende verhandelt ist, ist ausverhandelt." Aber was, wenn dann alle politischen Möglichkeiten erschöpft sind, die Agrardiesel-Rückerstattung doch noch zu erhalten? Dann gilt dieser vielsagende Satz des bayerischen Bauernpräsidenten Felßner: "Wir werden niemanden zwingen können."
Doch möglicherweise können die Bauernverbände dann die Proteste unheimlich erfolgreich beenden, wenn all die bisher undenkbaren Vorschläge im Windschatten der Proteste doch noch Realität werden: langfristige Milliarden-Förderungen für den Tierwohlumbau, Bio-Diesel als Brückentechnologie, Unterstützung durch die Monopolkommission bei der Preisgestaltung, Festhalten an der Kfz-Steuerbefreiung. Da erscheint ein schrittweiser Abbau der Agrardiesel-Rückerstattung tragbar.
Özdemir unter Druck wie nie
Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir steht jetzt unter Druck wie nie. Denn er muss all das auch umsetzen, was er angekündigt hat - und zwar so schnell wie möglich. "Butter bei die Fische", fordert er kürzlich mit Blick auf die Tierwohlabgabe. Das könnte man als Selbstmotivation verstehen. Er ist schließlich der Minister. Gut möglich, dass Özdemir auch nach der Grünen Woche wenig Schlaf bekommt.
Zum Audio: Diskussion über Tierwohlabgabe
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