Bundesverfassungsgericht soll krisenfest(er) werden
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Bundesverfassungsgericht soll krisenfest(er) werden

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Bundesverfassungsgericht soll krisenfest(er) werden

Ampel und Union wollen Deutschlands höchstes Gericht besser vor Demokratiefeinden schützen. Gemeinsame Pläne sehen eine Verfassungsänderung vor. Verabschiedet werden soll sie noch vor der Bundestagswahl im Herbst 2025.

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SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU im Bundestag haben sich auf eine Grundgesetzänderung geeinigt, um das Bundesverfassungsgericht zu stärken. Die Neuregelung soll dazu beitragen "Bestrebungen vorzubeugen, welche die Unabhängigkeit oder Funktionsfähigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit in Frage stellen wollen", heißt es in der Begründung. "Heute ist ein guter Tag für die demokratische Kultur in unserem Land", sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bei der Vorstellung der Pläne in Berlin.

Politische Einflussnahme soll erschwert werden

Sollten extreme Parteien in Deutschland Mehrheiten gewinnen, würde mit der geplanten Verfassungsänderung politische Einflussnahme auf das Gericht verhindert oder zumindest deutlich erschwert.

Viele Fragen rund um Organisation und Besetzung des Bundesverfassungsgerichts sind bisher nur in einem einfachen Gesetz, dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz, geregelt. Für eine Änderung reicht die einfache Mehrheit im Bundestag. Über diese vermeintlichen Formalia könnte also die Arbeit des Gerichts als höchste Kontrollinstanz vom Parlament beeinflusst werden.

Gewisse Strukturen sollen deshalb nach Wunsch von Ampel und Union Verfassungsrang erhalten und dadurch abgesichert werden. Denn für eine Änderung des Grundgesetzes sind die Hürden wesentlich höher: Es braucht eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat.

Was soll künftig im Grundgesetz geregelt werden?

So soll unter anderem die Zahl der (zwei) Senate und ihre Besetzung mit je acht Richterinnen und Richtern verfassungsrechtlich festgelegt werden, ebenso die Dauer der richterlichen Amtszeit von zwölf Jahren und die Altersgrenze von 68 Jahren. Dadurch können bei einem Regierungswechsel unliebsame Richter nicht so einfach entfernt, politisch linientreue nicht so einfach eingesetzt werden.

Auch der Ausschluss einer Wiederwahl von Richterinnen und Richtern soll künftig im Grundgesetz stehen, sowie die "Geschäftsordnungsautonomie" des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan. Heißt, das Gericht soll seine Arbeitsweise selbst festlegen können.

Das betrifft laut der stellvertretenden Unionsfraktionsvorsitzenden Andrea Lindholz (CSU) auch die Frage, in welcher Reihenfolge Akten zu bearbeiten sind. "Das kann im Zweifel sehr entscheidend sein."

"Rechtsstaat abgebaut" – Erfahrungen in Polen und Ungarn

So hatte in Polen die mittlerweile abgewählte nationalkonservative PiS-Regierung das Verfassungsgericht verpflichtet, Fälle nach Eingangsstempel zu bearbeiten, nicht nach Dringlichkeit – und damit die Wirksamkeit des Gerichts als Kontrollinstanz untergraben. Zudem ersetzte sie Verfassungsrichter durch eigene, linientreue Kandidaten. In Ungarn entzog Ministerpräsident Viktor Orbán unabhängigen Richtern Befugnisse und nahm ihnen sogar die Möglichkeit, sich an den Europäischen Gerichtshof zu wenden. Erst als die Europäische Union Fördermittel blockierte, ruderte Orbán zurück.

"Wir haben in Osteuropa leider sehen müssen, wie schnell der Rechtsstaat abgebaut werden konnte", sagte Johannes Fechner, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag. "Da gab es verschiedene Tricksereien, das werden wir verhindern." Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz ergänzte: "Wir müssen unsere Demokratie wehrhaft und resilient aufstellen."

Blockade bei Richterwahl: "Nicht fernliegende Bedrohung"

Eine "nicht vollkommen fernliegende Bedrohung" sieht von Notz auch in der möglichen Blockade bei der Wahl von Verfassungsrichtern. Sie werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt, nötig dafür ist laut Gesetz eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Falls sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ändern und eine Fraktion mehr als ein Drittel der Stimmen hält, könnte sie die Wahl eines bestimmten Richters verhindern.

Abhilfe schaffen soll künftig eine "Öffnungsklausel" im Grundgesetz: Sollte es der Bundestag nicht schaffen, eine freie Richterstelle rechtzeitig neu zu besetzen, soll der Bundesrat einspringen können – und umgekehrt. Einzelheiten dazu muss das Parlament allerdings noch festlegen. Man wolle hier die Verfassung nicht mit "Detailregelungen überfrachten".

Juristenverbände loben Reformpläne – fordern aber weitere Schritte

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) sprach von "wichtigen und klugen Vorschlägen", mit denen Richterinnen und Richter "vor politischen Übergriffen geschützt werden". Dass sich Regierung und größte Oppositionsfraktion auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt haben, nannte der Deutsche Richterbund (DRB) "erfreulich". Allerdings sei die angekündigte Absicherung "nur ein erster Schritt".

DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn forderte mit Blick auf das Weisungsrecht der Länder-Justizminister gegenüber Staatsanwälten, auch diese "gesetzlichen Einfallstore für einen politischen Missbrauch der Strafverfolgung" zu schließen. Sie seien "Gift für das Vertrauen der Menschen in eine unabhängige Strafverfolgung".

AfD: Miserable demokratische Kultur unter Ampelregierung

Kritik an den Reformplänen kommt von der AfD: Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher der Partei, sagte, seine Fraktion habe bereits eigene Vorschläge zur Resilienz der Demokratie gemacht.

Dass die AfD von der Arbeit an der geplanten Reform ausgeschlossen worden sei, zeige "die miserable demokratische Kultur unter der Ampelregierung".

Rückblick: Streit zwischen Union und Ampelparteien

Noch im Februar hatte die Union den Plänen von Bundesjustizminister Buschmann eine Absage erteilt und Gespräche mit den Ampelparteien abgebrochen. Zuvor waren Ideen der Ampel öffentlich geworden. Die Union zeigte sich irritiert und forderte eine „ernsthafte Debatte im Hintergrund“, nicht über die Presse. Später hieß es, eine Verfassungsänderung sei nicht nötig, das Bundesverfassungsgericht sei genug vor Einflussnahme geschützt.

Nun haben sich Ampel und Union in vertraulichen Gesprächen zusammengerauft, loben einhellig "leidenschaftliche Diskussionen" und "intensiven, guten Austausch". Ihre Pläne wollen sie zeitnah als Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, noch vor der Bundestagswahl im Herbst 2025 soll die Grundgesetzänderung verabschiedet werden. Die dafür notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit ist den vier Fraktionen sicher.

Mit Material von dpa und AFP

Im Video: ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam zum Schutz für das Bundesverfassungsgericht

ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam in Karlsruhe
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Die Regierung und die Union wollen das Bundesverfassungsgericht unabhängiger machen. ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam erklärt die Vorschläge.

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