Paul-Löbe-Haus, Saal 4.200. Die ersten Zeugen im Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg werden juristisch belehrt. Sie müssen richtige und vollständige Angaben machen und dürfen die Aussage nur in wenigen Fällen verweigern. Bei Falschaussagen drohen Strafen. Es geht vor allem um interne Vorgänge aus dem Wirtschafts- und dem Umweltministerium aus dem Februar und März 2022.
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Rückblick: 27. Februar 2022 - der Tag, an dem Kanzler Scholz im Bundestag als Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine von der "Zeitenwende" spricht. Am Abend ist Wirtschaftsminister Robert Habeck zu Gast im ARD-Bericht aus Berlin. Zur Frage der Energieversorgung sagt der Grünen-Politiker, es gebe keine Denktabus, auch nicht mit Blick auf die Atomenergie.
Vermerk: Kosten und Risiken höher als Nutzen
Wenige Tage später aber wird ein Vermerk aus dem Wirtschafts- und dem Umweltministerium veröffentlicht, der zu einer kritischen Einschätzung kommt: Die Kosten und Risiken bei einem Weiterbetrieb der verbliebenen Kernkraftwerke über das zum 31.12.2022 vorgesehene Ende seien deutlich höher als der mögliche Nutzen.
Die Entstehung dieses Vermerks spielt in der ersten Zeugenbefragung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses eine große Rolle. Dabei wird deutlich: Vermerke von Ministerien kommen nicht aus dem Nichts. Sie basieren auf Einschätzungen von einzelnen Referaten, die dann zusammengeführt und bewertet werden.
So berichtet ein Mitarbeiter des Umweltministeriums, dass man nach dem Antrittsbesuch von Steffi Lemke als neuer Ministerin Argumente zusammengestellt habe, die gegen einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke sprächen. Von wem der Auftrag zu dem entsprechenden Vermerk gekommen sei, könne er heute nicht mehr sagen. Nach dem Kriegsausbruch wird es hektisch. Fachbereiche im Umweltministerium – sie sind die ersten Zeugen im Untersuchungsausschuss – bereiten einen Vermerk vor, in dem verschiedene Szenarien bewertet werden. Darunter ist auch der sogenannte "Streckbetrieb", also ein längerer Betrieb zum Beispiel von Isar 2, ohne Zukauf von neuen Brennstoffen.
Prüfungen wurden nicht angestoßen
Die Fachebene kommt zum Ergebnis: Technisch ist das Ganze machbar. Um Fragen der Sicherheit zu klären, müssten aber noch Gespräche mit den Kraftwerksbetreibern geführt werden. Damit habe man weder eine Aussage pro Sicherheit noch eine Aussage contra Sicherheit getroffen, so der Zeuge aus dem Umweltministerium.
Hier aber beginnen die unterschiedlichen Bewertungen. Aus Sicht von Jakob Blankenburg, dem SPD -Obmann im Untersuchungsausschuss, ist das ein normaler Vorgang: Die Fachebene habe verschiedene Optionen aufgezeigt und dargestellt, welche Fragen beantwortet werden mussten, "bevor dann eine politische Entscheidung getroffen worden ist." Zur Frage eines möglichen Streckbetriebs hätten zu diesem Zeitpunkt eben noch nicht genügend Informationen von Seiten der Betreiber vorgelegen.
Dass die Referate in den Ministerien unter hohem Zeitdruck standen und kein fertiges Prüfungsergebnis vorlegen konnten, hält der CSU-Politiker Andreas Lenz für völlig plausibel. Doch er kommt zu einem anderen Schluss: Die Ministerien hätten ja die notwendigen Prüfungen unmittelbar in Gang setzen können: "Das wurde nicht gemacht. Was den Rückschluss nahelegt, dass eben gar nicht mehr ergebnisoffen geprüft wurde."
Vorwurf der Union: Politische Motive
Genau das ist der Vorwurf der Union: Die von den Grünen geführten Ministerien hätten den möglichen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke nicht aus fachlichen, sondern aus politischen Gründen verhindert. Eine These, die auch Frank Schäffler von der FDP für plausibel hält – mit Blick auf den Weg der verschiedenen Vermerke durch die Ministerien: "Die Vermerke sind anschließend verändert worden, von Abteilungsleitern, von Staatssekretären. Da ist eine politische Bewertung hineingekommen, die eben dem grünen Haus entsprach." Dazu müssten, so Schäffler, am Ende aber die Spitzen der Ministerien im Ausschuss in den Zeugenstand.
Das dürfte aber noch dauern. Zunächst werden Mitarbeiter der beteiligten Ministerien und nachgelagerter Behörden befragt. Staatssekretäre und Minister stehen in der Regel erst in einer späteren Phase Rede und Antwort. Klar aber ist: Der Ausschuss muss in der laufenden Legislaturperiode beendet werden. Sollte es nicht zu vorgezogenen Wahlen kommen, bleibt für die Arbeit nur die Zeit bis zum nächsten Sommer.
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