Heute vor zehn Jahren, am 7. Januar 2015, stürmten zwei islamistische Terroristen die Redaktion des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo und ermordeten zwölf Menschen. Nach der Veröffentlichung mehrerer Mohammed-Karikaturen überfielen die Terroristen die Redaktion.
Sollte also Satire Religionsthemen besser aussparen? Wie steht es zehn Jahre nach dem Attentat um die Sensibilität von gläubigen Muslimen – oder auch Gläubigen anderer Religionen? Wie viel Satire und Humor verträgt eine Religion?
Charlie Hebdo: Das war 2015 passiert
Es waren mehrere islamkritische Karikaturen, die das Satiremagazin Charlie Hebdo vor dem Anschlag auf die Reaktionsräume vor zehn Jahren veröffentlicht hatte: "Eine Titelseite, auf der ein jüdischer Rabbi einen Imam in einem Rollstuhl schiebt. Die Karikatur ist überschrieben mit 'Intouchables 2', also die Unantastbaren. Und die beiden Figuren sagen: Nicht über uns lachen", erklärt der Salzburger Theologe Andreas Weiß.
"Damit wird natürlich gesagt: Man darf über alles lachen, nur über den Islam beziehungsweise das Judentum nicht", sagt Weiß. Weil Charlie Hebdo satirisch den Finger in die Wunde gelegt habe, hätten sie islamistische Terroristen gegen sich aufgebracht, sagt der Theologe. Bei dem Gewaltakt vor zehn Jahren wurden zwölf Menschen getötet. Es war allem Anschein nach die blutige Reaktion auf die islamkritischen Charlie-Hebdo-Karikaturen.
Theologe: Religionen bei Satire nicht ausklammern
Das dürfe aber nicht dazu führen, dass Satire-Magazine pauschal das Religiöse ausklammern, findet Theologe Andreas Weiß: "Das Religiöse ist auch in der westlichen Welt eine Erscheinung unter vielen und kann Gegenstand von Satire sein."
Und: "Es ist sehr wohl auch die Aufgabe von Religionen, den eigenen Glauben kritisch zu reflektieren und abzuwägen, wie man auf Infragestellungen reagiert. Und das kann in keinem Fall Gewalt oder Hass sein", sagt Andreas Weiß.
Prophet wurde beschimpft und hat es ausgehalten
Dieser Meinung ist auch Abbas Poya, Islamwissenschaftler an der Universität Nürnberg-Erlangen: "Für mich war erschreckend, dass Menschen, die sich dem Islam zugehörig fühlen, imstande sind, eine solche Tat zu begehen." Abbas Poya rät, sich hier am Propheten Mohammed ein Vorbild zu nehmen: "Der Islam hat die Größe sowas auszuhalten, beziehungsweise sollte er es haben. Wenn man an den Propheten denkt, als er in Mekka war: Er wurde von seinen Gegnern beschimpft und mit Schmutz beworfen, aber er hat alles ausgehalten, anstatt mit Gewalt zu reagieren."
Auch wenn eine Religion Satire aushalten müsse, stehen hinter ihr Menschen, die damit möglicherweise nicht umgehen können. Auch manche Christen fühlen sich verletzt, wenn beispielsweise der Papst beleidigt wird. Das Entscheidende sei, wie diese Verletzung das eigene Handeln beeinflusse, wie man im Außen auf die innere Verletzung reagiere, sagt Abbas Poya.
Wie würden Muslime heute auf Satire reagieren?
Einen großen Unterschied sieht er darin, wie Christen und Muslime mit verletzten religiösen Gefühlen umgehen. Das hängt mit der europäischen Geschichte und der Säkularisierung zusammen: Das Christentum hat vor Jahrhunderten die religionskritische Aufklärung durchlaufen, daraus hat sich ein gesellschaftlicher Konsens entwickelt, wonach auch Religionen Kritik und Satire aushalten müssen. Diese Entwicklung hat der Islam in Ländern, aus denen viele Muslime in den Westen kamen, bisher noch nicht durchgemacht.
Der Islamwissenschaftler ist überzeugt: Auch Muslime müssten diese Erfahrung mitmachen. Wie würden Muslime also heute auf islamkritische Karikaturen reagieren? "Wenn wir jetzt über die mehrheitsmuslimischen Gesellschaften in Pakistan, Afghanistan und in arabischen Ländern wie dem Iran sprechen: Ich glaube, dass die genauso reagieren würden wie vor zehn Jahren", sagt Abbas Poya. Anders blickt er auf Muslime in Deutschland: "Ich glaube, dass die Menschen, die einen islamischen Hintergrund haben, sich inzwischen an Dinge gewöhnt haben und ganz anders reagieren würden."
Muslime in Deutschland haben sich an Satire gewohnt
Das deckt sich auch mit den Erfahrungen, die das deutsche Satire-Magazin Titanic seither gemacht hat. "Wir bekommen relativ häufig als Kommentar: Ach, das ist ja Gratis-Mut, dass ihr euch immer wieder aufs Christentum einschießt, mit dem Islam würdet ihr euch das niemals trauen", berichtet Redaktionsleiterin Julia Mateus und widerspricht: "Das stimmt nicht. Wir haben auch Texte, die sich mit dem Islam befassen. Zum Beispiel hatten wir neulich was über die neuen Tugend-Regeln der Taliban. Direkt nach dem Attentat auf Charlie Hebdo hatten wir mehrere Artikel zu dem Thema, und es gab auf unsere Witze, die den Islam thematisiert haben, nie eine Reaktion – es hat sich niemand drüber aufgeregt."
Im Video: 10 Jahre nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo
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