Die Lage im Gazastreifen ist dramatisch. Das gilt sowohl für die palästinensische Zivilbevölkerung als auch für rund 100 israelische Geiseln, die immer noch in den Händen der Hamas sind. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) macht sich deswegen auf der Münchner Sicherheitskonferenz für eine Waffenruhe stark.
"17.000 Kinder sind nach UN-Angaben durch die letzten Monate ohne Eltern", sagte Baerbock. Die Situation von Kindern werde auch von Hamas ausgenutzt, weswegen die humanitäre Situation eng mit der Sicherheit Israels verknüpft sei. "Deswegen werben wir hier gemeinsam mit so vielen Akteuren dafür, dass wir zu einer humanitären Feuerpause kommen, indem endlich die über hundert Geiseln aus den Händen der Hamas freikommen." Darunter seien Kinder und auch deutsche Staatsangehörige. "Zugleich kann die humanitäre Versorgung für die rund zwei Millionen Menschen in Gaza deutlich erhöht werden kann", so die Außenministerin weiter.
Ehemalige Geisel: "Dachte, dass ich sterben würde"
Das Schicksal der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln bekam am Rande der Konferenz durch die Erzählungen ehemaliger Geiseln und Angehöriger von Verschleppten eine besondere Aufmerksamkeit. Aviva Sigal war 51 Tage in Gefangenschaft der Hamas. Im ersten Deal zwischen der Terrororganisation und Israel kam sie frei. Ihr Mann Keith ist immer noch im Gazastreifen gefangen. Aviva erzählte von den Zuständen, teilweise seien sie in Tunneln 40 Meter unter der Erde gefangen gewesen.
"Es gab viele Momente, in denen ich dachte, dass ich sterben würde", erzählt Sigal. Sie seien von der Hamas sehr schlecht behandelt worden. "Sie haben uns mit Waffen bedroht, sie haben uns kaum zu essen gegeben, sie haben uns nicht genügend Wasser gegeben. Als ich aus Gaza rauskam, hatte ich nach den 51 Tagen zehn Kilo verloren. Ich war dehydriert. Wir mussten stillsitzen und leise sein."
Geisel berichtet von Misshandlungen
Ihren Mann, der noch in Hamas-Gefangenschaft sei, beschreibt Aviva Sigal als liebenswerten Menschen, der der Letzte sein müsste, dem so etwas passiere. Das Paar hat vier Kinder und fünf Enkelkinder. Als Mutter war es für Aviva Siga besonders schwer mitzuerleben, was den Mädchen unter den Geiseln passierte.
"An einem Tag wurde eins der Mädchen in einen anderen Raum gebracht", erzählt Aviva Sigal. "Als sie wiederkam, konnte ich es in ihrem Gesicht sehen, dass etwas passiert ist. Erst nach ein paar Stunden hatte sie die Kraft, uns zu sagen: Er hat mich belästigt. Es war ein sehr schwieriger Moment für uns."
Ein anderes Mädchen sei vor ihren Augen geschlagen worden. "Sie haben ihr Handschellen angelegt und eine Decke über sie geworfen". Als die Kidnapper von ihr abließen, habe Aviva Sigal sie gefragt, warum sie nicht geschrien habe. Das Mädchen habe geantwortet: "Ich wollte Ihnen nicht die Befriedigung geben, weil sie die bekommen, wenn ich leide."
Deal mit der Hamas: Um welchen Preis?
Schläge, Bedrohungen, kaum Nahrung und offenbar keine medizinische Versorgung. Die Zustände, das schildern ehemalige Geiseln wie Angehörige, seien unmenschlich. Die Hoffnung liegt auf einem weiteren Deal zwischen Israel und der Hamas. Gal Hirsch, Israels Beauftragter für Entführte und Vermisste, äußerte die Bereitschaft für eine weitere Vereinbarung, bremste aber zugleich die Hoffnungen.
"Wir wollen einen Deal, wir wollen ihn sehr. Wir wissen, dass wir einen Preis dafür bezahlen müssen", sagte Hirsch. Aber der Preis und die Forderungen, die sie zuletzt von der Hamas über die Vermittler gehört hätten, hätten nichts mit der Realität zu tun. "Wir sind bereit, einen Deal zu machen, einen vernünftigen und einen Preis zu bezahlen, aber nicht jeden Preis", so Hirsch weiter.
"Nicht die Zeit, in der es um Macht und Politik gehen darf"
Für die Angehörigen sind diese Worte schwer zu ertragen. Yuval Danzig, dessen 75-jähriger Vater seit 133 Tagen in Hamas-Gefangenschaft ist, fordert im Gegensatz zum Regierungsvertreter Hirsch, dass die Höhe des Preises keine Rolle spielen dürfe. "Sie müssen aufhören, sie müssen einen Deal machen wie den ersten", erklärte Danzig. Davon werde die Welt nicht untergehen. "Es ist möglich, das hat auch der Geheimdienst gesagt. Dies ist nicht die Zeit, in der es um Macht und Politik gehen darf."
"Bring them home" – bringen wir sie nach Hause. Das war Wunsch und Forderung aller Angehörigen wie auch der israelischen Politiker auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Nur über den Weg, da gehen die Meinungen auseinander.
Gilad Korengold, dessen Sohn Gefangener der Hamas ist, beschrieb, was die Situation mit ihm und seiner Familie macht: "Ich kann nur mit Tabletten schlafen, sonst mache ich kein Auge zu. Es gibt keine Tage, keine Nächte mehr für mich, ich esse nicht mehr."
An Menschen, die seine Forderung nicht verstehen, hat er eine klare Botschaft: "Ich habe einen Vorschlag für alle, die mich nicht hören wollen: Nimm deinen Sohn, steckt ihn dort hin und bringt meinen Sohn da raus. Und dann mach, was du willst, es ist mir egal. Ich will meinen Sohn zurück – lebend. Wir brauchen ihn, die Familie braucht ihn und ich brauche ihn." Die Geiseln müssten befreit und nach Hause gebracht werden. Korengold ergänzt: "Und das heute, nicht morgen."
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