Olaf Tyllack kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Der Münchner Jurist ist Bundesvorsitzender von "Donum Vitae" und seit der ersten Stunde jenes Vereins dabei. Damals war die von Laien organisierte Schwangerenberatung noch ein Gegenpol zum päpstlich erzwungenen Ausstieg der katholischen Kirche aus der Schwangerenkonfliktberatung. Heute, 25 Jahre später, "schließt sich ein Kreis", sagt Tyllack halb im Scherz, halb im Ernst.
Denn in der gegenwärtigen Debatte um Paragraf 218 im Strafgesetz, dem sogenannten Abtreibungs-Paragrafen, sind Kirche und "Donum Vitae" auf der gleichen Seite. Das heißt: Sie sind dagegen, Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetz herauszulösen. Eben dies hat der Bundesregierung unlängst eine von ihr eingesetzte Kommission empfohlen.
Paragraf 218 "tragfähiger Kompromiss"
Die gegenwärtige Regelung, wonach Abtreibungen unter bestimmten Bedingungen zwar illegal, aber straffrei bleiben, sei jedoch "ein tragfähiger Kompromiss", sagt Tyllack fast wortgleich zur Haltung der katholischen Bischöfe. Die zur Diskussion stehende Regelung habe das Recht der Frau auf körperliche Selbstbestimmung im Blick. Zugleich halte die Verortung im Strafgesetz das Bewusstsein wach, dass ein Schwangerschaftsabbruch ungeborenes Leben beendet.
Im Jahr 1999, bei Gründung des Vereins, waren die katholischen Laien, die sich mit "Donum Vitae" selbstständig machten, und die katholische Kirche weiter auseinander. Genauer gesagt: der Vatikan und einzelne deutsche Bischöfe.
Papst Johannes Paul II. und dessen oberster Glaubenshüter, der damalige Kurienkardinal Joseph Ratzinger, nahmen Anstoß daran, dass in katholischen Schwangerenberatungsstellen der sogenannte Beratungsschein ausgestellt wird. Der war mit einer Novellierung des Bundesgesetzes von 1995 notwendig geworden: Schwangere, die sich mit dem Gedanken tragen, abzutreiben, brauchen seither einen Schein, der das Gespräch in einer staatlich anerkannten Beratungsstelle bestätigt. Er ist die Voraussetzung, dass Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen zwar gesetzeswidrig, aber straffrei bleiben.
Beratungsschein – eine "Lizenz zum Töten"?
"Lizenz zum Töten" nannte der Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba damals öffentlichkeitswirksam den Beratungsschein. Unter den deutschen Bischöfen vertrat er damit aber die Minderheitsposition. Die meisten Bischöfe wollten trotz Widerstand aus dem Vatikan im staatlichen Beratungssystem mit Schein-Ausstellung verbleiben – allen voran ihr damaliger Vorsitzender, der Mainzer Bischof Karl Lehmann. Sie argumentierten wie die Gründungsväter und -mütter von "Donum Vitae": "Mit Schein erreichen wir mehr Frauen und haben damit auch die Chance, mehr Schwangeren Mut zum Kind zu machen", sagt Tyllack. Statistisch erfasst wird der Erfolg der lebensbejahenden Beratung aber nicht, das sähe das Gesetz auch gar nicht vor.
Davon unbenommen verhalte es sich aber so: Sollte eine Frau zuerst in eine katholische Beratungsstelle gehen, in der ihr kein Schein ausgestellt wird, sie sich hinterher aber doch für eine Abtreibung entscheiden, muss sie sich erneut einer Beratung unterziehen, nach der sie eben auch den Schein bekommt. "Das ist einfach unrealistisch", sagt Tyllack. "Da wählt jede Betroffene lieber gleich die Beratungsstelle, wo sie auch den Schein bekommt, um im Zweifel nicht zweimal zur Beratung zu müssen."
Dafür focht eine Mehrheit der deutschen Bischöfe jahrelang mit dem Vatikan. Vergebens. "Wir haben gekämpft, wir haben verloren", sagte Lehmann, nachdem Johannes Paul II. den deutschen Bischöfen am 3. Juni 1999 einen Brief geschrieben hatte. Darin forderte das Oberhaupt der katholischen Kirche die deutschen Amtsbrüder endgültig auf, die Beratungsstellen in katholischer Trägerschaft anzuweisen, keinen Schein mehr auszustellen. Frei nach der Haltung der Kirche, wonach Abtreibung "ein verabscheuungswürdiges Verbrechen" darstelle. So formulierte bereits das Zweite Vatikanische Konzil in den 1960er Jahren; und ähnlich scharf auch heute Papst Franziskus, der Abtreibung mit Auftragsmord gleichsetzt.
Außerhalb der katholischen Kirche "unabhängig und glaubwürdiger"
In Deutschland, so scheint es, hat die Kirche ihren Frieden damit gefunden, dass ihre Beratungsstellen keinen Schein mehr ausstellen. Dafür tut es "Donum Vitae". Dort ist man sich seiner katholischen Herkunft – zumindest der Gründergeneration nach zu urteilen – noch sehr wohl bewusst ist.
Unters Dach der Kirche will man dort aber nicht, auch wenn man heute einander schätze, statt einander argwöhnisch zu beäugen, sagt Tyllack. So war unlängst gar der Familienbischof der Deutschen Bischofskonferenz, der Berliner Erzbischof Heiner Koch, beim Festakt zum 25-jährigen Bestehen in Erfurt. "Wir sind heute froh über unsere Unabhängigkeit. Die gibt uns mehr Freiheiten und – das muss man mit Blick auf die katholische Kirche heute leider auch sagen – eine größere Glaubwürdigkeit."
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