Eine Frau hält einen Organspendeausweis in den Händen.
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Eine Frau hält einen Organspendeausweis in den Händen.

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Dauerstreit Organspende: Neuer Anlauf für Widerspruchsregelung

Jeder soll Organspender sein, außer man widerspricht. Einen entsprechenden Gesetzentwurf zur sogenannten Widerspruchsregelung hatte der Bundestag vor vier Jahren abgelehnt. Jetzt kommt ein neuer Anlauf, denn es gibt immer noch zu wenige Organspender.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Bei der Vorstellung des neuen Gesetzentwurfes zur Widerspruchsregelung sitzen – anders als vor vier Jahren – diesmal sechs Fraktionen im Saal. Abgeordnete aller im Bundestag vertretenen Parteien, außer der AfD. Sabine Dittmar, SPD-Abgeordnete aus Unterfranken und Staatsekretärin im Bundesgesundheitsministerium, ist zuversichtlich, dass der neue Anlauf gute Chancen hat. Denn Fakt ist: Die Verbesserungen, die 2020 beschlossen wurden, um die Spendenbereitschaft zu erhöhen, haben kaum etwas bewirkt.

Organe sind Mangelware in Deutschland

Patienten warten in Deutschland zum Beispiel zehn Jahre auf eine neue Niere. Für viele kommt das zu spät. Täglich sterben drei Menschen, die auf der Warteliste stehen. Im Moment sind dort etwa 8.400 Patientinnen und Patienten verzeichnet, die dringend ein neues Organ brauchen. Demgegenüber waren 2023 in Deutschland 965 Menschen Organspender, nachdem sie einen Hirntod erlitten haben.

Dazu kommen die Organe von "Eurotransplant", einem europäischen Organspende-Verbund von acht Ländern, die – außer Deutschland – alle eine Widerspruchsregelung haben. Gitta Connemann von der CDU beschreibt es so: "Wir leben zurzeit davon, dass andere Länder Organe an uns geben."

Wie ist die geltende Regelung?

Schon einmal, 2020, war eine Neuregelung der Organspende im Bundestag beraten worden. Damals lehnte die Mehrheit der Abgeordneten den Vorschlag einer Widerspruchsregelung ab. Es gilt die Zustimmungsregelung: Um Organspender zu sein, muss der Betreffende vorher aktiv eingewilligt haben. Beschlossen wurden aber verschiedene Maßnahmen, um die Zahl der Spender zu erhöhen: Mehr Aufklärung durch Ärzte etwa – was auch geschieht. Bei den Krankenkassen werden pro Quartal über eine Million Beratungen abgerechnet. Auch die Krankenhäuser wurden gestärkt, mit eigenen Transplantationsbeauftragten und einer besseren Vergütung.

Aufklärung zur Organspende – wenig Wirkung

Eine weitere Idee war die Aufklärung auf Ämtern, zum Beispiel, wenn Bürger einen Personalausweis beantragen. Bisher erschöpft sich das allerdings mit der Bereitstellung von Info-Broschüren. Ein Online-Register für die Organspende ist zwar seit März freigeschaltet – wird aber kaum in Anspruch genommen. Was womöglich auch daran liegt, dass die Anbindung des Registers an die Meldeämter bisher nicht umgesetzt ist. In den USA zum Beispiel wird bei der regelmäßig anstehenden Verlängerung des Führerscheins immer mit abgefragt, ob man Organe spenden möchte oder nicht. Dort ist die Zahl der Organspender dreimal höher als in Deutschland.

Spendenbereitschaft ist hoch – trotzdem wenige Spender

In Umfragen sprechen sich 84 Prozent der Bevölkerung für eine Organspende aus. Bei Informations-Veranstaltungen würden "hunderte Ausweise mitgenommen", erzählt die CDU-Politikerin Connemann, aber "dann wieder vergessen." Sie glaubt deshalb: "Die Widerspruchslösung ist kein Allheilmittel, aber ein entscheidender Baustein für einen Mentalitätswechsel".

Auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Aumer berichtet von seinen Kontakten im Regensburger Transplantationszentrum: "Bisher schaffen wir es nicht, den Menschen wirklich klarzumachen, wie wichtig die Organspende ist." Es sei, so der CSU-Politiker, den Menschen zuzumuten, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Schließlich beruhe auch der neue Vorschlag auf Freiwilligkeit, jeder könne jederzeit widersprechen und müsse das nicht begründen.

Welche Rolle spielen die Angehörigen?

Bisher gilt die sogenannte "doppelte Zustimmungslösung". Das heißt, wenn keine eindeutige Position des Verstorbenen vorliegt – etwa durch einen Organspendeausweis – müssen das die Angehörigen mit den Ärzten klären. Das sei, sagt der Grünen-Abgeordnete und Neurologe Armin Grau, eine "ungeheure Belastung in einer Extremsituation".

Den vermutlichen Willen des Verstorbenen zu interpretieren, fiele mit der Widerspruchsregelung weg. Trotzdem würden die Angehörigen auch in Zukunft gefragt, ob es beispielsweise nicht doch einen Widerspruch gegeben habe, auch wenn er nicht dokumentiert sei. Überhaupt könne ein möglicher Widerspruch auch formlos, zum Beispiel auf einem "Zettel im Portemonnaie" hinterlegt sein.

Stiftung Patientenschutz lehnt Widerspruchsregelung ab

Eugen Brysch, der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, lehnt die Widerspruchsregelung ab. Ohne Zustimmung des Betroffenen sei jeder Eingriff eine Körperverletzung – auch nach dem Tod. Diese Haltung verwundert allerdings die Abgeordneten, die den neuen Entwurf vorgelegt haben. Das sei eine Gerechtigkeitsfrage, sagt die Bundestagsabgeordnete Petra Sitte von der Linkspartei. Denn es gehe ja auch um die Rechte der Patienten, die auf ein lebensrettendes Organ warten.

Ausnahmen von der Widerspruchsregelung

Von der geplanten Widerspruchsregelung wären alle volljährigen Bürger betroffen. Doch was, wenn zum Beispiel eine Demenz oder psychische Erkrankung besteht? Da sagt der Gesetzentwurf, dass eine Organspende nicht zulässig ist, wenn der Betreffende in einem "erheblichen Zeitraum vor Feststellung des Todes nicht einwilligungsfähig ist." Auch für Minderjährige würden weiterhin die Eltern oder ein Vormund entscheiden. Für ausländische Staatsbürger soll gelten, dass sie sich "nicht nur vorübergehend" in Deutschland aufhalten.

In Österreich ist man automatisch Organspender

Das ist übrigens in Österreich oder den Niederlanden anders. Dort gilt jeder, der sich dort aufhält, automatisch als Organspender. Entscheidend ist nur, ob man sich zum Zeitpunkt des Versterbens – beispielsweise an den Folgen eines Unfalls – dort aufgehalten hat.

Ob der neue Anlauf, bei der Organspende in Deutschland die Widerspruchsregelung zu etablieren, diesmal gelingen wird? Die Abgeordneten werden sich jetzt beraten, Experten anhören, im Bundestag debattieren. Dafür spricht, dass sich jetzt auch mehrere Bundesländer für eine Widerspruchslösung aussprechen und mehr Abgeordnete, vor allem bei den Grünen und auch bei der FDP mittlerweile dafür sind. Denn die letzten Jahre haben gezeigt, dass mehr Beratung und Aufklärung der Bürger allein nicht helfen, um mehr Organspenden zu haben und damit mehr Leben retten zu können.

Im Video: Organspende - Neue Initiative für Widerspruchsregelung

Mann mit Pflastern und Schläuchen auf dem Bauch
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Organspende - Neue Initiative für Widerspruchsregelung

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