Zunächst nochmal die Ausgangslage: Der Bundestag hat beschlossen, dass Cannabis künftig von Erwachsenen in Deutschland legal konsumiert werden kann. Auch der Eigenanbau soll möglich werden. Nach dem Willen der Ampelregierung soll das neue Gesetz ab April in Kraft treten, doch aus den Bundesländern kommt Widerstand. Der Bundesrat soll Mitte März abschließend beraten. Zustimmungsbedürftig ist das Gesetz nicht, aber die Länderkammer könnte den Vermittlungsausschuss anrufen und das Verfahren abbremsen. Was den zeitlichen Ablauf angeht, gibt es aber auch aus anderen Gründen offene Fragen.
Droht Chaos bei der Versorgung?
Wenn der Konsum tatsächlich am 1. April legal werden soll, wie kann der Bedarf dann gedeckt werden? Denn Vereinigungen zum gemeinschaftlichen Anbau von Cannabis sollen, laut derzeitiger Regelung, erst am 1. Juli starten dürfen. Droht da ein chaotisches Vakuum? Für Robin Hofmann, Strafrechtler an der Uni Maastricht und Experte für Drogenpolitik, ist der gesamte Diskussionsprozess rund um die Cannabis-Gesetzgebung in Deutschland eher unstrukturiert verlaufen.
"Wenn man pessimistisch in die Zukunft blickt, könnte man sagen, warum sollte dann nicht auch die Umsetzung genauso chaotisch verlaufen?", so Hofmann im BR24-Podcast "1 Thema, 3 Köpfe". Er geht allerdings nicht davon aus, dass der Schwarzmarkt explodiert. Es werde einen Anstieg in der Nachfrage geben, aber schon jetzt sei es relativ einfach, in Deutschland an Cannabis zu gelangen.
Experte sieht bayerisches Vorgehen kritisch
Bayern hat bereits einen restriktiven Kurs für den Cannabis-Konsum angekündigt. Robin Hofmann ist da allerdings skeptisch. Er glaubt nicht, "dass da viel Spielraum ist für die Behörden". Gesetzliche Bestimmungen eines Bundesgesetzes können auf Länderebene nicht "nach Gutdünken" verändert werden. Möglichkeiten gebe es allerdings zum Beispiel bei der Umsetzung von Kontrollen. Diese könnten mehr oder weniger restriktiv durchgeführt werden. Aus dem bayerischen Gesundheitsministerium hieß es bereits, dass Sonderkontrolleure die Betreiber und den Betrieb von Cannabis-Clubs genau unter die Lupe nehmen sollen.
Deutschland mit besserer Regelung als die Niederlande?
Wie sind die deutschen Pläne zur Cannabis-Legalisierung aber im internationalen Vergleich zu bewerten? Was die Drogenpolitik angeht, gelten die Niederlande oft als besonders progressiv. Robin Hofmann sieht das allerdings gänzlich anders. Aus seiner Sicht vermeidet die deutsche Gesetzgebung einen grundsätzlichen Fehler der niederländischen Regelungen. In beiden Ländern ist der Konsum bestimmter Mengen Cannabis legal. In Deutschland soll es allerdings erlaubte Wege zur Beschaffung geben, nämlich den Eigenanbau. Dies gebe es in den Niederlanden nicht, so Hofmann. Während man in Coffee-Shops Cannabis zwar legal kaufen könnte, existierten für diese Geschäfte keine erlaubten Wege zur Beschaffung und zur Produktion. Die Strafverfolgungsbehörden drückten hier lediglich ein Auge zu. Cannabis-Anbau findet also in einer Grauzone statt. "Die Organisierte Kriminalität in den Niederlanden ist daran gewachsen", so das Fazit den Kriminologen Robin Hofmann. Irgendwann sei man dann auf Kokain und synthetische Drogen umgestiegen. "Da sind die wirklich großen Gewinne zu machen."
Wachsende Drogenkriminalität in den Niederlanden
In den Niederlanden droht die Drogenkriminalität deshalb außer Kontrolle zu geraten. Auf offener Straße werden Menschen erschossen – gezielte Morde durch die Drogenmafia. Aber es trifft auch Unbeteiligte. Gerade erst ging ein Mammutprozess gegen Mitglieder einer Drogenbande zu Ende. Die Angeklagten wurden wegen Auftragsmorden zu teils lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Der Prozess, in dem auch ein Kronzeuge aussagte, führte zu einer Gewaltwelle der Drogenmafia. Der Bruder des Kronzeugen, dessen Anwalt und der niederländische Kriminalreporter Peter de Vries wurden ermordet.
Milliardenmarkt für Organisierte Kriminalität in Europa
Verhältnisse wie in den Niederlanden könnten auch in anderen europäischen Staaten Realität werden, befürchten Beobachter wie Arndt Sinn, Professor für deutsches und europäisches Strafrecht an der Universität Osnabrück. Im BR-Interview sprach er von 30 Milliarden Euro, die in Europa jährlich für harte Drogen wie Kokain, Heroin oder synthetische Drogen ausgegeben werden. Und der Konsum steigt, ein Wachstumsmarkt also für die organisierte Kriminalität.
In der vergangenen Woche erst war Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in den wichtigsten Herkunftsländern der Drogen in Südamerika unterwegs. Es geht darum, in den Produktions- und Transitländern Allianzen für den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität zu schließen.
Druck der Drogenmafia auf die Häfen
Der illegale Stoff kommt per Schiff nach Europa – oft versteckt in Bananenkisten oder Hohlräumen in Containern. Laut Faeser sind nicht nur die Häfen in den Niederlanden, Belgien und Frankreich das Einfallstor für Drogen, sondern auch der Hamburger Hafen. Die Innenministerin sagt: "Wir sehen, wie Drogenbanden versuchen, Hafenarbeiter für ihre illegalen Deals einzuspannen. Wir brauchen maximalen Ermittlungsdruck und gute Prävention."
Nach den Worten des Kriminologen Arndt Sinn gibt es aber auch ein Problem mit bestechlichen Beamten. Der Polizeibehörde Europol zufolge sind der Drogenhandel und die Kriminalität der Banden die derzeit größte Bedrohung für die innere Sicherheit in Europa. Derzeit, so Arndt, ist die Organisierte Kriminalität den Kontrollbehörden immer einen Schritt voraus. Dieser Abstand dürfe nicht zu groß werden.
Einheitliche EU-Drogenpolitik gefordert
Wenn Drogenschmuggel grenzüberschreitend funktioniert und Organisierte Kriminalität in Europa mehr und mehr zur Gefahr wird - welche Schlussfolgerungen muss man daraus für die Drogenpolitik ziehen? Für Robin Hofmann von der Uni Maastricht gibt es da nur eine Antwort: Es braucht ein möglichst einheitliches Vorgehen auf europäischer Ebene. Das gelte für den Umgang mit Cannabis, aber auch mit härteren Drogen. Ein Land alleine könne den Schwarzmarkt nicht nachhaltig eindämmen. Aber der Kriminologe betont, dass die Unterschiede in der Europäischen Union groß seien. Schweden oder auch Ungarn würden nach wie vor auf einen sehr restriktiven Umgang mit Drogen setzen. Bei einer einheitlichen europäischen Drogenpolitik gehe es daher nicht um einen "Sprint", so Hofmann. Das sei "eher ein Marathonlauf für die nächsten Jahre oder vielleicht sogar Jahrzehnte".
Zum Nachhören: Bayerns restriktive Cannabis-Politik
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!