Soldat mit Ausstattung
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Ein Jahr "Zeitenwende" (Symbolbild)

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Ein Jahr "Zeitenwende": Union hält Scholz verpasste Chancen vor

"Wow", dachte Jens Spahn nach eigener Aussage, als er vor einem Jahr die Rede von Kanzler Olaf Scholz zur "Zeitenwende" hörte. Doch nun bemängeln er und andere CDU-Politiker wie Roderich Kiesewetter eine Kluft zwischen Ankündigungen und Ergebnissen.

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Ein Jahr nach der "Zeitenwende"-Rede von Olaf Scholz (SPD) im Bundestag hält die Union dem Bundeskanzler verpasste Chancen vor. Bisher sei so gut wie nichts vom 100 Milliarden Euro Sondervermögen bei der Bundeswehr angekommen, sagte der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk (Bayern 2, radioWelt am Morgen).

"Im Grunde genommen haben wir im letzten Jahr mehr an die Inflation verloren und die Bundeswehr hat gerade mal 10 Milliarden Euro verausgabt. In diesem Jahr sollen es 30 Milliarden sein", so der Oppositionspolitiker. "Vielleicht schaffen wir es in Ansätzen, dieses Jahr ans Zwei-Prozent-Ziel zu kommen, aber in der Truppe ist wirklich noch noch nichts angekommen bisher."

  • Zum Artikel: "Ein Jahr 'Zeitenwende' - Die Bundeswehr drängt auf mehr Tempo"

Scholz hatte wenige Tage nach der russischen Invasion in die Ukraine einen Richtungswechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen zur Modernisierung der Bundeswehr angekündigt.

Kiesewetter: "Hakt an allen Ecken und Enden"

Die Beschaffungsprozesse seien zu langsam und bürokratisch, zudem fehle es an Personal in der Verwaltung, so Kiesewetter. Das alles müsse dringend und schnell geändert werden. Es "hakt an allen Ecken und Enden". Er unterstützte deshalb die Forderung von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), dass mehr Geld für die Bundeswehr bereitgestellt werden müsse.

Pistorius: Verteidigungsetat muss wachsen

Pistorius hatte am Sonntag in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" betont, die 100 Milliarden Euro Sondervermögen reichten nicht aus. Der Etat des Verteidigungsministeriums müsse deutlich wachsen, "weil wir sonst die Aufgaben nicht wahrnehmen können, die es 30 Jahre lang nicht wahrzunehmen galt".

Aus dem Sondervermögen wurden im Haushaltsjahr 2022 keine Mittel verwendet, allerdings sind laut Verteidigungsministerium inzwischen rund 30 Milliarden Euro verplant. Die Rüstungsindustrie beschwerte sich mehrfach über die schleppende Auftragsvergabe. Pistorius kündigte an, dass die Rüstungsfirmen künftig Abschlagszahlungen für Aufträge erhalten sollen und nicht erst bei Lieferung bezahlt wird. "Das machen wir jetzt in Zukunft. Einfach auch, um zu dokumentieren, dass Geld abfließt", sagte Pistorius.

Spahn: "Der Kanzler bricht sein Versprechen"

Auch Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) kritisierte Scholz. Spahn sagte der "Neuen Westfälischen", die "Zeitenwende"-Rede des Kanzlers sei grundsätzlich richtig gewesen. "Ich dachte an dem Tag: Wow, das kann diese Kanzlerschaft prägen", erinnert sich Spahn. "Leider hat die Bundesregierung die Flughöhe schon am Folgetag nicht mehr gehalten. Der Kanzler bricht seine Versprechen." Spahn sagte weiter: "Selbst dringend notwendige Munition wurde nicht bestellt."

Söder: "Zeitenwende findet in Zeitlupe statt"

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte sich bereits am Sonntag enttäuscht vom Tempo der angekündigten "Zeitenwende" gezeigt: "Die Zeitenwende findet in Zeitlupe statt. Die Wahrheit ist, dass vieles von dem, was eigentlich geplant war, nicht umgesetzt wurde. Leider ist es so, dass die Inflation fast mehr Geld auffrisst, als bislang ausgegeben wurde."

Auch der Bundeswehrverband hatte am Sonntag "mehr Tempo" gefordert. "Für die Soldaten hat sich seitdem noch nichts spürbar verbessert", sagte der Chef des Bundeswehrverbandes, André Wüstner der "Bild am Sonntag". Dies sei zwar in der Kürze der Zeit auch kaum möglich. "Dennoch braucht es mehr Tempo. Ob bei Material, Personal oder Infrastruktur, es braucht in dieser Legislaturperiode eine echte, in der Truppe spürbare Wende, sonst war's das mit der Zeitenwende."

Trittin: Zeitenwende auch für Entwicklungspolitik

Der Außenpolitik-Experte der Grünen, Jürgen Trittin, äußerte sich zurückhaltend auf die Forderung von Pistorius nach mehr Geld für die Bundeswehr. "Man muss für die Herausforderungen in Sachen Sicherheit viel Geld ausgeben", sagte Trittin im rbb24 Inforadio. Er betonte aber, dass dies nicht nur für das Militär gelte, sondern auch für Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe. Wenn man von einer "Zeitenwende" spricht, müsse man sich die Frage stellen, ob die notwendigen Ausgaben durch Kredite oder zusätzliche Einnahmen finanziert werden könnten, so der Grünen-Politiker weiter. Er halte nicht viel davon, sich übermäßig zu verschulden. "Die Zeitenwende muss auch im Finanzministerium ankommen."

Esken weist Vorwürfe zurück

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken wies die Vorwürfe in der "Augsburger Allgemeinen" zurück. Die Kanzler-Rede "enthielt ein klares Signal an unsere wichtigsten Verbündeten: Deutschland wird verteidigungspolitisch reifen", sagte sie. In schnelllebigen Zeiten werde dann verlangt, dass sich dieser Prozess "in Echtzeit" abspiele. "Gerade in der Verteidigungspolitik muss aber ein Teil abseits der Öffentlichkeit geschehen, auch wenn ich verstehen kann, dass der ein oder andere ein Problem damit hat", sagte Esken.

Mit Informationen von AFP und dpa

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