Die Wahlparty der Linken in Berlin neigt sich langsam ihrem Ende zu. Doch etliche Parteianhänger sind an diesem Sonntagabend so sehr in Feierlaune, dass sie in die Nacht hineintanzen. Zur Aufführung kommen Pop- und Dance-Klassiker – etwa von Gloria Estefan. Die Sängerin dürfte ihre beste Zeit eigentlich hinter sich haben. Aber so haben ja auch viele über die Linke gedacht. Bis zu diesem Wahlabend.
Noch vor Kurzem hat man auch in Parteikreisen allenfalls damit gerechnet, den Wiedereinzug in den Bundestag über den Gewinn dreier Direktmandate zu schaffen und so die Fünf-Prozent-Hürde zu umgehen. Jetzt sind es gleich sechs geworden – und die genannte Hürde hat die Linke obendrein genommen: mit einem Zweitstimmenergebnis von 8,8 Prozent, nach mageren 4,9 Prozent bei der vorangegangenen Bundestagswahl.
Linke feiert "Comeback des Jahres"
"Die Linke ist wieder da", sagt Parteichef Jan van Aken am Tag nach der Wahl. Man habe "das politische Comeback des Jahres hingelegt" und "gegen alle Erwartung" dazugewonnen. Auch in Bayern haben die Sozialisten ihr Ergebnis im Vergleich zu 2021 verbessert: auf 5,7 Prozent. Auch wenn die Hochburgen der Partei in Berlin, Hamburg und Ostdeutschland liegen, ist dies doch ein beachtlicher Wert. Denn gerade in Bayern tut sich die Linke traditionell schwer.
Der Rosenheimer Abgeordnete Ates Gürpinar führt den Erfolg seiner Partei unter anderem darauf zurück, dass sie ihren Wahlkampf klar auf Themen wie soziale Gerechtigkeit und bezahlbares Wohnen ausgerichtet habe. So verlangt die Linke zum Beispiel, Staffelmieten zu verbieten und einen bundesweiten Mietendeckel einzuführen. Forderungen, mit denen die Linke angesichts steigender Wohnungskosten gerade in Großstädten offenbar auch in Bayern punkten konnte.
Experte spricht von einem "linken Populismus"
Andreas Jungherr von der Universität Bamberg bescheinigt der Partei, im Wahlkampf ein "sehr frisches Gesicht des linken Populismus" präsentiert zu haben. Dieser zeichne sich durch eine Abgrenzung zwischen wohlhabenden "Eliten" und denen aus, "die kaum etwas haben". Und dieses politische Angebot habe die Linke "sehr gut verkauft". Als Beispiel nennt der Politikwissenschaftler im BR24-Interview den Haustürwahlkampf der Partei.
Die Wahlkämpfer der Linken haben nach deren Angaben landauf, landab an Hunderttausende von Türen geklopft. In Berlin-Lichtenberg beispielsweise habe man jede zweite Wohnung abgeklappert, so Ines Schwerdtner. Die Co-Chefin der Partei trat in diesem Bezirk im Ostteil der Stadt als Direktkandidatin an – und setzte sich unter anderen gegen Beatrix von Storch von der AfD durch. Mit Blick auf die in Teilen rechtsextreme Partei sagt Schwerdtner: "Wir werden ihnen den Osten nicht überlassen."
Linke empfiehlt sich als Bollwerk gegen Rechtsaußen
Die Linke sieht sich als "Pol der Hoffnung in Zeiten des Rechtsrucks", wie es Gürpinar formuliert. Ganz ähnlich scheinen es viele Wähler der Linken zu sehen. Vom Meinungsforschungsinstitut "Infratest dimap" befragt, begrüßen es 86 Prozent von ihnen, dass sich die Partei "für eine humane Asyl- und Flüchtlingspolitik einsetzt". Und 84 Prozent der linken Anhängerschaft macht sich "große Sorgen, dass Demokratie und Rechtsstaat in Gefahr sind".
Die Linke als Bollwerk gegen Rechtsaußen: Für diese Idee steht vor allem Heidi Reichinnek. Die Spitzenkandidatin der Partei hielt in der Schlussphase des Wahlkampfs viel beachtete Reden im Bundestag, als es um Migration und den Umgang mit der AfD ging. "Auf die Barrikaden!", rief eine aufgebrachte Reichinnek – und ihre Kurzvideos zu den umstrittenen Abstimmungen wurden in Online-Netzwerken zum Teil millionenfach aufgerufen. Eine gute Möglichkeit, junge Zielgruppen zu erreichen.
Genau das ist der Linken bei der Bundestagswahl gelungen. Wie die Meinungsforscher herausgefunden haben, hat sich jeder vierte Wähler unter 25 Jahren für die Sozialisten entschieden. Damit belegt die Linke einen Spitzenplatz in dieser Altersgruppe. Van Aken ist sich sicher: "Die linke Zukunft sieht gut aus." Klar ist aber auch, dass sich diese Zukunft auf absehbare Zeit nicht auf der Regierungsbank abspielen wird. Sondern auf den harten Sitzen der Opposition.
Weitere Hintergrund- und Service-Artikel zur Bundestagswahl 2025
- Zur Analyse: Migration, Wirtschaft, Frieden: Was hat die Wahl entschieden?
- Zur Analyse: CSU-Machtanspruch: Wie Söder in Berlin mitmischen will
- Zu den Grafiken: Alle Zahlen auf einen Blick
- Zur Grafik: Die Ergebnisse in Bayerns Wahlkreisen
- Zum Koalitionsrechner: Welche Koalitionen sind jetzt möglich?
- Zum Überblick: So geht es nach der Bundestagswahl weiter
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!